Material und Künstlerin in der Kritik

Wie der Krieg in Nahost den Weltgebetstag der Frauen beutelt

Stein ‐ Palästinenserinnen haben den Weltgebetstag der Frauen am 1. März 2024 vorbereitet. Lange vor dem Terrorangriff der Hamas auf Israel. Nun aber ist Krieg – und manche Christinnen sehen sich Antisemitismusvorwürfen ausgesetzt.

Erstellt: 16.11.2023
Aktualisiert: 16.11.2023
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Von Christoph Renzikowski (KNA)

Zoff um den Weltgebetstag der Frauen (WGT) gab es schon öfter. „Aber dass es so eskaliert, habe ich noch nie erlebt“, sagt die Vorstandsvorsitzende des deutschen WGT-Komitees, Ulrike Göken-Huismann. Manche E-Mails, auch aus der eigenen Bewegung, hätten sie fassungslos gemacht. Die Debatte sei „total polarisiert“. Der Vorstand stehe nun vor der Aufgabe, das „Schiff durch schwere See“ zu steuern, sagt die katholische Theologin.

Der Weltgebetstag der Frauen ist eine globale christliche Basisbewegung. Und das seit fast 100 Jahren. In 150 Ländern findet an jedem ersten Freitag im März ein ökumenischer Gottesdienst statt. Die Vorlagen und weiteres Vorbereitungsmaterial werden immer von einem anderen nationalen Komitee erarbeitet. Wer an die Reihe kommt, wird schon Jahre im Voraus festgelegt. Diesmal waren die Palästinenserinnen dran.

„Informiert beten und betend handeln“, lautet der Anspruch. So hat es Göken-Huismann im September in Berlin erklärt bei der Vorstellung des Programms für 2024. Zum Pressetermin waren Gäste von weither angereist, zum Beispiel Sally Azar. Die erste ordinierte lutherische Pastorin im Nahen Osten warnte ausdrücklich davor, Antisemitismus mit der Lage in Palästina zu verbinden. „Wir beten für die Menschenrechte“, sagte sie. Aber das war 16 Tage vor der Terror-Attacke der Hamas auf Israel. Seither befindet sich auch der Weltgebetstag gleichsam im Feuer.

Weltgebetstagkomitee nimmt Vorwürfe ernst

Die bisher schärfste Kritik von außen kommt aus den Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Deren Zentrale, der Deutsche Koordinierungsrat (DKR), veröffentlichte Ende Oktober eine Stellungnahme mit schwerwiegenden Bedenken. In Teilen des aktuellen WGT-Materials stecke „christlicher Antisemitismus schlimmster Art“. Das beginne damit, dass Palästina als „Wiege des Christentums“ beschrieben werde, ohne zu erwähnen, dass Jesus Jude gewesen sei. „Das finde ich schon ziemlich harten Tobak“, sagte DKR-Vorstandsmitglied Pfarrer Peter Noss in Frankfurt.

Unterschlagen werde auch, dass etwa 20 Prozent der Bevölkerung Israels palästinensisch seien. Die Künstlerin des zentralen WGT-Plakats, Halima Aziz, habe sich mit dem Terror der Hamas solidarisiert. Das belastete Material müsse zurückgezogen werden, der Weltgebetstag dürfe so nicht stattfinden, so die Position des DKR.

Göken-Huismann, im Hauptberuf Geistliche Leiterin der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd), lässt keinen Zweifel daran, dass sie die Vorwürfe sehr ernst nimmt. Der Plakatverkauf wurde bereits gestoppt, auch ein kritisiertes Ausmalbild für Kinder aus dem Verkehr gezogen. „Das Existenzrecht Israels ist völlig unbestritten, deshalb sind Vorwürfe gegenüber dem Weltgebetstag, antisemitisch oder antiisraelisch zu sein, ebenso unberechtigt wie unhaltbar“, betont Göken-Huismann auf der Internetseite der deutschen Weltgebetstagsfrauen.

Rund 800.000 Teilnehmende pro Jahr

Nach einer langen Komitee-Sitzung fiel am Abend des 9. November der Beschluss: Die in Palästina vorbereitete Gottesdienst-Ordnung wird in Deutschland nicht mehr weiter an die Gemeinden verbreitet. Göken-Huismann spricht von „einer der schwersten Entscheidungen ihres Lebens“.

Zu den WGT-Markenzeichen gehört, dass der einmal geplante Gottesdienst überall auf der Welt in derselben Form gefeiert wird. „Treue zur Ordnung“ nennen sie das. Ziel müsse nun sein, so viel wie möglich davon zu retten, sagt die Theologin. Allerdings müssten Lieder und auch Fürbitten überprüft werden, auch die Erfahrungsberichte von drei Palästinenserinnen bräuchten eine aktuelle Einbettung. Bis zur Jahreswende soll eine überarbeitete Gottesdienstordnung vorliegen.

Stilles Gebet, wenig Gesang und keine kulinarischen Köstlichkeiten danach wie sonst – solche Vorschläge kommen aus den Reihen der beteiligten Frauen. Und das sind nicht wenige. Etwa 800.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zählt der Weltgebetstag alleine in Deutschland jedes Jahr.

Was laut Vorstand nicht infrage steht: dass sich Frauen verschiedener christlicher Konfessionen am 1. März 2024 zu Gebet, Trauer und Klage versammeln. Und dass sie dabei den Glaubensschwestern aus Palästina Gehör verschaffen wollen.

Christinnen und Christen sind im Heiligen Land zu einer kleinen Minderheit geworden, die von allen Seiten unter Druck steht. In den Palästinensergebieten und in Israel sind es vielleicht noch 50.000, nicht mehr als ein Prozent der Bevölkerung.

„Wir brauchen behutsame Stimmen in diesem Konflikt“, sagt die evangelische Vorstandskollegin Brunhilde Raiser. In der Weltgebetstagsordnung fänden sich „kleine Pflänzchen, wie mit erlebten Verletzungen umgegangen werden kann“. Die palästinensische Bevölkerung sei von Traumata gekennzeichnet, durch den Krieg würden ihre Leiden potenziert.

Die Stellungnahme im Volltext

Stellungnahme des Vorstands

Palästina 2024: Friedensgebet wichtiger als je zuvor.
 
„…durch das Band des Friedens“, das Motto des Weltgebetstages (WGT) zu Palästina am 1. März 2024 scheint seit den unfassbaren Terrorakten der Hamas vom 7. Oktober 2023 und den Militäreinsätzen Israels im Gazastreifen mit tausenden Toten wie eine Illusion: Frieden im Heiligen Land. Ein Leben, in dem „Gerechtigkeit und Frieden sich küssen“, wie es in Psalm 85 der Gottesdienstliturgie für 2024 heißt, eine ferne Vision. Und doch eine Vision, an der der Weltgebetstag festhalten will – mit entsprechender Aktualisierung des bereits vorliegenden Materials.

„Wann, wenn nicht jetzt sollten christliche Frauen aller Konfessionen sich weltweit zu Friedensgebeten versammeln, wann wenn nicht jetzt?“ sagt die katholische Vorstandsvorsitzende des WGT, Ulrike Göken-Huismann. Allein in Deutschland nehmen jährlich rund 800.000 Menschen an Gottesdiensten und Veranstaltungen teil, in über 150 Ländern weltweit mehrere Millionen - der WGT als „einzigartige Gebetskette rings um die Welt“.

Frieden könne es in Palästina und Israel nur gemeinsam geben, so Göken-Huismann: „Das Existenzrecht Israels ist völlig unbestritten, deshalb sind Vorwürfe gegenüber dem Weltgebetstag, antisemitisch oder antiisraelisch zu sein, ebenso unberechtigt wie unhaltbar.“ So unterstützt der Weltgebetstag schon seit langem etwa Projekte und Partnerorganisationen im Westjordanland, in Gaza und in Israel, die sich für Frauen- und Menschenrechte engagieren und für einen gerechten Frieden eintreten. Zum Beispiel die Aktivistinnen der israelischen Initiative MachsomWatch, die an militärischen Checkpoints präsent sind oder die palästinensische Trauma-Beratung Wings of Hope.

