Flagge von Myanmar auf brüchiger Mauer
Sohn von Ex-Regierungschefin wirbt um Aufmerksamkeit

1.000 Tage Putsch in Myanmar – Neue Aufrufe zur Solidarität

Yangon/London ‐ Verdrängt durch andere Krisen – vor 1.000 Tagen putschte das Militär in Myanmar. Seitdem tobt ein blutiger Konflikt in dem ostasiatischen Staat. Neue Initiativen sollen nun wieder mehr Aufmerksamkeit bringen.

Erstellt: 05.11.2023
Aktualisiert: 03.11.2023
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Von Michael Lenz (KNA)

Ein Tattoo als Zeichen der Solidarität mit den Menschen in Myanmar – er wollte sich den „burmesischen Wasserdrachen als Symbol für Frieden und Einheit stechen lassen“, sagt der in London lebende Kim Aris der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Er lade alle Unterstützer und Spender ein, sich auch ein Tattoo dieses mythologischen Drachens stechen zu lassen. Tätowierungen mit Freiheitssymbolen sind seit dem Putsch eine populäre Form des stillen Widerstands.

Der im Exil lebende Aris hat eine besondere Verbindung zu seiner Heimat. Seine Mutter, Ex-Staatsrätin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, steht seit dem Militärputsch im Februar 2021 unter Hausarrest.

Die Machtergreifung von Oberbefehlshaber Min Aung Hlaing am 1. Februar ist nun 1.000 Tage her. Seitdem hat sich die Lage im Land dramatisch entwickelt. Rund zwei Millionen Binnenvertriebene sowie 20 Millionen Menschen in den Kriegsgebieten in Myanmar benötigen humanitäre Hilfe. Die Junta blockiert Hilfslieferungen und lässt auch Flüchtlingslager bombardieren. Für Volker Türk, UN-Hochkommissar für Menschenrechte, ist das „Unmenschlichkeit in ihrer abscheulichsten Form“.

Aris weiß, dass es um die Gesundheit seiner in Politprozessen zu 33 Jahren Gefängnis verurteilten Mutter schlecht bestellt ist, aber genaue Informationen über ihre Gesundheit hat er keine. „Man verweigert mir den Kontakt zur ihr“, sagt der 1973 als zweiter Sohn von Suu Kyi und dem inzwischen verstorbenen Michael Aris in Großbritannien geborene Mann.

Nach Angaben der „Assistance Association for Political Prisoners – Burma“ (AAPPB) befinden sich in Myanmars Gefängnisse derzeit mehr als 19.600 politische Gefangene, die unmenschlichen Bedingungen und Folter ausgesetzt sind. Kontakte zu Anwälten und Ärzten werden ihnen verweigert. Das hat der Australier Sean Turnell am eigenen Leib erfahren. „Ich erhielt eine sparsame medizinische Versorgung und das größtenteils nur aufgrund der Forderungen der australischen Botschaft“, sagt der ehemalige Wirtschaftsberater von Suu Kyi der KNA. „Meine myanmarischen Freunde im Gefängnis erhielten kaum oder gar keine ärztliche Betreuung.“ Der Wirtschaftswissenschaftler war seit dem Putsch wegen Hochverrats bis zu seiner Freilassung im Rahmen einer Amnestie im November 2022 in Haft.

Der Bürgerkrieg in Myanmar wird seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine und aktuell zusätzlich durch die Gewalt zwischen der Hamas und Israel von der medialen Öffentlichkeit kaum noch wahrgenommen. Um Aung San Suu Kyi (78) war es schon vorher still geworden, nachdem die Friedensnobelpreisträgerin 2019 vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag die gewaltsame Vertreibung Hunderttausender muslimischer Rohingya durch das Militär verteidigt hatte.

Experten sehen in einem Post-Putsch-Myanmar für „The Lady“, wie sie nach dem Film von Luc Besson aus dem Jahr 2011 über ihr Leben auch genannt wird, keine politische Zukunft. Ihre Zeit als Regierungschefin sei voller „politischer Fehltritte“ gewesen, schrieb David Scott Mathieson, einer der renommiertesten Kenner Myanmars, Anfang August in der Asia Times. „Sie mag bei den einfachen Leuten beliebt gewesen sein, aber sie trieb Keile zwischen die ethnischen, politischen und militärischen Führer, die Zivilgesellschaft.“ Die junge Generation führe jetzt eine Ethnien und Parteien übergreifende Revolution, „die die Gesellschaft Myanmars grundlegend reformieren will“.

Niemand weiß, wie die von der Außenwelt isolierte Aung San Suu Kyi zu dem bewaffneten Widerstand gegen die Militärdiktatur steht. „Meine Mutter hat sich immer für friedliche Proteste eingesetzt“, sagt ihr Sohn Kim Aris. Für ihren gewaltlosen Kampf für Demokratie erhielt Aung San Suu Kyi 1991 den Friedensnobelpreis. Aus Furcht, dass die damalige Junta ihr die Rückkehr nach Myanmar verweigert könnte, reiste sie nicht zur Preisverleihung nach Oslo. An ihrer Stelle nahmen Ehemann Michael Aris sowie die Söhne Kim und Alexander den Preis entgegen.

Lange hat sich Kim Aris nicht zu den Verhältnissen in Myanmar geäußert. Er habe sich nie in Politik einmischen wollen, sagt er. Doch nun wolle er das Bewusstsein für die Situation schärfen. „Humanitäre Hilfe ist kein Ersatz für Gerechtigkeit und Würde, aber damit sendet man den Menschen in Birma für ihren Kampf für Demokratie und grundlegenden Freiheiten eine machtvolle Botschaft der Solidarität.“