Argentiniens Kirche untersucht eigene Rolle in Militärdiktatur
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Argentiniens Kirche untersucht eigene Rolle in Militärdiktatur

Den Stein ins Rollen brachte der frühere argentinische Diktator Jorge Rafael Videla höchstpersönlich. In einem Interview mit dem Magazin „El Sur“ bezichtigte Videla die Argentinische Bischofskonferenz vor einigen Monaten der Mitwisserschaft. Der Ex-Juntachef erklärte in einem Aufsehen erregenden Interview eher beiläufig, die Bischöfe des südamerikanischen Landes hätten von Fällen verschwundener Oppositioneller gewusst.

Erstellt: 16.11.2012
Aktualisiert: 11.07.2015
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Den Stein ins Rollen brachte der frühere argentinische Diktator Jorge Rafael Videla höchstpersönlich. In einem Interview mit dem Magazin „El Sur“ bezichtigte Videla die Argentinische Bischofskonferenz vor einigen Monaten der Mitwisserschaft. Der Ex-Juntachef erklärte in einem Aufsehen erregenden Interview eher beiläufig, die Bischöfe des südamerikanischen Landes hätten von Fällen verschwundener Oppositioneller gewusst.

„In meinem Leben habe ich mit vielen Leuten darüber gesprochen. Mit der Argentinischen Bischofskonferenz, nicht mit allen, aber mit einigen Bischöfen. Mit ihnen hatten wir viele Gespräche. Auch mit dem Apostolischen Nuntius Pio Laghi. Sie haben uns beraten wie wir das Thema behandeln können“, zitierte „El Sur“ den Ex-Diktator.

Die Kirche habe das Überbringen der Todesnachrichten übernommen, so Videla weiter. Sie habe sich dafür eingesetzt, dass die Familien über den Verbleib ihrer Kinder informiert wurden, auch wenn sie damit einen Teil des Risikos auf sich genommen habe. Familien, bei denen sicher gewesen sei, dass sie die Information nicht politisch nutzen würden, habe die Kirche mitgeteilt, dass sie ihr Kind nicht länger zu suchen brauchten, weil es tot sei.

Schluss mit Spekulationen

Seitdem müssen sich die argentinischen Bischöfe unangenehmen Fragen stellen. Die vielen Menschenrechtsverbrechen während der Diktatur belasten noch heute die argentinische Gesellschaft. Die jüngsten Enthüllungen Videlas lassen alte Wunden aufbrechen. Spekulationen über geheime Absprachen machen die Runde, prominente Bischöfe stehen unter Generalverdacht. Damit soll nun Schluss sein. Die katholische Kirche Argentiniens kündigte jüngst an, die eigene Rolle während der Militärdiktatur (1976–1983) ausführlich untersuchen zu lassen. „Wir fühlen uns verpflichtet, eine umfassende Untersuchung zu den Vorfällen zu erstellen, um die ganze Wahrheit ans Licht zu bringen“, schrieben die Bischöfe in ihrer Ankündigung.

Druck seitens der Gesellschaft

Die Kirche reagierte damit auf zunehmenden Druck aus allen Teilen der Gesellschaft. Erst vor wenigen Wochen hatten 350 Christen, darunter zahlreiche Prominente, mit einem offenen Brief an die Argentinische Bischofskonferenz Aufklärung gefordert. Die Unterzeichner verlangten eine sofortige Reaktion auf die von Videla eingeräumte Nähe zur Kirche und kritisierten das „unverständliche Schweigen der argentinischen Bischöfe“. Unter den Unterzeichnern waren unter anderem Estela de Carlotto, die Präsidentin der „Großmütter des Plaza de Mayo“, die Journalisten Liliana Lopez Foresi, Victor Hugo Morales und Gustavo Cirelli sowie Musiker und Unesco-Botschafter Miguel Angel Estrella. Auch zahlreiche Geistliche wie der Koordinator der Gruppe „Option für die Armen“, Eduardo de la Serna, unterstützten den Appell.

Argentiniens Ex-Diktator Videla hat derweil keine Konsequenzen mehr zu befürchten. Er war erst Anfang Juli zu 50 Jahren Haft verurteilt worden. Ein Gericht in der Hauptstadt Buenos Aires befand den heute 87-jährigen General für schuldig, während der Militärdiktatur in 35 Fällen Neugeborene von politischen Gefangenen zur Adoption durch Regierungsanhänger freigegeben zu haben. Videla verbüßt bereits wegen anderer Verbrechen gegen die Menschlichkeit mehrere Haftstrafen.

Von Tobias Käufer