Märtyrer bis zum bitteren Ende
In Syrien, Ägypten, Pakistan und China gibt es eine Vielzahl von Menschen, die wegen ihres christlichen Glaubens unterdrückt oder verfolgt werden. In diesem Umfeld hat das christliche Märtyrertum wieder eine neue Bedeutung bekommen. „Silence“ stellt nun aber die beunruhigende Frage, ob die Idee des christlichen Martyriums durchzuhalten ist, wenn der Weg bis zum schmerzhaften Tod weder heilig noch richtig ist. Das Dilemma in der Erzählung besteht darin, dass Pater Rodrigues feststellt, dass die japanischen Christen nicht für ihren Glauben sterben, sondern für ihn als Priester geopfert werden, um ihn zum Akt des Glaubensabfalls zu zwingen. Solange das Märtyrertum rein religiös verstanden wird, ist es in sich schlüssig. Wird es jedoch instrumentalisiert, sei es von der Glaubensgemeinschaft oder von politischen Mächten, gerät es auf die schiefe Bahn.
Rechtfertigung
Die dahinter liegende, theologische Fragestellung lautet: Dürfen wir einen zutiefst bösen Akt begehen, wenn sich daraus etwas Gutes ergibt? Wenn es dazu dient, sich selbst zu retten, müsste die Antwort „Nein“ sein. Können jedoch damit andere gerettet werden, wie die Novelle und der Film insinuieren, so könnte diese Handlung durchaus gerechtfertigt sein. Diese Frage ist nicht nur auf den historischen Kontext Japans bezogen, sondern ist universal gültig. Scorsese stellt damit das Märtyrertum in den Kontext eines ethischen Dilemmas.
Pater Rodrigues entweiht schlussendlich das Christusbild und tut dies, um seine Gläubigen zu retten. Aus ethischer Sicht ist er damit gerechtfertigt. Aus theologischer Sicht gibt er sich selbst auf – und tritt den Weg in die Hölle an, um andere zu retten. Im Sinne des stellvertretenden Leidens und der Nachfolge Christi handelt der junge Jesuit richtig, auch wenn bis zum Schluss offen bleibt, ober er seinen Glauben bewahren oder vollständig verlieren wird.
Martin Scorsese hat eine starke Verbindung zum Leiden als Prüfstand im Leben: Seine frühen Filme „Taxi Driver“ (1975), „Wie ein wilder Stier“ (1979) und „Good Fellas“ (1989) sind Dramen über das Leiden im Fegefeuer. So auch „Silence“, in dem das Leiden für den Glauben eine große Rolle spielt. Mitten in der Verfolgung stellt der Film wichtige Fragen zum Glaubensakt, zur Verehrung von Bildern, zum Rückzug des Glaubens in die Innerlichkeit und zur Bedeutung von Christenverfolgung, auch in der heutigen Zeit.
Von Charles Martig
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