Auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg
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Auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg

Ich bin ein einfacher Arbeiter und wohnte bei Aleppo. Die Luftangriffe, die Bomben, die Schießereien – wir haben das nicht mehr ausgehalten. Einmal gab es 27 Tage nacheinander Luftangriffe und Schießereien, dann ist die Armee in die Häuser eingedrungen. Sie haben Kinder und alte Leute umgebracht, geraubt und geschlagen. Mich haben sie gefangen genommen, gefoltert und beschimpft und geschlagen.“ Mit leiser Stimme, immer wieder stockend, als wäre er schwer traumatisiert, berichtet der junge Syrer, der als Namen Mohammed angibt, von seiner Flucht aus dem Bürgerkriegsland.

Erstellt: 28.03.2013
Aktualisiert: 11.07.2015
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Ich bin ein einfacher Arbeiter und wohnte bei Aleppo. Die Luftangriffe, die Bomben, die Schießereien – wir haben das nicht mehr ausgehalten. Einmal gab es 27 Tage nacheinander Luftangriffe und Schießereien, dann ist die Armee in die Häuser eingedrungen. Sie haben Kinder und alte Leute umgebracht, geraubt und geschlagen. Mich haben sie gefangen genommen, gefoltert und beschimpft und geschlagen.“ Mit leiser Stimme, immer wieder stockend, als wäre er schwer traumatisiert, berichtet der junge Syrer, der als Namen Mohammed angibt, von seiner Flucht aus dem Bürgerkriegsland.

Wir sind in einem Caritas-Flüchtlingszentrum in Madaba, einer Kleinstadt südlich der jordanischen Hauptstadt Amman. Im Innenhof neben einer kleinen Kirche warten rund 50 Frauen, Männer und einige Kinder. Mohammed kam frei, so berichtet er; es verschlägt ihn nach Damaskus. Und als es dort auch schlimmer wird, macht er sich mit Frau und den kleinen Kindern im Alter von nun vier, sechs und acht Jahren auf den Weg und überquert schließlich die Grenze an einem unbewachten Abschnitt. „Wir konnten nichts mit uns bringen, kein Geld, keine Vorräte“, sagt er. Im November gelangen sie in das große Flüchtlingscamp Saatari. Es ist kalt, regnet, die Zelte sind undicht. „Hier in Madaba geht es uns jetzt besser“, sagt er.

„Die Menschen spüren, dass sie bei der Caritas respektiert werden.“

—  Zitat: Wael Suleiman, Direktor der Caritas Jordanien
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Herausforderung für die Nachbarländer

Rund 400.000 Flüchtlinge hat Jordanien bislang aufgenommen, eine unglaubliche Leistung für ein kleines Land mit rund sechs Millionen Einwohnern. Die Zahlen steigen, derzeit suchen jeden Tag durchschnittlich 2.000 neue Flüchtlinge in Jordanien Schutz. Weil das Land Angst vor sozialen Spannungen hat, versuchte es bisher, die Errichtung großer Flüchtlingslager zu vermeiden. Lediglich Saatari nahe der syrischen Grenze fungierte als Auffanglager, dort leben rund 90.000 Menschen. Die anderen leben überall im Land verteilt, der Druck wächst, die Mieten sind explodiert, Preise für Lebensmittel steigen, es gibt fast keine Arbeit für die Neuankömmlinge.

Viele Flüchtlinge berichten über die Luftangriffe der syrischen Armee, fast alle haben sie ihr Haus verloren. Viele haben das Morden direkt miterlebt, sie waren schutzlos den Misshandlungen von Soldaten und Geheimdienst ausgeliefert. Berichte und Handy-Fotos belegen die Grausamkeit auf beiden Seiten des Bürgerkriegs. Viele haben noch Verwandte im Land, manchmal den Ehemann, der im Gefängnis sitzt oder verschwunden ist, vielleicht aber auch mitkämpft. Viele wollen noch nachkommen, schaffen es aber bislang nicht an den zahlreichen Posten und Kontrollen vorbei über die Grenzen. Wenn der Krieg weiter anhält, droht eine humanitäre Katastrophe.

„Wir wollen keine Spenden, wir wollen kein Essen, wir wollen zurück nach Syrien.“

—  Zitat: Ahmal

Opfer von beiden Seiten

Wenige Tage später im Libanon: „Keine Fotos, keine Fotos“ – Ablehnung und Angst vor der Rache des Regimes stehen den Menschen ins Gesicht geschrieben. Sie haben uns in ihr Zelt eingeladen, das seit einigen Tagen ihr neues Zuhause ist. Am Rande der Bekaa-Ebene, am Fuß der Berge stehen acht Zelte; ein barmherziger Libanese erlaubt syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen, hier umsonst zu wohnen. Ahmal (57) seine Frau Mona (53) mit ihren Töchtern Delal (25) und Minya (19) und drei kleinen Kindern leben hier, mit Teppich, dünnen Matratzen und einigen Habseligkeiten, die sie auf ihrer Flucht aus Syrien mitnehmen konnten. Wir sitzen auf dem kalten Boden, trinken den angebotenen Tee und hören ihre Geschichte.

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Sie wohnten in einem Vorort von Damaskus, erleben die Kämpfe und das Morden der Assad-Soldaten. Minya muss als Beifahrerin auf einem Motorrad miterleben, wie vor ihr der Fahrer erschossen wird. Als ihr Haus einen Granaten-Treffer erhält und zerstört wird, fliehen sie. Sie halten zur Freien Armee, gegen den Diktator Assad. Alle in ihrem Stadtviertel sind politisch einer Meinung, sagt Ahmal. Und dann bricht es aus ihm heraus: „Warum greifen die westlichen Staaten nicht ein?“, fragt er uns. „Wir wollen keine Spenden, wir wollen kein Essen, wir wollen zurück nach Syrien.“ Zurückgehen werden sie, „wenn Assad verschwindet“, sagt Ahmal.

Wenige Kilometer weiter wohnen vierzig Frauen mit Kindern in einer Bauruine, die einmal eine Schule hätte werden sollen. Ihre Männer sind in Syrien geblieben, im Gefängnis oder verschwunden, manche kämpfen vielleicht, andere sind tot. Es gibt in diesem Rohbau keinen Strom, kein Wasser, keine Fenster oder Türen, keinen Fußboden. Eine Mutter zeigt mir einen kahlen, zugigen Raum, die Fensterhöhlen mit Brettern zugestellt. Hier lebt sie mit sieben Kindern. Dann führt sie mich in einen anderen Raum, es ist kalt, klamm und dunkel. Und dort an der Wand liegt wie ein sterbendes Tier ein alter Mann. Er röchelt schwer, sieht fiebrig aus und kann nur pfeifend mit großer Anstrengung Luft holen. Er stamme aus Homs, erklärt sie mir. Vor drei Tagen hat er per SMS erfahren, dass sein Sohn getötet wurde.

Inzwischen sind nach Zählung des UNHCR, des Flüchtlingshilfswerkes der Vereinten Nationen, rund eine Million Menschen aus Syrien geflohen. Männer zwischen 17 und 50 Jahren werden nicht über die Grenze gelassen, 80 Prozent der Flüchtlinge sind Frauen und Kinder. Nach zwei Jahren Krieg kommen sie oft vollkommen mittellos in den Zentren an. Ihre Situation verschlechtert sich zunehmend, weil auch die aufnehmenden Länder zunehmend überfordert sind. Die zugesagte internationale Hilfe ist bislang nur zu einem kleinen Teil ausgezahlt worden.

Von Markus Lahrmann

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