Flüchtlingsdienst: Kroatischem Asylsystem droht der Kollaps

Flüchtlingsdienst: Kroatischem Asylsystem droht der Kollaps

Schon im Vorfeld des EU-Beitritts ist das Asylsystem in Kroatien an den Grenzen seiner Leistungsfähigkeit angekommen und kann eine wachsende Zahl von Asylsuchenden kaum bewältigen. Das stellt der Bericht „From Back Door to Front Door: Forced migration routes through Macedonia to Croatia“ fest, den der Jesuiten-Flüchtlingsdienst Europa (JRS Europe) gestern in Brüssel veröffentlichte. Der Bericht beruht auf Interviews mit Asylsuchenden in der kroatischen Hauptstadt Zagreb sowie in Skopje und Lojane in Mazedonien.

Erstellt: 27.06.2013
Aktualisiert: 11.07.2015
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Schon im Vorfeld des EU-Beitritts ist das Asylsystem in Kroatien an den Grenzen seiner Leistungsfähigkeit angekommen und kann eine wachsende Zahl von Asylsuchenden kaum bewältigen. Das stellt der Bericht „From Back Door to Front Door: Forced migration routes through Macedonia to Croatia“ fest, den der Jesuiten-Flüchtlingsdienst Europa (JRS Europe) gestern in Brüssel veröffentlichte. Der Bericht beruht auf Interviews mit Asylsuchenden in der kroatischen Hauptstadt Zagreb sowie in Skopje und Lojane in Mazedonien.

„Die EU muss jetzt die notwendigen Ressourcen bereitstellen, um das kroatische Asylsystem vor einem Kollaps wie in Griechenland zu bewahren“, sagt Benedict Coleridge, der Autor des Berichts. Kroatiens Asylsystem musste bereits zwischen 2011 und 2012 eine Zunahme von Asylsuchenden um 50% bewältigen. „Durch den EU-Beitritt dürfte Kroatien noch häufiger Eingangstor zur Europäischen Union für Asylsuchende und Migranten werden, die ihre Heimat verlassen mussten“, vermutet Coleridge.

Gravierende Mängel im Asylsystem

JRS Europe hat das kroatische Aufnahmezentrum in Porin aufgesucht, in dem Bewohner wegen großer psychischer Belastung und Frustration einem erhöhten Gewaltrisiko ausgesetzt sind. Flüchtlingen mangelt es an Informationen über das Asylverfahren, und nach der Antragstellung warten die meisten für ungewisse Zeit auf eine Entscheidung, ohne über den Stand ihres Verfahrens informiert zu werden.

Bild: © B Coleridge/ JRS Europe

Samuel aus Simbabwe wusste nicht einmal, dass Kroatien überhaupt existiert, bevor er von Ungarn aus dorthin abgeschoben wurde. „Ich kannte dieses Land nicht und hatte noch nie davon gehört“, sagt er. Sieben Monate lang wartete er, bevor sein Asylantrag abgelehnt wurde. Er erhielt keinerlei Informationen, weder über das kroatische Asylsystem noch darüber, was ihn sonst erwartete. Nach seiner Ablehnung stellte er erneut einen Asylantrag. Als JRS Europe mit ihm sprach, hatte Samuel fast anderthalb Jahre in dem Aufnahmezentrum verbracht.

„Unterhalb aller Standards“

Verschärft werden die Herausforderungen in Kroatien durch die schlechten Aufnahmebedingungen im Nachbarland Mazedonien. Die Lebensumstände, auf die JRS im Aufnahmezentrum von Vizbegovo nahe der Hauptstadt Skopje stieß, waren entsetzlich. „Kleine Kinder müssen auf engstem Raum mit anderen Bewohnern in improvisierten Unterkünften leben, die für Kinder und Familien nicht geeignet sind“, sagt Coleridge. Die öffentliche Versorgung der Einrichtung funktioniert nicht, weshalb sich der Müll auf den Fluren stapelt. „Der Zustand der Einrichtung liegt unterhalb aller Standards.“

Mit dem mazedonischen Asylsystem sieht es insgesamt nicht besser aus: Anträge werden nur langsam bearbeitet, Asylsuchende erhalten kaum Informationen und keinen Rechtsbeistand. Es fehlt an Übersetzern, so dass die Behörden mit vielen der ihnen anvertrauten Asylantragsteller nicht kommunizieren können. „Für die meisten ist Mazedonien eher ein Transit- als ein Zielland”, merkt Benedict Coleridge an. „Der Umstand, dass die mazedonischen Behörden im Jahr 2011 nicht einen einzigen Asylantrag positiv beschieden haben, verstärkt diesen Trend ebenso wie die miserablen Lebensbedingungen im Aufnahmezentrum in Vizbegovo.“

