Aufbruchstimmung im Völkerbundpalast
Zwei Briefmarken zum Nennwert von 50 Rappen und zwei Franken: nicht gerade viel, was die Internetrecherche zur ersten Entwicklungshilfe-Konferenz der Vereinten Nationen zutage fördert. Vor 50 Jahren, vom 4. bis 20. Februar 1963, trafen sich am Schweizer UN-Sitz Genf 1.665 Delegierte aus 96 Ländern und 108 Institutionen, um im Völkerbundpalast über „Wissenschaft und Technologie zum Nutzen der weniger entwickelten Länder“ zu beraten. Eine „Mammut-Tagung“, wie die Medien damals titelten, mit einer Buchausstellung und eigenen Filmprogramm.
Aktualisiert: 09.01.2023
Lesedauer:
Zwei Briefmarken zum Nennwert von 50 Rappen und zwei Franken: nicht gerade viel, was die Internetrecherche zur ersten Entwicklungshilfe-Konferenz der Vereinten Nationen zutage fördert. Vor 50 Jahren, vom 4. bis 20. Februar 1963, trafen sich am Schweizer UN-Sitz Genf 1.665 Delegierte aus 96 Ländern und 108 Institutionen, um im Völkerbundpalast über „Wissenschaft und Technologie zum Nutzen der weniger entwickelten Länder“ zu beraten. Eine „Mammut-Tagung“, wie die Medien damals titelten, mit einer Buchausstellung und eigenem Filmprogramm.
So etwas wie Aufbruchstimmung lag in jenen Vorfrühlingstagen in der Luft. Die Teilnehmer diskutierten über Eisenbahnbau in den Tropen, Kraftwerke für Afrika und „Nachrichtentechnik“ zum Wohle junger Demokratien. Die saßen mehrheitlich auf dem „Schwarzen Kontinent“. Zwischen 1956 und 1963 erklärten fast 30 Staaten ihre Unabhängigkeit und lösten sich damit aus britischer, französischer oder belgischer Herrschaft.
Chance auf eine neue Wirtschaftsordnung
„Eine neue Weltwirtschaftsordnung rückte in scheinbar greifbare Nähe“, sagt der Politologe Stephan Klingebiel vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn. Eine Wirtschaftsordnung, in der es plötzlich möglich schien, die Lebensbedingungen der damals mehr als zwei Milliarden Menschen in den armen Ländern des Südens auf den Standard der Bevölkerung in den Industriestaaten zu heben.
Ausdruck dieses Denkens war auch die von den UN 1961 ausgerufene „Entwicklungsdekade“. Milliardeninvestitionen in die Wirtschaft sollten das Pro-Kopf-Einkommen in den jeweiligen Ländern nach oben treiben. Aus heutiger Sicht war das ehrgeizige Vorhaben zum Scheitern verurteilt. Auf die ursprünglich einmalig angelegte Initiative folgten drei weitere Dekaden und später die Millenniumsziele.
„Grundpfeiler einer modernen Entwicklungspolitik“
Das alles lag 1963 noch in weiter Ferne. Nah vor Augen stand dagegen vielen Teilnehmern der UN-Konferenz der Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. Die nach 1945 ins Leben gerufenen Institutionen wie die Weltbank oder der Internationale Währungsfonds, aber auch der Marshall-Plan wurden zu den „ersten Grundpfeilern einer modernen Entwicklungspolitik“, wie Klingebiel erläutert. Weil sie dabei halfen, Großvorhaben zu finanzieren und weil sie den Gedanken von wirtschaftlicher Hilfe mit politischer Einflussnahme verknüpfte.
Im Schatten des Kalten Krieges
Denn auch das prägte die 1960er Jahre: der zunehmende Gegensatz zwischen Ost und West, zwischen den USA und der Sowjetunion. Als sich die Delegierten im Februar 1963 in Genf versammelten, lag die Kuba-Krise gerade mal gut drei Monate zurück. Um ein Haar wäre die Welt in einen Atomkrieg geraten. Beide Großmächte versuchten im Anschluss verstärkt, ihre Macht auszudehnen, indem sie die neuen Staaten Afrikas und Asiens auf ihre Seite zogen. Die machtpolitischen Karten wurden neu gemischt mit der Entwicklungshilfe als Trumpf im Ärmel. Dafür boten die Vereinten Nationen als weltumspannende Institution ein geeignetes Forum.
Antworten auf die konkreten Herausforderungen lieferte das Treffen im Völkerbundpalast allerdings kaum – zumindest aus der Sicht mancher deutscher Beobachter. „Geld allein stillt noch keinen Hunger“, monierte Robert Gerwin in der „Zeit“. Ihm fehlten innovative Konzepte – trotz der 1.836 eingereichten wissenschaftlichen Arbeiten, von denen allerdings nur 24 aus Deutschland kamen. Vielleicht ist auch das ein Grund, warum die Zusammenkunft hierzulande nicht in die Annalen einging.
Für die meisten Experten beginnt der Reigen der „großen“ UN-Meetings zur Entwicklungshilfe ohnehin erst 1972 mit der Weltumweltkonferenz in Stockholm. Da war längst klar, dass es mit Investitionen in die Wirtschaft oder Erfindergeist in Sachen Wissenschaft und Technologie allein nicht getan war.
Von Joachim Heinz