Im damaligen Schweigen schreibt Boff. Zwar bekommt er 1986 seine Ämter und seine Lehrbefugnis zurück, doch weitere Bücher, unter anderem zur Christologie, sorgen für weitere Kontroversen mit Rom. Als 1992 ein erneutes Rede- und Lehrverbot droht, tritt Boff aus dem Franziskanerorden aus und legt bald auch sein Priesteramt nieder.
Danach lehrte er Ethik, Philosophie und Religion an der Universität von Rio de Janeiro. Er engagiert sich für Basisgemeinden und widmet sich verstärkt ökologischen Themen. Mit zahlreichen Büchern gehört er weltweit zu einer der prominenten eher theologisch-mystischen denn fachtheologischen Stimmen. Seine Spiritualität setzt auf eine lebendige Begegnung mit Gott, nicht auf religiöse Macht. Heute lebt Boff mit der Theologin Marcia Maria Monteiro de Miranda in einem ökologischen Projekt in Petropolis, einer Stadt 60 Kilometer nördlich von Rio.
Franziskus und Leonardo Boff
Immer wieder kommt die Kritik an den Zuständen in seinem Heimatkontinent. „Solange es Armut, wirkliche hoffnungslose Armut gibt, bleibt die Befreiungstheologie aktuell. Denn sie ist eine Einladung an alle Christen, im Glauben nicht nur eine mystische, sondern auch eine politisch engagierte Dimension zu sehen.“ Bei allen gravierenden Unterschieden, die es zwischen Bergoglio und Boff in der Lehre gibt: Angesichts eines Papstes Franziskus und seines Schreibens
Evangelii gaudium
klingen solche Verse plötzlich fast päpstlich.
Mit Franziskus, sagt Boff, habe er „die Hoffnung, dass die Kirche auf der Seite der Leidenden stehen wird“. Franziskus stehe am Anfang einer „neuen Familie von Päpsten, die aus der Dritten Welt kommen und die Kirche erneuern werden.“
Von Christoph Strack