Pfarrer Prof. Dr. Thomas Schwartz, Renovabis-Präsident
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Zum 30. Geburtstag der Solidaritätsaktion für und mit Osteuropa

Hilfswerks-Chef: „Renovabis wird langsam erwachsen“

Freising  ‐ Vor 30 Jahren wurde mit Renovabis das jüngste weltkirchliche Hilfswerk der katholischen Kirche in Deutschland gegründet. Im Interview spricht Hauptgeschäftsführer Thomas Schwartz über schwierige Lektionen und seine Ideen für die Zukunft der Solidaritätsaktion.

Erstellt: 03.03.2023
Aktualisiert: 27.02.2023
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Frage: Herr Schwartz, der russische Angriff auf die Ukraine zwingt Renovabis, sein Selbstverständnis zu überdenken. Das sagten Sie vor knapp einem Jahr. Hat sich das Hilfswerk inzwischen neu erfunden?

Schwartz: Das sicher nicht. Aber wir müssen uns der neuen Situation stellen. Wir haben fast 30 Jahre lang kirchliche und zivilgesellschaftliche Strukturen aufgebaut und müssen jetzt auf einmal Hilfe zum Überleben organisieren. Das europäische Friedensprojekt ist keine Geschichte ständiger Fortschritte. Das ist eine neue Erfahrung. Keine gute, sondern eine schmerzhafte mit Folgen für unser Wirken.

Frage: Was haben Sie seit Kriegsbeginn in der Ukraine unternommen?

Schwartz: Wir haben uns dort 2022 mit zehn Millionen Euro in über 140 Projekten engagiert. Das ist Rekord. Mit dem Geld wurden Nahrungsmittel beschafft, Schutzräume mit Notstromaggregaten ausgestattet. Wir haben dafür gesorgt, dass auch die Kirchen sogenannte Wärmeorte anbieten können. Wir unterstützen die psychologische Betreuung traumatisierter Kinder. Und wir wollen, dass Menschen in der Ukraine noch eine Zukunft sehen und nicht nur im Ausland.

Frage: Was tun Sie dafür?

Schwartz: An der katholischen Universität in Lwiw haben wir 1.000 Stipendien vergeben an junge Leute, deren Eltern durch den Krieg ihre Jobs verloren haben. Dadurch fehlte das Geld für die Studiengebühren. Jetzt können sie weiterlernen. Wir fördern außerdem die Gesundheitsversorgung für besonders verletzliche Gruppen wie Diabetiker oder Dialysepatienten. Das Leben muss auch in der Krise weitergehen.

Frage: Ist von Ihren Beziehungen zur russischen Orthodoxie noch etwas übrig?

Schwartz: Das ist sehr schwierig geworden. Wir haben sporadisch Kontakt, nicht unbedingt zum Moskauer Patriarchat. Aber auch russisch-orthodoxe Priester sind gegen den Krieg und werden sanktioniert. Im Ausland suchen sie Kontakt mit uns. Was wir in begrenztem Umfang weitermachen: Wir vergeben Stipendien für ein Studium in Westeuropa, wobei wir uns die Kandidaten genau anschauen. Und natürlich arbeiten wir weiter mit den Katholiken in Russland zusammen, die es gerade nicht leicht haben, weil es sogar sein kann, dass sie als ausländische Agenten betrachtet werden.

Frage: Renovabis ist Latein und heißt: Du wirst erneuern. Wie steht es um Innovationen bei Ihnen?

Schwartz: Unsere Zuschüsse aus der Kirchensteuer werden absehbar sinken. Darauf müssen wir reagieren. Ich sehe große Chancen in der Kooperation mit Unternehmen. Es gibt deutsche Firmen, die in Ost- und Südosteuropa tätig sind und dort Gutes tun möchten, aber häufig Angst haben vor staatlicher Regulierung oder Korruption. Da können wir uns als Partner anbieten und ihnen mit gutem Gewissen sagen, welche Projekte sich lohnen: für sie, für die Menschen dort und für die Kirche.