Bild: © B Coleridge/ JRS Europe

Ähnliche Zustände in Mazedonien

Ein weiteres Beispiel stammt aus der Stadt Lojane. Nur 600 Meter entfernt von der serbischen Grenze und etwa 75 Kilometer nordöstlich von Skopje, ist die Stadt ein vorübergehender Sammelpunkt für Hunderte von Migranten, die darauf hoffen, zu Fuß durch Serbien nach Ungarn und von dort aus weiter nach Österreich zu kommen. Die mazedonischen Behörden zeigen keine Präsenz, viele der Migranten sind obdachlos und sich selbst überlassen. „Der Weg von Asylsuchenden und Migranten über den Balkan ist gefährlich. Für viele ist es eine Teilstrecke auf dem Weg von Afghanistan und Iran“, erläutert Coleridge. „Weil Mazedonien nicht sicher ist, weichen sie weiter nach Kroatien aus. Doch Kroatien konzentriert sich mehr darauf, seine Grenzen zu sichern, als darauf, angemessene Bedingungen für Menschen zu schaffen, die Asyl suchen.“

„Schwierige Zustände in einem Land haben unausweichlich Einfluss auf die Nachbarstaaten.“

—  Zitat: Benedict Coleridge

Miserable Schutzbedingungen in Mazedonien in Verbindung mit einem schlecht ausgestatteten Asylsystem in Kroatien wirken sich auf das gesamte EU-Asylsystem negativ aus. „Der Balkan sollte als Ganzes betrachtet werden“, so Coleridge. „Schwierige Zustände in einem Land haben unausweichlich Einfluss auf die Nachbarstaaten.“ Auch die Situation in Griechenland wirkt sich auf die Region aus. Nahezu alle von JRS Europe in Mazedonien befragten Flüchtlinge waren eine Zeitlang in Griechenland, bevor sie sich auf den weiteren Weg über den Balkan machten.

„Wenn das mazedonische Asylsystem nicht funktioniert, belastet das Kroatien noch stärker”, sagt Stefan Keßler, Senior Policy Officer des JRS Europe. „Und wenn Kroatien mit den Asylsuchenden und Migranten, die über den Balkan einreisen, überfordert ist, wird es nicht in der Lage sein, die Vielzahl der europäischen Asylrechtsvorschriften umzusetzen, die es als neues EU-Mitglied anwenden muss.“

„Es ist fraglich, wie Kroatiens aktuelles Asylsystem in der Lage sein soll, auch noch Asylsuchende aufzunehmen, die aus anderen EU-Staaten dorthin zurückgeschickt werden.“

—  Zitat: Stefan Keßler, Senior Policy Officer des JRS Europe

Dublin-Verordnung zu Lasten von Schutzsuchenden

Eine dieser Vorschriften ist die sog. „Dublin-Verordnung“, ein Grundbaustein des EU-Asylsystems. Sie verpflichtet Asylsuchende dazu, ihren Asylantrag im ersten EU-Land zu stellen, in dem sie ankommen. Jüngste Untersuchungsergebnisse von JRS Europe hatten gezeigt, dass die Dublin-Verordnung in der Praxis zu Lasten von Schutzsuchenden geht, weil sie oft in Staaten zurückgeschickt werden, deren Asylsysteme überlastet sind. „Es ist fraglich, wie Kroatiens aktuelles Asylsystem in der Lage sein soll, auch noch Asylsuchende aufzunehmen, die aus anderen EU-Staaten dorthin zurückgeschickt werden”, so Keßler. „Es ist schon durch die Aufnahme von neu ankommenden Asylsuchenden aufs Äußerste gefordert.“

Empfehlungen des JRS

JRS Europe fordert angesichts der Ergebnisse des Berichts die EU-Kommission auf, Kroatien sofort zur Umsetzung der europäischen Asylrechtsvorschriften wirksame Unterstützung zu leisten. Außerdem sollten die EU-Mitgliedstaaten bei der Überstellung von Asylsuchenden nach Kroatien entsprechend der Dublin-Verordnung so lange zurückhaltend sein, bis Kroatiens Ressourcen für den Umgang mit einer höheren Zahl an Asylanträgen ausreichen. Zusätzliche Unterstützung der EU sollte auch Mazedonien erhalten, um sein Asylsystem und die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende zu verbessern und das Land davor zu bewahren, ein destabilisierender Faktor in der Region zu werden.

www.jesuiten-fluechtlingsdienst.de

JRS-Bericht

Den vollständigen Bericht „From Back Door to Front Door: Forced migration routes through Macedonia to Croatia“ von Benedict Coleridge können Sie hier nachlesen: