Frage: Was kann man tun, um zu verhindern, dass sich Kinder und Jugendliche Boko Haram anschließen?
Hendrickx: Ich habe viele Projektpartner besucht. Die machen eine gute Arbeit vor Ort. So gibt es zum Beispiel Plakatkampagnen, die an den Dialog zwischen Muslimen und Christen appellieren. Der Dialog zwischen den Religionen ist sehr wichtig, um eine Radikalisierung zu verhindern. Außerdem unterstützt Misereor in Kamerun die offizielle interreligiöse Organisation ACADIR (Association Camerounaise pour le Dialogue Interreligeux), die in christlichen, muslimischen und protestantischen Schulen tätig ist und Aufklärungsarbeit leistet. Auch arbeitet ACADIR als Schnittstelle von verschiedenen Jugendorganisationen, damit ein Netzwerk entstehen und Hilfe effektiver geleistet werden kann. Dabei ist egal, welcher Religion diese Jugendgruppen angehören. ACADIR will erreichen, dass Gruppen unterschiedlicher Konfessionen zusammenarbeiten, um einen interreligiösen Dialog anzustoßen. Jede Religion will doch den Frieden. In jeder Religion gibt es Schätze für den Frieden.
Frage: Wie sehen Sie die Entwicklung im Tschad und in Kamerun? Geht es in eine positive Richtung oder verschärft sich die Situation weiter?
Hendrickx: Es ist ruhiger als früher durch den Einsatz der tschadischen Armee. Boko Haram ist geschwächt worden. Aber man muss auch berücksichtigen, dass dieser Konflikt kein rein regionaler Konflikt mehr ist, sondern Teil eines internationalen Konfliktes. Boko Haram ist bereits eine Allianz mit dem IS in Syrien und im Irak eingegangen und nennt sich selbst seit April 2015 „Islamischer Staat in West Afrika“ (ISWAP). Boko Haram ist Teilproblem eines weltweiten Konfliktes geworden. Was wir befürchten, ist eine intensive Kooperation von Boko Haram mit dem IS in Libyen. Das sind aber nach heutigem Stand nur Befürchtungen. Besiegt werden kann Boko Haram aber nicht nur militärisch, ein Dialog zwischen den einzelnen Parteien ist erforderlich. Auch unter den Kindern, den Jugendlichen, den Flüchtlingen.
Wichtig ist, dass die Wurzel der Krise angegangen wird. Die wirtschaftliche und politische Situation muss verbessert werden. Hier muss vor allem die Politik mehr tun als bisher. Kinder und Jugendliche müssen wieder eine Perspektive erhalten. Es darf keine verlorene Generation heranwachsen. Was mir Hoffnung macht ist, dass zumindest im Tschad und in Kamerun bei vielen Menschen ein Sinneswandel stattgefunden hat. Viele Familien haben verstanden, dass Boko Haram starke negative Konsequenzen in wirtschaftlicher, politischer und sozialer Hinsicht hat.
Das Interview führte Nina Brodbeck.
© Misereor