Fairer Handel

Fairer Handel im Aufbruch

Welche Probleme bringt die steigende Nachfrage nach fair gehandelten Produkten?

Erstellt: 21.04.2017
Aktualisiert: 26.07.2022
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In Stuttgart findet seit 2005 jährlich die Messe Fair Handeln statt, die immer mehr Bereiche des fairen Handels, der Nachhaltigkeit und der Entwicklungs- zusammenarbeit erschließt. Dabei wird deutlich: Die Nachfrage nach fairen Produkten steigt zunehmend, doch das bringt auch Probleme mit sich. Darüber sprachen wir mit Klaus Weingärtner, dem stellvertretenden Geschäftsführer der an der Messe beteiligten Stiftung für Entwicklungszusammenarbeit Baden-Württemberg (SEZ), zu deren Partnern auch Missio gehört.

Frage: Herr Weingärtner, das Spektrum der Messe Fair Handeln umfasst die Themen Wirtschaft, Finanzwesen, Tourismus, Konsum und Entwicklungszusammenarbeit. Was ist in Ihren Augen zurzeit die vielversprechendste Branche?

Weingärtner: Neben den klassischen Fair-Trade-Lebensmitteln sind hier die Bereiche nachhaltiger Tourismus, nachhaltiges Finanzwesen, sowie verantwortliche Unternehmensführung, also Corporate social responsibility (CSR), vertreten. Neu in diesem Jahr ist der Sonderbereich Future Fashion, also junge, nachhaltige Mode, die wir als den ausbaufähigen Bereich sehen und den wir ab dem nächsten Jahr viel stärker bewerben werden. Das ist der Bereich, wo wir sagen: Da sind Wachstum und Nachfrage drin. Da können wir in den nächsten Jahren das Bewusstsein der Bevölkerung mit Sicherheit noch weiter sensibilisieren.

Frage: Am 27. April stimmt das EU-Parlament über gemeinsame Arbeits- und Umweltstandards im Textilhandel ab, die auch Fabrikarbeitern in armen Ländern zugute kommen würden. Sind Sie optimistisch, dass sich die EU einigen wird?

Weingärtner: Ich glaube man darf nicht zu optimistisch sein. Mit Sicherheit kann die EU einheitliche Regeln einführen, aber wichtig ist es, hierbei auch die Industrie mitzunehmen – hier in Europa, aber auch im globalen Süden und in den Herstellungsländern, sodass ein Gleichgewicht entsteht. Momentan bestimmt immer noch der Preis die Nachfrage. Von daher glauben wir schon, dass einheitliche Standards wichtig wären, aber die Umsetzung wird schwierig und aufwändig werden.

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Video: © katholisch.de/Weltkirche

Mit dem Misereor-Referenten für Fairen Handel, Wilfried Wunden, sprachen wir über Fast Fashion und die Möglichkeiten, sich fair und nachhaltig anzuziehen.

Frage: Fair-Trade-Produkte werden zunehmend massentauglich und auch in großen Supermarkt-Ketten angeboten. Gleichzeitig geht dadurch der Anteil der fairen Zutaten zurück: Mischprodukte wie Eis, Müsli oder Kekse haben zum Teil nur noch einen Anteil von rund 20 Prozent an fairen Zutaten. Wird der Fair-Trade-Begriff zunehmend aufgeweicht?

Weingärtner: Sicher, der Begriff wird aufgeweicht. Aber man muss auch sehen: Der Faire Handel hat die Industrie ja dafür gewinnen können, noch mehr Fair-Trade-Produkte abzunehmen. Für die Produzenten ist das ein Gewinn. Auf Nutzerseite wäre es nur wichtig, dass sie Klarheit und Transparenz erhalten, was in den Fair-Trade-Produkten enthalten ist. Wenn das nur ganz klein auf dem Etikett steht und der Kunde keine richtige Erklärung und Transparenz über die Herkunft der Inhalte erhält, dann könnte das dem fairen Handel schaden. Aus diesem Dilemma kann man nur rauskommen, indem man dieses Thema offensiv auf den Verkaufsverpackungen und in der Werbung angeht. Die Anbieter müssen einfach dazu stehen, dass die Nachfrage nach reinen Fair-Trade-Produkten im Moment gar nicht abgedeckt werden kann.

„Die Nachfrage nach reinen Fair-Trade-Produkten kann im Moment gar nicht abgedeckt werden.“

—  Zitat: Klaus Weingärtner, stellvertretender Geschäftsführer der SEZ

Frage: Die Gepa hat sich als Reaktion auf diese Entwicklung bei den Fair-Handelskriterien vom Fair-Trade-Siegel verabschiedet und das Label „fair +“ geschaffen. Ist dieser „Fairness-Wettbewerb“ hilfreich?

