Zeit verschenken
„Das kann nicht alles sein im Leben“, dachte sich Carolin Krummacker, heute Referentin für Freiwilligendienste beim Kindermissionswerk „Die Sternsinger“. Deshalb beschloss sie einen Freiwilligendienst im Ausland zu machen.
Aktualisiert: 07.07.2022
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Der Schulabschluss rückt immer näher. In der Schule wird es ernst – und was dann? Studieren? Eine Ausbildung machen? Sofort wieder weiter lernen, arbeiten, Leistung bringen? „Das kann nicht alles sein im Leben“, dachte sich Carolin Krummacker, heute Referentin für Freiwilligendienste beim Kindermissionswerk „Die Sternsinger“. Deshalb beschloss sie einen Freiwilligendienst im Ausland zu machen.
Das war vor zehn Jahren. „Damals gab es öffentliche Förderprogramme wie ‚weltwärts‘ noch nicht“, erinnert sich Krummacker. Tatsächlich gibt es heute eine Vielzahl an Programmen, Organisationen und Unternehmen, die junge Leute ins Ausland schicken. Auch Misereor, das Kindermissionswerk „Die Sternsinger“ und Missio Aachen bieten Freiwilligendienste an. Dabei werden die kirchlichen Hilfswerke vom „weltwärts“-Programm des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unterstützt.
Der Freiwilligendienst als Jahr zum Lernen und Zeit verschenken
Unser Dienst ist ein Lerndienst“, sind sich Krummacker vom Kindermissionswerk und Katharina Koller von Misereor einig. „Die Freiwilligen erwarten oft, dass sie viel verändern können, aber sie müssen sich vor Ort erst einmal umschauen“, erläutert Koller. Die junge Frau ist bei Misereor für den Bereich Freiwilligendienste zuständig. „Wenn man zehn Monate lang mit einer Gruppe von Kindern gearbeitet und in dieser Zeit einen Unterschied für sie gemacht hat, dann hat man dort schon viel bewegt“, betont Koller, die vor drei Jahren selbst einen Freiwilligendienst in Thailand geleistet hat.
Für Krummacker ist dieses „Ziel schon erreicht, wenn sich die Freiwilligen voll und ganz auf die Umgebung einlassen, mitarbeiten, mitleben, viel aufnehmen und ihre Zeit verschenken“. Genau das wollte die 29-Jährige auch in ihrem eigenen Freiwilligendienst in Brasilien tun. Sie habe sich während der Schulzeit sehr in der Leistungsgesellschaft gefangen gefühlt. „Ich wollte einfach mal etwas ganz anderes machen und mich Anderen widmen“, erläutert Krummacker ihren Entschluss zu einem Freiwilligendienst im Ausland.
Wer passt am besten zu den Projekten? Die Auswahl der Freiwilligen
Wie die Freiwilligendienst-Referentinnen berichten, schickt Misereor jedes Jahr im Schnitt 14 junge Leute ins Ausland, beim gemeinsamen Freiwilligendienst von Missio und dem Kindermissionswerk sind es 30. Die Nachfrage sei groß. So gebe es mindestens dreimal so viele Bewerber wie Plätze. Da muss eine Auswahl getroffen werden.
„Wichtig ist uns, dass die Bewerber Engagement mitbringen und Erfahrungen mit Kindern und Jugendlichen haben. Außerdem sollen die jungen Erwachsenen etwas mit kirchlichen Strukturen anfangen können, weil wir kirchliche Organisationen sind und unsere Partnerorganisationen die Religion noch vielmehr ausleben als wir es hier in Deutschland tun“, erklärt Krummacker. „Wir brauchen junge Leute, die Initiative zeigen und mit anpacken, sich anpassen können, flexibel und bereit sind, auch mal zurückzustecken“, fasst Koller die Anforderungen an die Freiwilligen zusammen.
Ausschlaggebend sei die Bewerbung. In einem persönlichen Schreiben müsse der Bewerber seine Motivation erläutern und dabei darlegen „was ihn dazu bewegt sich gerade bei uns zu bewerben“, so Krummacker. Bei Misereor gibt es darüber hinaus ein Auswahlwochenende im Januar. „In den zwei Tagen wollen wir die Bewerber näher kennenlernen. Es ist uns wichtig, dass sie sich mit uns vertraut machen. Da muss die Chemie stimmen“, betont Koller.
Vorbereitung auf den Freiwilligendienst
Wenn die Entscheidung gefallen ist, beginnt die umfangreiche Vorbereitung auf das Auslandsjahr. Beide Hilfswerke bieten Vorbereitungsseminare an, die für die zukünftigen Freiwilligen verpflichtend sind. „Wir wollen, dass die Freiwilligen versuchen, sich schon im Vorfeld in die andere Kultur hineinzudenken, damit man vor Ort mehr versteht und mehr mitnehmen kann“, erklärt Krummacker.
Zum einen bekämen die Freiwilligen auf den Seminaren organisatorische Informationen. Außerdem würden Sicherheitsfragen geklärt und über Versicherung und Gesundheit gesprochen. „Bei Krankheit wissen die Partner vor Ort, was am besten zu tun ist“, erklärt Anna Steinacher, die zusammen mit Koller die Misereor-Freiwilligendienste koordiniert. „Unsere Partner haben einen speziellen Blick auf die Freiwilligen“, versichert auch ihre Kollegin Koller.
