„Den Kindern geht es nicht sehr gut“
Wau/Aachen ‐ Mit einer mobilen Klinik erbringen die Salesianerinnen im südsudanesischen Bistum Wau verschiedene Gesundheitsdienstleistungen. Koordinatorin Tatjana Gerber, Betriebswirtin und Krankenschwester aus Hamburg, berichtet davon, welche Folgen Pandemie und Ukraine-Krieg für diese Arbeit haben.
Aktualisiert: 07.10.2022
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„Mit den richtigen Medikamenten gegen Malaria, Durchfall und andere Krankheiten werden die meisten Kinder schnell wieder gesund – ohne Behandlung würden viele von ihnen nicht überleben“, erzählt Tatjana Gerber (53). Die ausgebildete Krankenschwester und Diplom-Betriebswirtin aus Hamburg arbeitet als Gesundheitskoordinatorin der Diözese Wau im Westen des Südsudans. In einem der ärmsten Länder Afrikas sind Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Ein Kind mit Medikamenten gegen Malaria zu behandeln, kostet vor Ort lediglich zwei Euro. Für Menschen im Südsudan oft unerschwinglich.
Das Kindermissionswerk ‚Die Sternsinger‘ fördert verschiedene Gesundheitseinrichtungen im Bistum Wau, unter anderem eine mobile Klinik der Salesianerinnen. Die Klinik fährt zweimal pro Woche in die Dörfer der Umgebung. Bei der zurückliegenden Aktion Dreikönigssingen zum Jahresbeginn 2022 stand das Thema Gesundheit im Mittelpunkt, der Südsudan war eines der Beispielländer.
Frage: Frau Gerber, die wichtigste Frage zu Beginn: Wie geht es den Kindern im Südsudan?
Tatjana Gerber: Es gibt zwei Perspektiven. Einmal die afrikanische Perspektive: Es geht den Kindern jetzt wesentlich besser als während der Corona-Pandemie, weil ein Jahr lang die Schulen geschlossen waren. Viele Mädchen sind damals schwanger geworden, einfach auch, weil viele Jugendliche nichts zu tun hatten. Die Kinder haben sich dann riesig gefreut, als die Schule wieder anfing nach über einem Jahr. Unsere Perspektive ist eine andere: Ich würde sagen, den Kindern geht es nicht sehr gut. Vor allem, wenn ich das mit vielen Nachbarländern des Südsudans vergleiche, wie Kenia oder Uganda. Den Kindern geht es wesentlich schlechter, weil die Familien sehr viel weniger finanzielle Mittel zur Verfügung haben. Viele Familien haben überhaupt kein Geld und betreiben Tauschgeschäfte. Was im Moment besonders schwierig ist: Die Schulgebühren haben sich wesentlich erhöht. Das hat zur Folge, dass weniger Eltern ihre Kinder in die Schule schicken können.
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Frage: Was hat sich seit Ausbruch des Corona-Virus‘ geändert?
Gerber: Auf das direkte Leben der Menschen in den Dörfern hat Corona keinen Einfluss, in den Städten schon. Dort werden andere Voraussetzungen von der Regierung gefordert. Die größte Auswirkung ist, dass alle Medizinprodukte teurer geworden sind. Vor allem die Transportkosten sind teurer geworden. Ein Beispiel: Für eine Graue-Star-Kampagne muss ich in der 600 Kilometer entfernten Hauptstadt Materialien kaufen. Die werden mit dem Flugzeug gebracht. Das hat vor der Pandemie 4.000 Dollar gekostet, jetzt kostet es 7.000 Dollar. Ein anderes Beispiel: Früher haben wir 50 medizinische Masken für 2,50 Dollar eingekauft. Zwischenzeitlich ist der Preis auf 50 Dollar angestiegen.
In den Städten kann man sich mittlerweile auf Corona testen lassen, aber in den Dörfern ist Corona so gut wie gar kein Thema. Es trägt dort niemand Maske, und es ist auch niemand geimpft. Es findet natürlich auch auf dem Land alles draußen statt. Zwar haben die Menschen von Corona gehört, nehmen die Krankheit aber nicht ernst, weil Corona sie gar nicht betrifft.