Weingärtner: Es war ja schon immer so, dass nicht alle Produkte mit Fair-Handels-Siegeln gelistet waren. Anders als im Bio-Bereich haben wir keine einheitliche Bezeichnung und es gibt eben nur für eine kleine Gruppe von Produkten das Fair-Trade-Siegel von Transfair. Der Rest wird frei von den sogenannten Fair-Händlern gestellt, deren Produkte zwar nicht gekennzeichnet sind, aber dennoch als fair gehandelt gelten. Die Gepa hat das Fair-Trade-Siegel ja auf ihre Produkte gebracht, um diese in die Supermärkte zu bringen. Wenn jetzt aber jeder mit seinem eigenen Label aufwartet, wird es für den Nutzer immer schwieriger, sich im Fair-Trade-Dschungel zurechtzufinden. So kommen wir im Fairen Handel nicht weiter.

Frage: Eine Kritik an fair gehandelten Produkten ist auch, dass die Erzeuger die Rohwaren nach wie vor an die Industrieländer verkaufen und die Produkte nicht im eigenen Land verarbeiten und auch verkaufen. In welche Richtung bewegt sich der Faire Handel da?

Weingärtner: Da gibt es sicher noch Nachholbedarf. Allerdings nicht beim Fairen Handel, sondern bei den Regierungen der Industrienationen mit ihren jeweiligen Zollbestimmungen. Hier müssen weiterverarbeitete Produkte genau so leicht eingeführt werden können wie Rohprodukte. Auch die Lebensmittelbestimmungen der Herkunftsländer sind nicht immer eins zu eins auf die EU-Länder übertragbar. Natürlich wollen die Abnehmerländer auch ihre eigene Industrie schützen und nur die Rohware abnehmen und hierzulande weiterverarbeiten. Denn das schafft dann hier Arbeitsplätze und bringt hier den Mehrwert. Es gibt einige Produkte, die in den Herkunftsländern fertig produziert und nach Europa transportiert werden – aber das ist noch ein sehr kleiner Teil. Wenn wir uns nur den Kaffee ansehen: der kommt aufgrund der Zollformalitäten fast immer als Rohprodukt zu uns! Der Faire Handel kann da zwar politisch aktiv werden, aber nicht die Wende herbeiführen.

„Der freie Handel käme dem fairen Handel zugute.“

—  Zitat: Klaus Weingärtner, stellvertretender Geschäftsführer der SEZ
Klaus Weingärtner blickt in die Kamera
Bild: © SEZ

Klaus Weingärtner, stellvertretender Geschäftsführer der Stiftung für Entwicklungszusammenarbeit Baden-Württemberg (SEZ)

Frage: Wie sehen Sie die Zukunft des Fairen Handels in Zeiten von Donald Trump und politischen Kräften in Europa, die auf eine Abschottung der nationalen Märkte zielen?

Weingärtner: Leider sehe ich das nicht sehr optimistisch. Gerade der freie Handel käme auch dem fairen Handel zugute. Durch eine Abschottung der Märkte würden wir mit dem fairen Handel auch ein Stück weit zurückfallen. Wir würden uns natürlich wünschen, wenn sich der freie Handel mit klaren Abmachungen durchsetzt und somit auch der faire Handel weltweit an Geltung gewinnt. Sonst müssen wir hier immer von fairem Handel sprechen, können aber letztendlich gar nicht fair handeln, weil uns die Möglichkeiten dazu politisch nicht gegeben sind.

Frage: Was stimmt Sie denn unter dem Eindruck der aktuellen Messe optimistisch, dass der Faire Handel dennoch eine gute Zukunft hat?

Weingärtner: Die Aussagen der Aussteller stimmen mich sehr optimistisch. Die Generation der 20 bis 30-Jährigen ist nach ihren Aussagen bei Nachhaltigkeit und Ökologie in einer Aufbruchsstimmung. Sie seien auch bereit, etwas mehr zu bezahlen für Ware, bei der klar nachzuvollziehen ist, wie deren Herstellung zustande kam und wie die Wertschöpfungskette aussieht. Auch der nachhaltige Tourismus stimmt uns positiv: Die Kontinente Lateinamerika und Afrika liegen momentan im Trend und da ist auch Fachwissen gefragt, das bei den Anbietern im nachhaltigen Tourismus vorhanden ist, da viele der Mitarbeiter lange in diesen Ländern gelebt haben und vor Ort reelle Partner auswählen. Der nachhaltige Tourismus ist zwar ein langsam wachsender Markt, aber er wächst und ist sehr hoffnungsvoll.

Von Das Interview führte Claudia Zeisel