Frage: 30 Jahre, da ist die Jugend endgültig vorbei. Wie ist das bei Renovabis?

Schwartz: Ja, Renovabis wird langsam erwachsen.

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Renovabis setzt sich auch für Versöhnung und Frieden ein. (Symbolbild)

Frage: Worin zeigt sich das?

Schwartz: Dass wir lernen, auch mit Rückschlägen umzugehen. Dass es im Dialog mit unseren Partnern auch mal ruckeln darf. Das Ernstnehmen unterschiedlicher Vorstellungen, ohne die wechselseitige Wertschätzung zu verlieren, gehört zum Reifeprozess dazu.

Frage: Das Thema Missbrauch im Raum der Kirche hat inzwischen auch die Hilfswerke erreicht. Wie sieht Ihre Reaktion aus?

Schwartz: Schutz- und Aufklärungskonzepte sind wichtig. Aber wir müssen noch viel stärker in die Prävention gehen. Zum Beispiel unterstützen wir die katholische Universität in Zagreb, die dazu landesweit Schulungen durchführt. Ehrlich gesagt, sehen nicht alle Bischofskonferenzen in unseren Partnerländern das als erste Priorität an. Man hält sexuellen Missbrauch dort bisweilen für ein Problem des Westens, da habe ich schon harte Diskussionen geführt. Diesen gehen wir nicht aus dem Weg, dafür ist uns das Thema zu wichtig.

„Renovabis wird langsam erwachsen“

—  Zitat: Renovabis-Hauptgeschäftsführer Pfarrer Prof. Dr. Thomas Schwartz

Frage: Wie verhindern Sie, dass von Ihnen gesteuerte Projektmittel in missbrauchsanfällige Strukturen fließen?

Schwartz: Wir fordern ab Mai von jedem Partner ein Präventionskonzept, dokumentierte Schulungen und Schritte zu mehr Transparenz. Sonst gibt es kein Geld mehr. Diese klare Ansage hat Wirkung: Unsere Partner merken, dass wir es ernst meinen.

Frage: Im Jubiläumsjahr rücken Sie die Arbeitsmigration in den Fokus. Deutschland braucht dringend Fachkräfte, auch aus dem Ausland. Entwicklungsexperten warnen zugleich vor einem „Braindrain“ in den Anwerbeländern. Wie lässt sich diesem Dilemma entkommen?

Schwartz: Die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa ist ein hohes Gut. Aber: Verlassen gut ausgebildete Menschen ihre Heimat, fehlen sie dort nicht nur. Ihr Staat hat dann auch vergebens in ihre Bildung investiert. Dafür sollte er eine Rückvergütung erhalten. Europäische Solidarität kann nicht heißen, dass die einen nur den Nutzen haben und die anderen auf den Kosten sitzenbleiben.

Frage: Kennen Sie gelungene Beispiele für Arbeitsmigration?

Schwartz: Ja. Aus Rumänien, wo immerhin 30 Prozent der Berufstätigen ihr Geld im Ausland verdienen. Die Caritas Alba Julia hat ein Projekt mit häuslicher Pflege in der Schweiz: Von ihr ausgebildete Alten- und Krankenpflegehelfer gehen für zwei, drei Monate in die Schweiz zu bewährten Partnern. Sie verdienen dort etwa fünfmal so viel wie daheim, leben im Haushalt der Pflegebedürftigen mit. Die Caritas Alba Julia begleitet sie und hilft bei Problemen. Und sie garantiert den Frauen einen Job nach ihrer Rückkehr.

Nur zwei von 100 Rumäninnen bleiben in der Schweiz, die meisten wollen langfristig daheim bei ihrer Familie sein. Das ist ein beispielgebendes Modell fairer Arbeitsmigration zwischen Ost und West. Wenn so etwas mit der Schweiz funktioniert, sollte das auch in Deutschland klappen.

Die Fragen stellte Christoph Renzikowski (KNA)