
Kroatien tritt als fünftes Land Südosteuropas der EU bei
Nach Griechenland, Zypern, Rumänien und Bulgarien wird am 1. Juli mit Kroatien der fünfte Staat Südosteuropas der EU beitreten. Im Gegensatz zu diesen orthodox geprägten Ländern ist Kroatien mehrheitlich katholisch und mitteleuropäisch geprägt.
Aktualisiert: 11.07.2015
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Nach Griechenland, Zypern, Rumänien und Bulgarien wird am 1. Juli mit Kroatien der fünfte Staat Südosteuropas der EU beitreten. Im Gegensatz zu diesen orthodox geprägten Ländern ist Kroatien mehrheitlich katholisch und mitteleuropäisch geprägt.
Je näher der EU-Beitritt rückt, desto genauer nehmen internationale Medien das Land unter die Lupe – mit meist harten, bisweilen vernichtenden Urteilen. So fragte etwa die „Bild“-Zeitung, ob Kroatien das „neueste Milliarden-Grab der EU“ werde. Andere thematisierten die schlechte wirtschaftliche Lage, Korruption und das eingefrorene Verhältnis zu Serbien.
Ministerpräsident Zoran Milanovic hat alle Hände voll zu tun, um das Image zu korrigieren. Dass Kroatien vielfach als korruptes Land wahrgenommen wird, in dem der Nationalismus regiert, weiß er nur zu gut – und spart auch nicht an Selbstkritik: „Wenn wir uns als westliche Gesellschaft wahrnehmen und uns damit brüsten, der westlichen Zivilisation anzugehören, dann müssen wir nach diesen Regeln spielen.“
„Wir werden hart arbeiten müssen“
Priorität hat in jedem Fall die marode Wirtschaft. Das Land wird zwar Zugang zu mehr Geld aus EU-Fonds haben; doch ob der Hahn tatsächlich aufgedreht wird, ist nicht sicher. „Das Geld wird uns nicht auf dem Silbertablett serviert. Wir werden hart arbeiten müssen“, so Milanovic. Angesichts der europäischen Wirtschaftskrise kommt der Beitritt zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Das stark auf den Tourismus ausgerichtete Land hat allerdings steigende Übernachtungszahlen als Hoffnungsanker: 2012 war die erfolgreichste Saison aller Zeiten.

Ein Beitritt zur Eurozone scheint noch fern, und auch andere Vorteile der Mitgliedschaft kann das Land (zumindest vorerst) nicht genießen. So werden Deutschland und Österreich voraussichtlich den Zugang zum Arbeitsmarkt noch einige Jahre blockieren. Nachteilig wirkt auch, dass Kroatien ab Juli aus der CEFTA-Freihandelszone der Balkanländer herausfällt.
Die pragmatisch-unideologische Ausrichtung der heutigen kroatischen Politik muss sicher auch dem heute wegen Korruption angeklagten Ex-Ministerpräsidenten Ivo Sanader gutgeschrieben werden. Er schaffte es, sich vom ultranationalistischen „tudjmanistischen“ Flügel seiner Partei HDZ freizuspielen und akzeptierter Teil des christlich-sozialen Establishments in Europa zu werden. Sanaders Absturz wiederum hat nicht nur eine „balkanische“ Dimension, sondern ist ein europäischer Korruptionsfall. Die Fäden gehen nach Klagenfurt, München und Wien.
Unter Sanader begannen 2005 die eigentlichen EU-Beitrittsverhandlungen. Zuvor hatte die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien, Carla Del Ponte, die volle Zusammenarbeit Kroatiens mit dem Tribunal bestätigt. Das war für die EU Grundbedingung zur Eröffnung von Verhandlungen.
Katholische Kirche in Kroatien
Kroatien ist nach Polen eines der am stärksten katholisch geprägten Länder Mittel- und Osteuropas. Von den rund 4,5 Millionen Einwohnern sind rund 90 Prozent Katholiken. Die Kirche des Landes ist untergliedert in 4 Erzbistümer und 13 Bistümer. Hinzu kommt das Erzbistum Zadar, das unmittelbar dem Heiligen Stuhl untersteht. Die Geschichte der katholischen Kirche in Kroatien reicht bis ins frühe Mittelalter zurück. Papst Johannes IV. (640-642), der selbst aus Dalmatien stammte, beauftragte Erzbischof Johannes von Ravenna mit der Mission Kroatiens. In den folgenden Jahrhunderten prägten die Kirche des Landes aufgrund ihrer geografischen Lage sowohl die Tradition des lateinischen Westens als auch die des byzantinischen Ostens. So feierten die römisch-katholischen Kroaten etwa die slawische Liturgie, die in einigen Diözesen bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) überwog, nach römischem Ritus. Unter dem Ustascha-Regime von 1941 bis 1945 kollaborierte ein Teil des Klerus mit den faschistischen Machthabern. Der 1998 von Papst Johannes Paul II. seliggesprochene Kardinal Alojzije Stepinac (1898-1960) trat nach anfänglicher nationaler Euphorie entschieden gegen die Gewaltherrschaft der Faschisten ein. Nach der kommunistischen Machtübernahme unter Josip Tito wurde die katholische Kirche im Vielvölkerstaat Jugoslawien zunächst scharf unterdrückt, konnte sich jedoch in den 70er Jahren erholen. Nach der staatlichen Unabhängigkeitserklärung Kroatiens 1991 konstituierte sich 1993 die nationale Bischofskonferenz. (KNA)Sehnsucht nach Normalität
Das Meinungsklima in Kroatien mit Blick auf die EU war seit 2005 starken Schwankungen ausgesetzt. Einerseits glaubte man sich von „Brüssel“ unverstanden; andererseits wollte man gleichberechtigtes Mitglied dieser Staatenfamilie sein. Dazu kam eine tiefe Sehnsucht nach Normalität: Niemand will wieder erleben, was man vor zwei Jahrzehnten erleben musste. Die Kroaten sind kriegsmüde – ebenso wie die Serben. Beide Völker wollen vor allem Frieden und Wohlstand.
Die EU, als Antwort auf einen verheerenden Krieg gegründet, muss mit Blick auf die Balkan-Region vor allem als Friedensprojekt ausstrahlen. Im Westen ist dies schon verblasst, denn Frieden ist in der EU grauer Alltag; es dominieren die Banken- und die Schuldenkrise. Für die Kroaten ist der Krieg in frischer Erinnerung. Sie wissen, wie schnell der Frieden zerbrechen kann. Vor 30 Jahren hätte kaum jemand Jugoslawien ein Ende in Blut und Chaos vorausgesagt.
Dass es ab 1. Juli 4,4 Millionen neue EU-Bürger mit Kriegserfahrung gibt, könnte daher für das Friedensprojekt Europa, das seinen Erfolg sonst nur noch an Wirtschaftsdaten misst, eine willkommene Stärkung sein. Allerdings ist wie überall Nüchternheit angezeigt. Denn die seit dem EU-Beitritt zu beobachtenden Rückschritte bei der Demokratisierung wie im Nachbarland Ungarn zeigen auch, dass eine Mitgliedschaft nicht vor negativen Entwicklungen schützt.
Von Franz Morawitz