Frage: In welcher Form engagiert sich der Jesuiten-Flüchtlingsdienst für die Flüchtlinge im Libanon?
Hengst: Der JRS betreibt drei Schulen im Libanon. Eigentlich könnten die Kinder in die libanesische Schule gehen, da alle Arabisch sprechen, aber das Curriculum unterscheidet sich zu stark. Einige Fächer im Libanon werden in Englisch oder Französisch unterrichtet, was in Syrien nicht der Fall ist. Zudem macht die Regierung es für Syrer fast unmöglich, eine öffentliche Schule zu besuchen. Wenn es dann doch zu klappen scheint, stellt sich der lokale Schuldirektor dagegen aus Rücksicht auf sein libanesisches Umfeld.
Schulen sind die Orte, von denen wir weitere Aktivitäten starten können, so haben wir Sozialarbeiter für die Kinder und Familien und werden Alphabetisierung für Frauen, Computer- und Englischunterricht anbieten. Viele unserer syrischen Flüchtlinge kommen aus Gegenden, in denen die Bildung der Frauen keinen besonderen Wert darstellt. Schule und Arbeit mit Mädchen und jungen Frauen ist eine Priorität. Eine unsere Schülerinnen hat die Schule verlassen, weil sie geheiratet hat – und dabei war sie weit jünger als 18 Jahre. Wenn den Mädchen keine Alternativen eröffnet werden, führt ihr Weg oft in eine zu frühe Heirat.
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf Familienbesuchen in deren Wohnungen. Wir versuchen die Familien zu begleiten und zu unterstützen, aber vor allem bei ihnen zu sein. Wir lassen uns einladen und hören zu. Darüber hinaus verteilen wir Lebensmittelpakete und Winterartikel. Langsam wird unsere Arbeit reichhaltiger, aber damit auch der Geldbedarf.
Frage: Wie sicher ist der Libanon für Sie und Ihre Mitarbeiter?
Hengst: Im Libanon lebt man schon seit vielen Jahren mit einem kalkulierten Risiko. Es gibt Karten, in denen sichere, bedingt sichere und unsichere Gegenden markiert sind. Den Flughafen in Beirut zum Beispiel darf ich nur auf der Autobahn erreichen. Alles rechts und links von der Straße wird als unsicher angesehen. Ein anderes Beispiel: Bei einem Großhändler haben wir Decken eingekauft. Es war sicherer, den Händler zu bitten, den Scheck bei uns abzuholen, als zu ihm zu fahren. Ich als Ausländer hätte nicht dorthin gedurft, aber auch die libanesischen Kollegen waren froh, dass wir den Scheck nicht bringen mussten, denn es war ein Viertel von Beirut, das für Anschläge berüchtigt ist.
Generell können sich Libanesen und Syrer freier im Land bewegen als Ausländer. Gegen Anschläge ist zwar niemand gefeit, aber westliche Ausländer haben das zusätzliche Risiko, entführt zu werden von Anhängern des „Islamischen Staates“ (IS) oder seinen Partnern. All dies wissend ist das Leben doch normal. Man hält sich an die Regeln, wie schon für Jahrzehnte, und es geht gut.