
Krönungsstadt Reims wartet seit 200 Jahren auf die ganz große Zeremonie
Reims ‐ Über viele Jahrhunderte war die Kathedrale von Reims die Krönungskirche von Frankreichs Königen; das letzte Mal im Mai 1825, vor 200 Jahren. Doch der Reaktionär Karl X. hatte keine glückliche Hand.
Aktualisiert: 22.05.2025
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Seit einigen Jahren steht sie endlich wieder da wie einst im Mai: Die Fassade der Kathedrale von Reims, über Jahrhunderte Krönungskirche der französischen Könige, präsentiert sich inzwischen fast ganz ohne Gerüste. Allerdings auch ohne Krönungen. Die bislang letzte fand vor genau 200 Jahren statt, am 29. Mai 1825. Nach der Französischen Revolution und dem Tod seines königlichen Bruders Ludwig XVI. auf dem Schafott wollte Karl X. das Rad der Zeit zurückdrehen und dem Gottesgnadentum wieder Geltung verschaffen. Doch er scheiterte.
Um dem Thronfolger und künftigen König nicht gleich Konkurrenz im eigenen Hause erwachsen zu lassen, verzichtete man am französischen Hofe traditionell darauf, Königskinder, die nicht für die Thronfolge vorgesehen waren, eine übermäßige kulturelle und militärische Ausbildung zukommen zu lassen. So verlegte sich Karl als drittältester noch lebender Sohn aufs Schuldenmachen und einen ausschweifenden Lebensstil, den die Zeitgenossen vor der Revolution noch mit Spott begegneten.
Seine politische Haltung war und blieb absolutistisch und restaurativ, allen zwischenzeitlichen Zugeständnissen an den revolutionären oder konstitutionellen Zeitgeist zum Trotz. Dazu kam ein zunehmend tieffromm-klerikaler Zug, mit Begünstigung von Bischöfen des Ancien Régime und des Jesuitenordens.
Noch einen Tag vor seinem Tod beschwor Ludwig XVIII. (1814-1824) den jüngeren Bruder, seine Herrschaft möglichst liberal statt konfrontativ zu gestalten. Das tat der neue König Karl X. zunächst auch, zur Überraschung seiner Umgebung. Bei seinem Einzug in Paris hoch zu Pferd wurde er bejubelt und gab sich auch bei den folgenden Auftritten leutselig.
Doch nicht umsonst hatte Karl einmal geäußert, er wolle lieber Holz sägen, als unter den Bedingungen des Königs von England König zu sein. Keinesfalls wollte er dulden, dass er als konstitutioneller Monarch einer Kontrolle unterliege. So brachte er ein Entschädigungsgesetz für von der Revolution enteignete Adlige auf den Weg, das für böses Blut sorgte; ebenso die Verhängung der Todesstrafe für Kirchenraub und Hostienschändung sowie die Förderung religiöser Orden im Schuldienst.
Karl X. strebte eine Wiederherstellung hergebrachter monarchischer Traditionen an. Und dazu gehörte auch die Salbung und kirchliche Krönung in der Kathedrale von Reims am 29. Mai 1825. Das prunkvolle Zeremoniell des Ancien Régime verdeutlichte, dass sich Karl als König von Gottes Gnaden betrachtete und nicht als konstitutionellen Monarchen.
Die Mauern hielten dem deutschen Beschuss stand
Seine anfängliche Popularität war bereits geschwunden. Bei seiner Rückkehr nach Paris Anfang Juni wurde er von der Bevölkerung schon recht zurückhaltend empfangen. Und als er im April 1827 auf dem Marsfeld seine Nationalgarde inspizierte, wurde gerufen: „Nieder mit den Pfaffenfreunden!“ Das Königtum der Bourbonen trudelte seinem endgültigen Ende entgegen. Der aus der Juli-Revolution 1830 hervorgegangene „Bürgerkönig“ Louis-Philippe (1830-1848) knüpfte dann bewusst nicht mehr an die Krönungstradition an.
Und die Kathedrale in Reims? Das Wüten der Französischen Revolution hatte ausgerechnet der Figurenschatz der Krönungskathedrale fast schadlos überstanden. Lediglich einige Königsfiguren verloren ihren Kopf; die Innenausstattung ging freilich komplett verloren. Mehr Schaden hinterließen außen später die Angriffe der täglichen Umweltverschmutzung, die die Figuren in einen beklagenswerten bis unkenntlichen Zustand versetzten, sowie die Bombardierung durch die Deutschen im September 1914.
Damals nahmen deutsche Soldaten die sakrale Heimstätte der französischen Nation unter Feuer – militärisch sinnlos, aber von hoher symbolischer Bedeutung. Warum eigentlich Reims? Ende des 5. Jahrhunderts ließ sich der heidnische Frankenkönig Chlodwig in dem Hauptort der römischen Provinz Belgica secunda taufen. Es ist dieses Ereignis, der die herausgehobene Stellung des Champagne-Städtchens über die Jahrhunderte begründete – und natürlich den sukzessiven Ausbau der Bischofskirche zu einer Krönungskirche. Die riesige Querhaus- und Choranlage ermöglichte das prächtige Zeremoniell mit all seinen Teilnehmern.
Nach dem deutschen Angriff 1914 brannte der Dachstuhl, die Glocken schmolzen und ebenso das Blei der Glasfenster. Dass die Mauern hielten, ist eigentlich ein Wunder. 1937 wurde die Kathedrale neu geweiht – nur drei Jahre, bevor die Deutschen Frankreich erneut angriffen.
Notre-Dame in Reims zählt mit Chartres, Amiens und Bourges zu den Schlüsselbauten der französischen Kathedralgotik um 1200. Eine Besonderheit sind ihre rund 2.300 Steinskulpturen, vor allem an der Außen-, aber auch an der Innenseite. Berühmt sind etwa die „Königsgalerie“ oberhalb der Fensterrose mit ihren 56 Figuren, darunter auch die Taufe Chlodwigs, und die Portalskulpturen, vor allem der „lächelnde Engel“ mit seiner weltentrückten Heiterkeit.
Drei Jahre und mehr als drei Millionen Euro waren nötig, um die zerfressenen Steine und Skulpturen an der gotischen Fassade mit ihrer großen Fensterrose zu ersetzen. Drei Jahre hinter Gerüsten und Folien. Gleichzeitig gibt es auch schon neue Not: Einige der Gewölbe sind brüchig; Putzplacken fielen herunter. Neue Gerüste werden wohl immer wieder aufgerichtet werden müssen. Eine der heiligsten Stätten der französischen Nation bleibt eine Baustelle der Geschichte.

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