Frage: Welche Auswirkungen hat der Ukraine-Krieg?
Gerber: Durch den Ukraine-Krieg sind viele Dinge teurer geworden, vor allem wegen der gestiegenen Benzinpreise. Die sind auf das Doppelte angestiegen. Früher kostete der Liter Diesel einen Dollar, jetzt zwei Dollar.
Frage: Wie arbeitet die mobile Klinik? Wie oft fährt sie in die Dörfer?
Gerber: Die mobile Klinik fährt zweimal pro Woche in unterschiedliche Dörfer rund um Wau, sodass sie alle zwei Wochen wieder im selben Dorf ist. Die mobile Klinik wird sehr gut angenommen. Wenn die Menschen das Auto sehen, kommen sie meist schnell. Das spricht sich rum. Im Dorf werden vier Tische aufgebaut: zwei Labortische, wo die Malaria-Tests oder auch Schwangerschaftstest gemacht werden, ein Tisch, an dem der Arzt sitzt und die Kinder und ihre Mütter untersucht, und ein Tisch, an dem die Medikamente ausgegeben werden.
Die Menschen müssen für die Behandlung und die Medikamente nichts bezahlen. In den Dörfern, die die mobile Klinik anfährt, haben die Menschen gar kein Geld. Sie sind Bauern und bauen das, was sie essen, selbst an. Meist bleibt aber nicht genug übrig, um davon etwas zu verkaufen.
Frage: Was sind die häufigsten Krankheiten bei Kindern, die zur mobilen Klinik kommen?
Gerber: Malaria, obere Atemwegserkrankungen und Durchfall. Malaria gibt es das ganze Jahr, die anderen beiden Krankheiten saisonal. Der Durchfall kommt in der Regenzeit, weil alles verschmutzt ist. Die Atemwegserkrankungen gibt es häufiger in der Trockenzeit. Wir haben einen kalten Monat, das ist der Januar. Da können es manchmal nachts acht Grad sein. Die Menschen haben aber keine Jacken und keine Decken. Da erkälten sich viele Kinder, weil sie einfach nicht genug Kleidung haben, um sich zu schützen.
Frage: Was hat sich seit der Sternsinger-Aktion zum Jahresbeginn verändert?
Gerber: Dank der Spenden aus Deutschland konnten wir genug Medikamente für unsere drei Gesundheitsstationen für die nächsten sechs bis acht Monate kaufen, und die sind vor kurzem angekommen.
Frage: Was wird im südsudanesischen Gesundheitssektor am dringendsten gebraucht?
Gerber: Den größten Mangel im Gesundheitsbereich hat der Südsudan an medizinischem Fachpersonal. Mittlerweile gibt es zwar relativ viel Pflegepersonal, aber es gibt so gut wie keine Spezialisten. Was mich immer am meisten erschreckt, ist, dass Kinder im Rollstuhl sitzen, weil sie keine adäquate Versorgung bekommen haben. Manche Kinder werden mit Klumpfüßen geboren, und eigentlich gibt es eine ganz einfache Behandlung, um diese Kinder zu heilen. Diese Kinder bräuchten über einen Zeitraum von rund drei Monaten einen Gips, der den Fuß in die richtige Stellung bringt. Das macht mich immer sehr traurig, dass Menschen im Rollstuhl sitzen, die eigentlich nicht im Rollstuhl sitzen müssten. Oder auch Menschen, die sterben und nicht hätten sterben müssen, wenn es einen Facharzt gegeben hätte, der sie hätte behandeln können. Im Südsudan kann kaum eine medizinische Grundversorgung gewährleistet werden. Darüber hinaus ist fast nichts möglich. Es fehlt außerdem an Bildungsmöglichkeiten für Mediziner. Wenn sie sich fachspezifisch bilden wollen, müssen sie ins Ausland gehen. Zum Beispiel muss jemand, der Kinder- oder Zahnarzt werden will, nach Kenia, Tansania oder Uganda gehen. Und das ist sehr kostspielig.
Für die Grundversorgung braucht der Südsudan aber auch viel mehr Gesundheitsstationen. Deshalb haben wir die mobile Klinik, damit wir mehr Menschen erreichen können.