Bischof Kohlgraf: Die Gesichter von Frauenarmut wahrnehmen
Bonn ‐ Am 17. November begeht die katholische Kirche den Welttag der Armen. Zu dem Anlass appelliert der Vorsitzende der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Peter Kohlgraf, an Christen und kirchliche Institutionen, die Ursachen für Frauenarmut anzugehen.
Aktualisiert: 15.11.2024
Lesedauer:
Am 17. November 2024 begeht die katholische Kirche den von Papst Franziskus ausgerufenen Welttag der Armen zum achten Mal. Als Leitwort hat er dafür festgelegt: „Das Gebet des Armen steigt zu Gott empor“ (vgl. Sir 21,5). Dazu schreibt der Papst selbst, dass nicht irgendein Gebet zu Gott emporsteige, sondern „das Gebet des Armen!“ Für die Kirche bedeute dies, darauf „zu hören und sich ihrer Gegenwart und Bedürfnisse bewusst zu werden“. Franziskus ruft konkret dazu auf, „die Gesichter und Geschichten der Armen, denen wir in unseren Tagen begegnen, zu lesen“.
Der Vorsitzende der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Peter Kohlgraf (Mainz), greift diesen Appell auf und erinnert an die alarmierend hohe Zahl über 14 Millionen armer Menschen in Deutschland. Besonders betroffen sind hier Frauen: „In meinen Gesprächen in der Seelsorge und mit Seelsorgerinnen und Seelsorgern erlebe ich die oft versteckten und verschämten Gesichter von Frauenarmut in Deutschland. In den Beratungen der Unterkommission ‚Frauen in Kirche und Gesellschaft‘ befassen wir uns auch mit den Ursachen, Folgen und der Abhilfe von Armutslagen von Frauen“, so Bischof Kohlgraf. „Aus meinen Erfahrungen in der Frauenseelsorge höre ich von der alleinerziehenden Mutter, die ihre Arbeit als Erzieherin jahrelang nicht mehr ausüben kann und sich schämt, nun als Rentnerin und Bittstellerin beim Sozialamt Grundsicherung beantragen zu müssen. Aus Armut und Scham ziehen sich viele Frauen aus dem sozialen Leben zurück und vereinsamen.“ Er beobachte mit Sorge, dass diese Ursachen und Folgen von Frauenarmut in manchen Pfarrgemeinden nicht gesehen und die Frauen sich selbst überlassen würden, so Bischof Kohlgraf.
Als weitere Beispiele fügt er hinzu: „Eine von Armut betroffene Frau erzählt: ‚Ich träume von einer Kirche, in der ich als Mensch mit meiner Geschichte gesehen werde und in der ich meine Würde behalte. Ich will mich nicht schämen müssen wegen meiner Erlebnisse.‘ Auch der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) weiß um konkrete Armutslagen von Frauen, die zum Beispiel mit dem Renteneintritt in die Wohnungslosigkeit geraten, weil die Miete zu hoch ist und die Rente zu gering ausfällt. Viele Frauen erleben über geschlechterbezogene Gewalt in der Partnerschaft oder am Arbeitsplatz den Beginn eines Abwärtsstrudels in die Armut. Ein Obdachlosenseelsorger erzählt von einer Frau, die bereits in ihrer Kindheit Gewalt und Missbrauch erfahren hat: ‚50 Jahre später sagt sie: Meinen Hass bekommen sie nicht. Sie haben vieles in meinem Leben zerstört, aber ich habe gelernt, sie nicht mehr zu hassen. Seitdem kann ich wieder leben, ich bin nicht mehr nur Opfer.‘“
„Wir brauchen eine neue Wertschätzung derer, die sich, sei es ehrenamtlich oder beruflich, um andere sorgen.“
Allein das Frausein führt häufig zu ökonomischen Benachteiligungen – sowohl international als auch in Deutschland. Frauen leisten weltweit 61,3 Prozent der unbezahlten Care-Arbeit und über 80 Prozent der beruflichen Care-Arbeit in Deutschland. Die Schattenwirtschaft, in der viele Frauen mit Migrationshintergrund als Putz-, Pflege- und Betreuungshilfen tätig sind, bleibt oft im Dunkeln. Darunter sind auch sogenannte „Live-ins“, die Pflegebedürftige in deren Privathaushalt versorgen und bei ihnen wohnen. Die ungleiche Verteilung der Sorgearbeit ist eine der zentralen Ursachen für den Gender-Pay-Gap und den Gender-Renten-Gap von fast 60 Prozent. Sie trägt wesentlich zur Frauenarmut bei. Nicht existenzsichernde Teilzeitarbeit und Minijobs sind Frauendomänen, wobei zwei Drittel der geringfügig Beschäftigten Frauen sind. Selbst viele Vollzeit arbeitende Frauen können von ihrem Lohn nicht leben und sind im Alter ebenfalls von Armut bedroht. Besonders hoch ist das Armutsrisiko alleinlebender Frauen, Geschiedener und Alleinerziehender. Frauen mit Migrationshintergrund und Rassismuserfahrung leiden unter Doppeldiskriminierung.
Bischof Kohlgraf betont angesichts dieser Situation und aus Anlass des Welttags der Armen: „Aus christlicher Sicht ist es inakzeptabel, dass ein solcher Zusammenhang zwischen Sorgetätigkeiten und Armut besteht. Sorgearbeit dient dem Menschen. Ohne Care-Arbeit gibt es kein Leben. Wir brauchen eine neue Wertschätzung derer, die sich, sei es ehrenamtlich oder beruflich, um andere sorgen.“ Daher sollten sich die Gläubigen in ihren Gemeinden und Verbänden zivilgesellschaftlich für eine angemessene finanzielle Berücksichtigung von Care- Arbeit, für Maßnahmen zur Vermeidung von Altersarmut und zur sozialen Absicherung von Frauen, für die Ausweitung von Kinderbetreuungsplätzen, der Pflegeinfrastruktur und für Lohngerechtigkeit einsetzen. Dazu gehöre auch die Überprüfung von Frauen- und Familienbildern, die Armutsrisiken inklusive ihrer steuerpolitischen Ursachen befördern. „Wir werden uns vonseiten der Unterkommission ‚Frauen in Kirche und Gesellschaft‘ auch weiterhin mit den verschiedenen Facetten von Frauenarmut befassen und öffentlich darauf aufmerksam machen. Es geht dabei nicht um Wohltätigkeit, sondern um den angemessenen Anspruch aller Menschen auf ein würdiges Leben: Gerechtigkeit und so auch Geschlechtergerechtigkeit kann es immer nur für alle geben“, so Bischof Kohlgraf.
DBK