„Canceln“ keine Option. „Als Weltgebetstag werben wir für Toleranz, Versöhnung und Dialog – Gebet als aktiver Beitrag zur friedlichen Konfliktlösung“, betont die evangelische Vorstandsvorsitzende des WGT, Brunhilde Raiser. „Wir sehen keinen Grund dafür, die Gottesdienstliturgie oder etwa den ganzen Weltgebetstag abzusagen, von „‘Canceln‘ kann keine Rede sein.“ Es gehe nach wie vor darum, die Stimme der christlichen Palästinenserinnen hörbar zu machen, von ihrem Glauben, ihrem Alltag und der Friedenssehnsucht nach mehr als 50 Jahren israelischer Besatzung zu erzählen.

Gleichzeitig nimmt das deutsche Komitee des Weltgebetstags Kritik und Antisemitismusvorwürfe ernst. Es prüft, wo gegebenenfalls weitere Erklärungen, kontextuelle Hinweise oder der Verzicht auf Formulierungen nötig sind. Das Material ist bereits mit teils mehreren Jahren Vorlauf entwickelt und im September 2023 veröffentlicht worden. Brunhilde Raiser: „Durch den Terrorangriff der Hamas haben sich der Bezugsrahmen und die Deutungsmöglichkeiten zum Thema Israel-Palästina in Deutschland verschoben. Deshalb braucht die Liturgie eine Einordnung und Einbettung in den aktuellen Kontext.“ 

Überarbeitung des Materials. Auf Beschluss der Mitgliederversammlung des deutschen WGT-Komitees vom 9. November 2023 sind folgende Maßnahmen geplant oder schon erfolgt:

  • Die Gottesdienstordnung soll so weit wie möglich erhalten bleiben „um die Stimmen der palästinensischen Schwestern zu Gehör zu bringen“. In der jetzigen Form wird sie nicht weiterverwendet und die Printfassung nicht mehr verkauft. Lieder und Fürbitten werden überprüft, bearbeitet und ergänzt, die drei Erfahrungsberichte werden kontextualisiert. Bis zur Jahreswende wird eine überarbeitete Gottesdienstordnung vorliegen.
  • Insgesamt braucht sie eine Einordnung in die aktuellen Kontexte im Nahen Osten und in Deutschland.
  • Titelbild und Plakat des WGT werden nicht mehr verwendet, der Verkauf ist gestoppt, da Vorwürfe gegen die Künstlerin Halima Aziz, Hamas-freundlich zu sein, nicht ausgeräumt werden konnten; die Bildauswahl war durch das internationale Komitee erfolgt.

EKD-Ratsvorsitzende: Kein Entweder-Oder. Der Weltgebetstag begrüßt die Auffassung der Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, am Rande der EKD-Synode in Ulm am 12. November, dass der Weltgebetstag 2024 zu Palästina stattfinden solle; allerdings sei die anstehende Bearbeitung des Materials dabei eine wichtige Aufgabe. Wörtlich sagte sie: „Genau da wird sich zeigen, dass wir hier nicht von einem Entweder – Oder sprechen, sondern von einer Solidarität mit Israel UND einem Blick auf das, was in Palästina geschieht.“

Ausblick. Wir hoffen und bitten Gott darum, dass es bald Frieden im Nahen Osten gibt; einen Frieden, der mit Gerechtigkeit und Vergebung einhergeht und Lebensperspektiven für alle Menschen in der Region eröffnet.

Vorstand des Weltgebetstages der Frauen, Deutsches Komitee e.V.

Stein bei Nürnberg, 13. November 2023