Frage: Woher kommt diese Schweigsamkeit, die die Seelsorger da selbstkritisch einräumen?
Tauchner: Wie in der chilenischen Gesellschaft allgemein gibt es auch in der katholischen Kirche unterschiedliche Meinungen dazu, wie mit den Mapuche umgegangen werden sollte. Manche plädieren für eine „Integration“ der Mapuche in den Rest der Gesellschaft, ohne ihre Eigenart und Besonderheiten zu berücksichtigen. Andere wollen sich für die Kultur und Religion der Mapuche einsetzen. Mit so einer Option werden aber die kapitalistischen und industriellen Interessen mächtiger Unternehmergruppen Chiles in Frage gestellt und die Seelsorger der Mapuche-Pastoral sehen sich vielen Verdächtigungen und Anfeindungen aus der chilenischen Gesellschaft ausgesetzt. Es ist gut und tröstlich zu sehen, dass die Steyler zu den Mapuche und ihrer Kultur stehen, auch in schwierigen Zeiten, in denen Kirchen brennen. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass die Steyler seit dem letzten Generalkapitel die Verteidigung und Förderung der Kultur- und Lebensrechte der indigenen Völker zu einem der Schwerpunkte ihres weltweiten Engagements erklärt haben.
Frage: Was macht denn die Mapuche-Pastoral der Steyler aus? Wie begegnen die Missionare einem „verwundeten“ Volk, das inzwischen einen Großteil seiner einstigen Siedlungsgebiete verloren hat?
Tauchner: Die Steyler Missionare in Chile haben in den 1980er Jahren angefangen, die Möglichkeit einer Pastoral bei den Mapuche zu studieren. Es ist seit damals klar, dass so ein Engagement vor allem dem Schutz der Kultur und Lebensweise der Mapuche dienen muss. Es sollte also beim Engagement der Steyler für die Mapuche nie einfach darum gehen, „gut katholische Pfarreien“ aufzubauen – sondern um einen besonderen Dienst an den Mapuche-Gemeinschaften. Im Steyler Missionswissenschaftlichen Institut sind wir gerade dabei, ein Grundsatzdokument zu dieser Entscheidungsfindung zu veröffentlichen. Über Jahrzehnte hat sich diese Pastoral entwickelt, es hat sicher viele Fortschritte und auch tiefgehende Infragestellungen gegeben, gerade auch deswegen, weil wir die Mapuche besser kennengelernt haben. Mapuche-Pastoral: Das bedeutet vor allem, mit den Mapuche selbst zu erarbeiten, wie ihr Lebensrecht, ihre Kultur und ihr gemeinschaftlicher Lebensraum beschützt werden kann. Das war und ist sicher ein anstrengender Weg für die Steyler. Es bedeutet auch, die Vorreiterrolle der Mapuche und ihrer eigenen Organisationen zu verstehen, zu akzeptieren und zu unterstützen, also gar nicht selber Initiativen zu setzen und den Weg zu weisen, sondern „nur“ zu begleiten. Zur Mapuche-Pastoral gehört es auch, sich elementar der „Verwundeten“ anzunehmen – also jenen Menschen beizustehen, die nicht nur von Enttäuschungen und Depressionen „verwundet“ worden sind, sondern auch von den Kugeln der Polizei.
Frage: Welche Figur macht der chilenische Staat im aktuellen Konflikt im Süden des Landes?
Tauchner: Er hat in den letzten Jahrzehnten immer drastischer versucht, das Territorium der Mapuche industriell auszubeuten und ihre Souveränität zu beenden. Die neoliberale Wirtschaftspolitik, die Chile extrem durchzieht und die über Leichen geht, wie man ja bei den Mapuche immer wieder wortwörtlich sieht, unterwirft alles dem Gesetz der Gewinnmaximierung durch private Firmen. Dabei übt der Staat immer wieder auch sein Machtmonopol aus und hält sich oft nicht an Abkommen, nicht einmal an Gesetze und Menschenrechte. Schlichtungsversuche und Vorschläge über einen neuen Umgang miteinander sind immer wieder ins Leere gelaufen. Der Staat steht also schlecht da im Konflikt mit den Mapuche.
Frage: Welche Forderungen erheben die Kirchen, um die Situation nachhaltig zu verbessern?
Tauchner: Die Mapuche-Seelsorger schlagen vor, dass vom Staat zwei fundamentale Akte auf den Weg gebracht werden müssten, um die Gewalt zu überwinden und den Frieden zu wahren. Zum einen fordern sie eine Rückerstattung des Landes an die Mapuche-Gemeinschaften – als Ausdruck der Bitte um Verzeihung. Zweitens fordern sie eine Wiedergutmachung. In ihrer Stellungnahme heißt es: „Das bedeutet, die Politik der Produktionsförderung neu zu definieren, die das Land unter einem anderen Paradigma ansieht, anders als nur für wirtschaftliche Ausbeutung. Wir müssen eine Sichtweise von ‚unserem gemeinsamen Haus‘ wiedergewinnen, wie uns Papst Franziskus in der Enzyklika ‚Laudato si‘ einlädt und wofür die Ursprungsvölker schon so lange gekämpft haben.“ Für ihr Anliegen von einer geschwisterlichen und gerechten Gesellschaft brauchen die Steyler – und mehr noch die Mapuche und andere Ursprungsvölker auf der ganzen Welt – alle Unterstützung, die man ihnen geben kann.
Das Interview führte Markus Frädrich.
www.steyler-mission.de
© Steyler Missionare