„Agrarrohstoffe: Tragen sie zum weltweiten Hunger bei?“

„Agrarrohstoffe: Tragen sie zum weltweiten Hunger bei?“

Im voll besetzten Auditorium der Katholischen Akademie Berlin fand am gestrigen Abend ein von der Deutschen Bischofskonferenz veranstaltetes Streitgespräch zum Thema „Agrarrohstoffe: Tragen sie zum weltweiten Hunger bei?“ statt. Ausgangspunkt der Diskussion waren die Erklärung der deutschen Bischöfe „Die Geißel des Hungers überwinden“ vom 3. Juli 2012 und die zeitgleich veröffentlichte Studie „Den Hunger bekämpfen“, die die von der Deutschen Bischofskonferenz berufene Sachverständigengruppe „Weltwirtschaft und Sozialethik“ vorgelegt hatte.

Erstellt: 24.01.2013
Aktualisiert: 27.07.2022
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Im voll besetzten Auditorium der Katholischen Akademie Berlin fand am gestrigen Abend ein von der Deutschen Bischofskonferenz veranstaltetes Streitgespräch zum Thema „Agrarrohstoffe: Tragen sie zum weltweiten Hunger bei?“ statt. Ausgangspunkt der Diskussion waren die Erklärung der deutschen Bischöfe „Die Geißel des Hungers überwinden“ vom 3. Juli 2012 und die zeitgleich veröffentlichte Studie „Den Hunger bekämpfen“, die die von der Deutschen Bischofskonferenz berufene Sachverständigengruppe „Weltwirtschaft und Sozialethik“ vorgelegt hatte.

Beide Dokumente äußerten sich kritisch zum vermehrten Anbau von Pflanzen zur Energiegewinnung. So hieß es in der Bischöflichen Erklärung: „Die deutschen Bischöfe sprechen sich gegen die Förderung von Agrarkraftstoffen aus, wenn dies auf Kosten der Nahrungsmittelproduktion geschieht.“ Die massive Ausweitung der Energiegewinnung aus nachwachsenden Rohstoffen bezeichneten die Bischöfe als „bedrängende Entwicklung“. Diese Aussagen hatten Widerspruch gefunden – von der Bioethanolwirtschaft, aber auch von Abgeordneten des Bundestages und aus Ministerien. In der gestrigen Veranstaltung wurde der Disput unter der Moderation von Alexander Krahe (Rundfunk Berlin Brandenburg) öffentlich ausgetragen.

Tank oder Teller?

Kernpunkt der Debatte war die von den Kritikern der Agrarrohstoffe problematisierte Konkurrenz zwischen landwirtschaftlich nutzbaren Flächen, die entweder für Energiepflanzen oder für die Produktion von Nahrungsmitteln verwendet werden können. Peter Bleser MdB, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, trat der Auffassung entgegen, dass der Anbau von Energiepflanzen für die Hunger-Problematik mitverantwortlich sei, da nur 2 Prozent der Weltanbaufläche für diesen Zweck verwendet werde. Lösungen für den weltweiten Hunger sollten nicht in einem Konfliktmanagement über Flächen, sondern durch eine Steigerung der Produktion in Entwicklungsländern erreicht werden.

Auch der Bundestagsabgeordnete Norbert Schindler, der als Vorsitzender des Bundesverbandes der deutschen Bioethanolwirtschaft an der Diskussion teilnahm, bestritt dramatische Folgen des parallelen Anbaus von Nahrungs- und Energiepflanzen. Weltweit gebe es noch „riesige ungenutzte Flächen“, die für die Nahrungserzeugung geeignet seien. Dies und die Möglichkeiten der Effizienzsteigerung begrenzten die Flächenkonkurrenz erheblich.

Bild: © Escher/Adveniat

Steigende Preise von Grundnahrungsmitteln durch Anbau von Energiepflanzen

In drastischen Worten beschrieb demgegenüber Professor Hans Werner Sinn, Präsident des ifo-Instituts München, die ökonomischen und gesellschaftlichen Folgen, die aus der Verknüpfung von Nahrungsmittel- und Energiemärkten resultierten. Bereits die „Hungerrevolten“, die 2007/2008 in 37 Ländern um sich gegriffen hatten, und die Aufstände der letzten Jahre in Nordafrika gingen ursächlich auf die verstärkte Nutzung von Ackerflächen für Agrarrohstoffe zurück. Es werde „Mord und Totschlag“ geben, wenn dieser Prozess weiter dynamisch voranschreite. Neueren Studien zufolge gingen mindestens 45 Prozent des Preisanstiegs von Grundnahrungsmitteln in den letzten 10 Jahren auf das Konto der Nutzung von Energiepflanzen. Durch den Ausbau dieses Sektors seien gerade die Grundnahrungsmittel der Armen – Mais, Weizen und Reis – betroffen.

Flächenkonkurrenz verschärft Hunger-Problematik

Professor Johannes Wallacher, Präsident der Hochschule für Philosophie München und als Vorsitzender der Sachverständigengruppe „Weltwirtschaft und Sozialethik“ einer der Hauptautoren der von der Deutschen Bischofskonferenz veröffentlichten Studie, analysierte die Flächenkonkurrenz als „verschärfenden Faktor“ der globalen Hunger-Problematik. Zwar sei es in einzelnen Regionen mutmaßlich möglich, Tank und Teller gleichzeitig zu versorgen. Eine Vielzahl von Untersuchungen zeige jedoch, dass dies im weltweiten Maßstab nicht gelingen könne. Wallacher wandte sich auch gegen zu optimistische Annahmen hinsichtlich der weiteren Produktivitätssteigerung der Böden.

Weitgehende Einigkeit zeigten die Diskutanten bei der Bewertung der sogenannten „zweiten Generation von Energiepflanzen“, das heißt der Energiegewinnung aus organischem Abfall und durch Anbau auf Flächen, die landwirtschaftlich anderweitig nicht genutzt werden können. Einhellig wurde dieser Entwicklung Potenzial zugesprochen, wobei strittig blieb, in welchem Zeitraum und in welchem Umfang solche neuen landwirtschaftlichen Technologien zum vermehrten Einsatz kommen werden.

„Der Hunger in der Welt ist ein Skandal, besonders weil er überwindbar ist.“

—  Zitat: Erzbischof Dr. Ludwig Schick

Schick: Hunger ist für die Welt ein Armutszeugnis

In seiner Eröffnungsansprache und in einem Schlusswort forderte der Vorsitzende der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Ludwig Schick (Bamberg), zu einer neuen Wertschätzung von Nahrungsmitteln auf. Wenn Lebensmittel in Deutschland in großem Maße weggeworfen statt verzehrt würden, sei dies ein moralischer Bankrott angesichts des Hungers in der Welt. Die betroffenen Länder beim Aufbau einer eigenen Nahrungsmittelproduktion zu unterstützen, beschrieb der Erzbischof als zentrale Aufgabe der reicheren Nationen. Pointiert formulierte er: „Der Hunger in der Welt ist ein Skandal, besonders weil er überwindbar ist. Dass mehr als eine Milliarde Menschen hungern, ist ein Armutszeugnis für die heutige Welt. Als Christen und Kirche fühlen wir uns verpflichtet, alles zu tun, um den Hunger zu überwinden.“