Pillay: Als Präsident des WCRC glaube ich, dass wir die Türen für ein größeres ökumenisches Engagement geöffnet haben. Wir setzen uns für die christliche Einheit ein, die sich in sichtbaren Formen manifestiert und uns dazu befähigt, gemeinsam auf globale Herausforderungen zu reagieren. Es darf nicht geschehen, dass wir nur „Kirche spielen“. Wir müssen die Gegenwart Gottes in der Welt erfahrbar werden lassen, indem wir dem gemeinsamen Auftrag Jesu Christi nachkommen.
Frage: Wie bewerten Sie die bisherige Zusammenarbeit der reformierten und der katholischen Kirche?
Pillay: Der Vatikan entsendet jedes Jahr einen Repräsentanten in das Vorstandskomitee der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen. Dafür sind wir sehr dankbar. Nichtsdestotrotz haben uns die letzten Entwicklungen und Austausche dazu motiviert, uns noch intensiver für die Ökumene stark zu machen. Wir arbeiten bereits seit mehreren Jahren an einem reformiert-katholischen Dialog. Allerdings müssen unsere Zusammenarbeit und unser Einsatz für die Einheit der Christen nach außen hin noch stärker sichtbar sein. Das gilt vor allem, wenn wir uns für globale Ziele einsetzen, wie soziale Gerechtigkeit, Gendergerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit. Wir müssen uns u. a. mit dem sensiblen Thema der Frauenordination auseinandersetzen, was wir innerhalb des WCRC auch tun. Wir haben etwa beschlossen, dass an unserer nächsten Generalversammlung 2017 jeweils 50 Prozent Frauen und 50 Prozent Männer teilnehmen sollen.
Insgesamt sind die katholische und die reformierte Kirche darum bemüht, ihre Arbeit im Einsatz für Gerechtigkeit sowohl auf theologischer als auch auf praktischer Ebene zu verbinden. Dazu müssen wir unseren kommunikativen Austausch weiter fortführen und Möglichkeiten wahrnehmen, um einen ökumenischen Beitrag zu leisten. Wenn wir unsere gemeinsamen Ressourcen mobilisieren, können wir die Welt verändern.
Frage: Wenn man Papst Franziskus und die Ökumene betrachtet hat man den Eindruck, der gemeinsame christliche Einsatz für Gerechtigkeit und Notleidende in der Welt sei ihm wichtiger als der fachtheologische Dialog. Teilen Sie diese Auffassung?
Pillay: Papst Franziskus ist eher daran interessiert, sich den Herausforderungen rund um die Themen Gerechtigkeit und Leid auf praktisch-pastorale Weise zu stellen, als diese auf rein theoretischer Ebene zu diskutieren. Das bedeutet jedoch nicht, dass er den Wert der letzteren Vorgehensweise verkennt! Vielmehr ist es so zu verstehen, dass in einer Zeit des Schmerzes und Leidens Taten lauter sprechen als Worte. Und diese Einstellung unterstütze ich persönlich vollkommen! Nichtsdestotrotz bleibt festzuhalten, dass es andere Theologen im Vatikan gibt, die mehr Zeit darauf verwenden, über globale Probleme theologisch zu debattieren. Damit ist auch diese Lücke gefüllt.
Frage: Wird die Begegnung mit Papst Franziskus Auswirkungen auf die 26. Generalversammlung des WCRC nächstes Jahr in Leipzig haben?
Pillay: Wir haben Papst Franziskus zu der Generalversammlung eingeladen, sind allerdings noch nicht sicher, ob er persönlich teilnehmen oder Kardinal Koch, der im Vatikan für die Ökumene zuständig ist, senden wird. Die Teilnahme des Papstes würde eine signifikante Aussagekraft für die Einheit der Christen und das christliche Zeugnis bedeuten, zumal wir uns darauf verständigt haben, unseren Beitrag zur Gemeinsamen Erklärung zwischen der Katholischen Kirche und dem Lutherischen Weltbund über die Rechtfertigungslehre zu leisten, welche von der katholischen Kirche und dem Lutherischen Weltbund ausgearbeitet wurde.
Das Interview führte Marita Wagner.
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