Nach der Schule einmal um die Welt?
Freiwilligendienste sind äußerst beliebt bei jungen Menschen, vor allem seit die Bundesregierung mit dem Internationaler Jugendfreiwilligendienst (IJFD) und dem weltwärts-Programm diese finanziell fördert. Trotzdem stehen die Träger vor großen Herausforderungen.
Aktualisiert: 11.07.2015
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Freiwilligendienste sind äußerst beliebt bei jungen Menschen, vor allem seit die Bundesregierung mit dem Internationaler Jugendfreiwilligendienst (IJFD) und dem weltwärts-Programm diese finanziell fördert. Trotzdem stehen die Träger vor großen Herausforderungen.
Die schlimmste Frage ist die berüchtigte „Wie war‘s“-Frage. Wolfgang Kirchner, Leiter des Freiwilligenprogramms „Don Bosco Volunteers“, betreut seit knapp 10 Jahren junge Menschen, die für ein Jahr ins Ausland gehen und sich dort um benachteiligte Kinder und Jugendliche kümmern. Im Juli, kurz vor der Ausreise, hat er die Eltern schon vorsorglich gewarnt, diese Frage bei der Rückkehr ihrer Kinder tunlichst zu vermeiden. Was soll man nach einem Jahr voller Eindrücke, neuer Freundschaften, einer anderen Sprache und Kultur auf die Frage „Wie war’s?“ antworten? Im Sommer darauf kehren über 50 Don Bosco Volunteers wieder zurück nach Deutschland: die Haut ein bisschen brauner, ein bisschen dünner, fast immer aber sehr viel reifer als beim Abflug.
Freiwilligendienste stehen hoch im Kurs. Beim entwicklungspolitischen Programm weltwärts des BMZ sind alleine knapp 250 Entsendeorganisationen akkreditiert, knapp 7.000 Plätze stehen zur Verfügung. Selten können alle Plätze besetzt werden – auch wenn es genügend Bewerber gibt. Nicht alle sind den Anforderungen gewachsen. Das wissen vor allem die Träger, die schon vor der Einrichtung des weltwärts-Programms Freiwillige entsendet haben.
Freiwillige damals und heute
„Vor 2008 haben sich vor allem Weltverbesserer bei uns gemeldet“, so Kirchner. „Junge Menschen, die ganz bewusst eine andere Erfahrung im Ausland machen wollten und nur wenig Betreuungsansprüche an die Entsendeorganisationen gestellt haben. Die heutigen Bewerber sind sehr viel jünger und teilweise unselbständiger.“ Exemplarisch verweist Kirchner auf die vielen Visafragen, die er seinen Volunteers in den letzten Monaten geduldig beantworten musste. Kritisch sei auch, dass seit der Verkürzung der Schulzeit weniger Zeit für ehrenamtliches Engagement bleibe – etwa in der Jugendarbeit. Erfahrungen in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sei bei vielen Trägern aber ein großer Vorteil.
Junge Fachkräfte gesucht
Gleichzeitig seien die heutigen Jugendlichen eine ganze Spur realistischer als ihre Vorgängergeneration. Nur noch wenigen müsse Kirchner in der neunmonatigen Vorbereitungsphase die Idee austreiben, sie seien Experten, auf die die Projektpartner in Indien, Kenia und anderswo nur gewartet haben. Denn Fachkräfte sind die jungen Deutschen in keinster Weise, wenn sie sich kurz nach dem Abitur auf den Weg machen. Dabei würde die Bonner Hilfsorganisation gerne qualifiziertere junge Menschen aussenden, zum Beispiel nach der beruflichen Ausbildung oder dem Bachelor. Monatlich meldeten sich Don Bosco Partner aus der ganzen Welt bei Kirchner und fragten an, ob er nicht jemanden hätte, der im praktischen Ausbildungsbetrieb eingesetzt werden könnte. Gesucht würden beispielsweise ausgebildete Schreiner, Mechaniker oder Mechatroniker, berichtet Kirchner.
Azubis und Bachelorstudenten haben gute Karten
Die katholische Ordensgemeinschaft der Salesianer Don Boscos hat sich auf die berufliche Ausbildung junger Menschen spezialisiert. In über 500 Berufsschulen können junge Menschen bei Don Bosco Maschinenschlosser werden, das Bäckerhandwerk erlernen, eine Schneiderausbildung machen oder KFZ-Mechaniker werden. Doch junge Azubis wollten nach ihrer Ausbildung meist Geld verdienen, anstatt ein Jahr ins Ausland zu gehen, vermutet Kirchner. Das Thema sei zwar an vielen Gymnasien präsent, in den Realschulen und den beruflichen Schulen hingegen deutlich weniger. Ganz dringend würden junge IT-Fachkräfte benötigt. Viele von Kirchners jetzigen Freiwilligen gäben während ihres einjährigen Aufenthaltes Computerkurse, auch wenn sie sich das vorher nie zugetraut hätten.
Kritisch sehen die Mitarbeiter der Bonner Don Bosco Mission die nächsten Jahre, wenn in allen Bundesländern das Abitur mit 17 Jahren Standard ist: „Das fängt schon in der Vorbereitung an, wenn wir für jedes Seminar die Einverständniserklärung der Eltern brauchen. Außerdem kommen weitere Probleme dazu, wie die Versicherungsmodalitäten, die Eröffnung eines ausländischen Kontos und so weiter. Wir haben uns daher bewusst dagegen entschieden, eine Ausreise auch mit 17 zu ermöglichen“, so Kirchner.
Junge Menschen unter Druck
Jungen Abiturienten rät Kirchner daher, zunächst einmal ein Bachelorstudium oder eine Ausbildung zu beginnen. Er beklagt die zunehmende Ökonomisierung der Lebensentwürfe junger Menschen, die sich oft nicht die Zeit gönnten, über den Tellerrand hinwegzuschauen. Dies sei umso wichtiger, da die Abschaffung der Wehrpflicht zusätzlich die Phase zwischen Schule und Berufsleben verkürzt: „Wer mit 17 seinen Bachelor beginnt, den in Regelstudienzeit abschließt und danach sofort seinen Master schafft, ist mit 21 oder 22 Jahren fertig – und soll dann im Betrieb Verantwortung für Mitarbeiter übernehmen, die doppelt so alt sind. Das finde ich schwierig“, gibt Kirchner zu bedenken. Nicht selten seien es gerade diese jungen Menschen, die sich später von Praktikum zu Praktikum hangelten und auf Traineestellen hoffen müssten, weil sie als so junge Berufsanfänger kaum Chancen bekämen.
Welche langfristigen Auswirkungen die Abschaffung der Wehrpflicht und die Verkürzung der Schulzeit auf den Freiwilligendienst haben, bleibt Spekulation. Viel Zeit darüber nachzudenken bleibt Wolfgang Kirchner nicht – er steckt mitten in der heißen Phase: Die Rückkehr des alten und die Ausreise des neuen Jahrgangs laufen parallel. Dazu kommt die Bewerbungszeit der künftigen Volunteers, die gerade anläuft. Wenn Kirchner und sein Team nächste Woche beim Rückkehrerseminar gemeinsam das letzte Jahr reflektieren, wird sicher auch wieder die „Wie war‘s“-Frage thematisiert. Von den zahlreichen Antworten im Laufe der letzten Jahre war nur eine Antwort noch nie dabei: Zeitverschwendung!