„Kriminalität ist schon ein Thema“, gibt Steinacher in diesem Zusammenhang zu bedenken. „ Wir fallen auf, schon allein durch unsere Hautfarbe.“ „Es ist ein Risiko“, sagt auch Krummacker vom Kindermissionswerk. „Wir können die Freiwilligen aber bis zu einem gewissen Grad darauf vorbereiten. Wir führen etwa Rollenspiele durch, wie man bei einem Überfall reagiert. Aber dass sie z. B. Opfer von Taschendiebstahl werden können, kann man nie ganz vermeiden.“
Neben dem Organisatorischen spielt auch die inhaltliche Vorbereitung eine große Rolle. Besonders wichtig sei hier das Thema interkulturelle Kommunikation. „Da treten die meisten Probleme auf, wenn unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen“, weiß Krummacker. Zudem gehöre zu der eigenen Vorbereitung auch das Lernen der jeweiligen Landessprache. „Man muss ein gutes Sprachvermögen in Englisch bzw. Französisch mitbringen“, erklärt Koller. Lokale Sprachen solle jeder junge Erwachsene nach eigenem Ermessen lernen. „Wir legen zwar kein bestimmtes Sprachlevel fest“, so Krummacker, „aber wir betonen immer wieder, dass die Freiwilligen ihr Bestes geben und so gut und so viel lernen sollen wie sie können, sodass sie bei der Ausreise eine gute Basis haben. Letztendlich wird es auf sie selber zurückfallen.“
Betreuung, Unterbringung, Ferien
Die Aussendung der Freiwilligen findet traditionell im Sommer statt. Während der Freiwilligendienst von Misereor zehn Monate dauert, verbringen die Freiwilligen des Kindermissionswerks und Missio ein ganzes Jahr im Ausland.
Vor Ort wird ihnen ein Mentor als Vertrauensperson zur Seite gestellt. Darüber hinaus sind die Freiwilligen zum Teil auf sich allein gestellt. „Wir entsenden zwischen ein bis zwei Freiwillige in einen Einsatzort“, erklärt Koller. Da manche Projekte an mehreren Einsatzorten durchgeführt würden, arbeiteten bis zu vier junge Erwachsene in einem Misereor-Projekt mit. „Wenn man zu zweit vor Ort ist, kann man sich gegenseitig stärken und traut sich in manchen Situationen vielleicht mehr zu“, erklärt Koller die Vorteile eines gemeinsamen Freiwilligen-Einsatzes. „Gleichzeitig möchten wir, dass jeder seine eigenen Erfahrungen macht und ganz in die Kultur eintaucht. Man nimmt mehr mit, wenn man alleine geht“, sagt die 26-jährige Referentin. Den gleichen Ansatz verfolgen auch das Kindermissionswerk und Missio in ihrem Freiwilligenprogramm.
Während ihres Auslandsjahrs wohnen die Jugendlichen ganz unterschiedlich – „mal alleine, mal zusammen mit Freiwilligen aus anderen Projekten oder direkt beim Projektpartner“, erzählt Koller. Freie Tage und Urlaubsansprüche haben die Freiwilligen wie ganz normale Arbeitnehmer. „Uns geht es darum, dass die Freiwilligen nicht nur zum Reisen da sind, sondern ihren Dienst auch als ganz normale Arbeit wahrnehmen“, betont die Misereor-Referentin.
Wie geht es nach dem Auslandsjahr weiter?
Dafür nähmen die Freiwilligen aber umso mehr mit. „Sie kommen sehr bereichert zurück und haben einen ganz anderen Blick auf die Welt. Deutschland wird oft auch sehr kritisch gesehen, zum Beispiel die Entwicklungspolitik der Bundesregierung“, berichtet Koller.
Wieder in Deutschland angekommen bleibe die Euphorie über das wohlhabende Land oftmals aus. „Viele merken, dass wir eigentlich arm sind. Wir leben in einer Ich-Gesellschaft“, erläutert Kollers Kollegin Steinacher. Viele der rückgekehrten Jugendlichen seien der Meinung, „wir würden uns zu sehr darauf konzentrieren, Karriere zu machen und Geld zu verdienen“. Damit die Freiwilligen mit diesen Gefühlen und Erlebnissen nicht alleine gelassen werden, organisieren die Hilfswerke Rückkehrer-Seminare, in denen die Eindrücke aufgefangen und das Erlebte mit anderen jungen Erwachsenen besprochen wird.
Viele Freiwillige möchten sich weiter engagieren, wenn sie zurück in Deutschland sind, wissen Koller und Steinacher. „Deshalb bieten wir verschiedene Angebote und Projekte an, die Misereor in Deutschland durchführt. Wir können Anstöße geben und Kontakte vermitteln“, so Steinacher.
„Das Schöne ist, dass Viele weiterhin mit den anderen Freiwilligen Kontakt halten und zweimal im Jahr bei unserem Rückkehrer-Wochenende mitmachen“, freut sich Koller. Wie bereichernd ein internationaler Freiwilligendienst sein kann, spürt auch Krummacker noch heute – 10 Jahre nach ihrem eigenen Auslandsaufenthalt in Brasilien. „Ich denke so oft an diese Zeit zurück“, erzählt sie. „Ich bin damals offen losgezogen und es war super dass ich mich völlig auf das Land eingelassen habe. Ich habe alles aufgesogen, wollte alles sehen und verstehen.“ Jeder, der Interesse daran habe, eine neue Erfahrung zu machen und in einer ganz anderen Welt zu leben, solle sich auf das Abenteuer Freiwilligendienst einlassen, empfiehlt die junge Frau. „Es ist eine unglaubliche Bereicherung für das Leben.“