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„Keine Verbesserungen für Flüchtlinge“

Seit 14 Jahren ringen die EU-Staaten um ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem (GEAS). Am Mittwoch bestätigte EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström, dass sich die EU-Institutionen auf letzte Details des Gesetzespaketes geeinigt hätten. Eine der überarbeiteten Regelungen ist die sogenannte Aufnahmerichtlinie, die in allen EU-Ländern einheitliche Mindeststandards bei der Aufnahme von Flüchtlingen festlegt. Doch für Asylsuchende bringt sie keine entscheidenden Verbesserungen, kritisiert Stefan Keßler (48), Referent beim Jesuiten-Flüchtlingsdienst Europa in Brüssel. So könnten etwa auch künftig Schutzsuchende aus vielerlei Gründen inhaftiert werden, erklärte der Migrationsrechtsexperte im Interview.

Erstellt: 28.03.2013
Aktualisiert: 11.07.2015
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Seit 14 Jahren ringen die EU-Staaten um ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem (GEAS). Am Mittwoch bestätigte EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström, dass sich die EU-Institutionen auf letzte Details des Gesetzespaketes geeinigt hätten. Eine der überarbeiteten Regelungen ist die sogenannte Aufnahmerichtlinie, die in allen EU-Ländern einheitliche Mindeststandards bei der Aufnahme von Flüchtlingen festlegt. Doch für Asylsuchende bringt sie keine entscheidenden Verbesserungen, kritisiert Stefan Keßler (48), Referent beim Jesuiten-Flüchtlingsdienst Europa in Brüssel. So könnten etwa auch künftig Schutzsuchende aus vielerlei Gründen inhaftiert werden, erklärte der Migrationsrechtsexperte im Interview.

Frage: Herr Keßler, was genau enthält das Gesetzespaket zum Gemeinsames Europäischen Asylsystem?

Keßler: Es besteht aus den überarbeiteten Texten für vier Verordnungen und vier Richtlinien. Dazu gehört die Dublin-Verordnung, die festlegt, welches Land für die Prüfung von Asylanträgen zuständig ist. Eine weitere, die EURODAC-Verordnung, regelt die Speicherung der Fingerabdrücke von Asylsuchenden, auf die künftig auch zum Zweck der Strafverfolgung zugegriffen werden kann.

Die dritte Verordnung führte zur Gründung der Europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX, während mit der Vierten das Europäische Asylunterstützungsbüro (EASO) ins Leben gerufen wurde. Zum Paket zählen auch die Richtlinie über die gemeinsame Auslegung des Flüchtlingsbegriffs („Qualifikationsrichtlinie“) und die Rückführungsrichtlinie, die Regelungen über Abschiebungen enthält. Eine weitere Richtlinie soll die Ausgestaltung von Asylverfahren vereinheitlichen.

Frage: Zum GEAS gehört auch die überarbeitete Aufnahmerichtlinie.

Keßler: Sie definiert Normen, die in allen 27 EU-Staaten bei der Aufnahme von Flüchtlingen gelten. Dazu gehört etwa, dass die Leistungen für Asylbewerber diesen ein menschenwürdiges Leben sichern müssen, dass die Schutzsuchenden angemessen untergebracht werden und einen Zugang zu medizinischer Versorgung erhalten.

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Frage: Sie legitimiert auch viele Haftgründe.

Keßler: Die Richtlinie spiegelt wider, was leider in vielen Mitgliedstaaten Praxis ist: Asylbewerber können zur Feststellung der Identität, zur Prüfung des Einreiserechts, zur Sicherung von Beweisen über die Fluchtgründe, bei verspäteter Asylantragstellung, bei Gefahr der nationalen Sicherheit und Ordnung sowie der Gefahr eines Untertauchens inhaftiert werden. Allerdings müssen die Staaten künftig Alternativen zur Haft vorrangig prüfen.

Frage: Das wird einige Länder vor neue Herausforderungen stellen.

Keßler: Ja, zum Beispiel Malta; dort wurden bislang Schutzsuchende routinemäßig eingesperrt, ohne dass jemals Alternativen geprüft worden wären. Für fast alle EU-Mitgliedstaaten wird die Pflicht zur Prüfung von Alternativen spannend, wenn es darum geht, ob Asylsuchende inhaftiert werden, die in ein anderes EU-Land zurückgeschickt werden sollen. Solche „Dublin-Fälle“ werden fast überall regelmäßig eingesperrt.

Frage: Auch Minderjährige können festgenommen werden.

Keßler: Das verurteilen wir scharf. Besonders verletzliche Gruppen wie Kinder, Jugendliche oder Folteropfer hätte man von dieser Regelung ausnehmen müssen. Immerhin will man künftig beim Aufnahmeverfahren deren besondere Bedürfnisse feststellen und berücksichtigen.

Frage: Von welchen Neuregelungen profitieren auch Asylbewerber in Deutschland?

Keßler: Künftig sollen Flüchtlinge nach neun Monaten eine Arbeit aufnehmen können. In der Bundesrepublik gilt bislang ein zwölfmonatiges Arbeitsverbot. Doch ist weiterhin die in Deutschland übliche Praxis erlaubt, bei der Vergabe von Arbeitserlaubnissen Deutsche oder EU-Bürger den Asylbewerbern vorzuziehen.

Frage: Wie beurteilen Sie insgesamt das Gemeinsame Europäische Asylsystem?

Keßler: Für Asylsuchende bringen die überarbeiteten Richtlinien keine entscheidenden Verbesserungen. Es gibt auch künftig keine effektiven Standards; die etwa ein faires Verfahren oder angemessene Lebensbedingungen für Asylbewerber garantieren. Deshalb können die meisten Staaten so weitermachen wie bisher. Die EU hat eine Chance vertan sicherzustellen, dass in ihren Staaten die Menschenwürde von Schutzsuchenden geachtet wird. Für den Träger des Friedensnobelpreises ist das kein befriedigendes Ergebnis.

Von Bettina Nöth

Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst

Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst wurde 1980 gegründet als Reaktion auf das Elend der vietnamesischen Boat People. Die internationale katholische Hilfsorganisation arbeitet heute mit rund 1.200 Mitarbeitern in über 50 Ländern weltweit. Unter dem Leitbild, Flüchtlinge zu begleiten, ihnen zu dienen und sich für ihre Rechte einzusetzen, ist der Jesuiten-Flüchtlingsdienst seit über 15 Jahren auch in Deutschland vertreten. Die Arbeitsschwerpunkte liegen hier in der Seelsorge für Menschen in Abschiebungshaft und in der Hilfe für Migranten ohne regulären Aufenthaltsstatus.