Frage: Warum können solche Projekte angestoßen werden, obwohl Experten schon vor Beginn vor den Folgen warnen?
Kusumawijaya: Die Inseln wurden ohne Genehmigung der Regierung errichtet. Das kann man sich in Deutschland vielleicht nicht vorstellen, aber unsere Gesetzgebung ist vielschichtig und nicht immer ganz eindeutig. Plus: Die Indonesische Antikorruptionsbehörde ermittelt. Investoren haben nicht nur die Inseln bereits gebaut, sondern auch Häuser darauf gesetzt. Was ganz anderer Genehmigungen bedurft hätte. Auch die lagen nicht vor.
Gäbe es Alternativen zum Deich-Projekt?
Experten haben bewiesen, dass es günstigere Alternativen zu dem Damm gibt, wie einfachere, lokale und weniger teure Konstruktionen entlang der bereits bestehenden Küstenlinie.
Frage: Ist die „Giant Sea Wall“ beispielhaft für Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel, die auf Kosten der lokalen Bevölkerung gehen?
Kusumawijaya: Definitiv, derartige Projekte sind Beispiele für einen dreifachen Skandal: erstens die Ignoranz über die Ausmaße des Problems und des Projekts. Es geht hier nicht nur um tausende bedrohte Fischer und deren Familien, sondern auch um eine langfristige Betroffenheit der ganzen Bevölkerung. Es gab so wenige Konsultationen! Zweitens: Im Prozess unserer Arbeit gegen dieses Projekt haben wir mit vielen Experten gesprochen, die ganz anderer Ansicht waren als die Experten, die die Regierung beauftragt hat. Die Regierung hat all das durchgesetzt, ohne das Wissen und die Interessen vieler anderer Stakeholder zu berücksichtigen. Und drittens, es tut mir leid: Die Unterstützung von Regierungen und Beratern aus Europa. Wir haben Unterlagen gesehen, in denen das Projekt und die damit verbundenen Bedenken viel zu eindimensional vorgestellt wurden. Ich finde, da ist mit Informationen nicht fair und auch nicht ehrlich umgegangen worden.
Frage: Sie sagen in einem anderen Interview, die lokalen, oft marginalisierten Gemeinschaften seien die eigentlichen „Vermittler des Wandels“. Wie meinen Sie das?
Kusumawijaya: Wir sagen immer wieder: Der öffentliche Sektor kommt mit singulären Lösungen, wo lokale und individuelle Lösungen notwendig und oftmals besser sind. Ich verstehe ihre Argumente, zum Beispiel gemeindebasierte Lösungen seien zu kompliziert, aber ich akzeptiere sie nicht. Wir brauchen lokale Ansätze, weil eben der globale Klimawandel ganz unterschiedliche Auswirkungen auf Regionen, die Natur und die Menschen hat! Diese postkoloniale Mentalität ist uns allen bekannt, wenn es heißt: die Armen sind ungebildet und unfähig. Das ist falsch. Wir haben das nach dem schweren Taifun Haiyan 2013 gesehen, wo in dem Küstenort Tacloban Gemeinden mit Unterstützung von Misereor-Partnern selbst ihre Häuser wieder aufbauen konnten, sich selbst organisierten und ihre Interessen vertraten.
Frage: Im Oktober findet Habitat III statt, der 3. UN-Weltgipfel zu Wohnungswesen und nachhaltiger Stadtentwicklung in Quito, Ecuador. Ziel soll eine „New Urban Agenda“ zur Umsetzung der Nachhaltigen Entwicklungsziele für den Bereich Stadt sein. Was erwarten Sie sich von der Konferenz, bei der Sie selbst sogar Teilnehmer sein werden?
Kusumawijaya: Die von mir genannten Probleme sind doch nicht neu. Habitat III soll die „neue urbane Agenda“ sein? Dabei wurden die alten Probleme, vor allem der Ausschluss der Armen in Entwicklungsländern, noch immer nicht gelöst. Im Zentrum muss stehen: wie können wir ihre Gemeinschaft in den Vordergrund rücken, vor allem mit Blick auf ihre eigene Stimme! Globalisierung und Internationalisierung dürfen nicht nur unter dem Aspekt Wettbewerb betrachtet werden, es muss auch um Solidarität und Zusammenwirken gehen. Die UN und vor allem Habitat III müssen deren Vertreter sein – und dürfen nicht die neue Weltbank werden, weil es um das Geld geht!
Das Interview führte Rebecca Struck, Misereor.
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