Vor 20 Jahren trat das veränderte Asylrecht in Kraft
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Vor 20 Jahren trat das veränderte Asylrecht in Kraft

Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Mit diesem Satz hatten die Mütter und Väter des Grundgesetzes 1949 ein einklagbares Individualrecht auf Asyl geschaffen. Doch was nach Zweitem Weltkrieg und den Nazi-Gräueln Konsens war, stand Anfang der 90er Jahre im Zentrum einer heftigen Debatte.

Erstellt: 01.07.2013
Aktualisiert: 11.07.2015
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Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Mit diesem Satz hatten die Mütter und Väter des Grundgesetzes 1949 ein einklagbares Individualrecht auf Asyl geschaffen. Doch was nach Zweitem Weltkrieg und den Nazi-Gräueln Konsens war, stand Anfang der 90er Jahre im Zentrum einer heftigen Debatte.

Hatten in den 50er und 60er Jahren vor allem Menschen aus Osteuropa Schutz vor politischer Verfolgung gesucht, beantragten seit den 70er Jahren zunehmend mehr Menschen aus Asien und Afrika politisches Asyl. Als dann nach dem Fall der Mauer eine starke Zuwanderung aus Osteuropa einsetzte, war für viele Bundesbürger das Boot voll. Eine Welle ausländerfeindlicher Gewalt ging durch die wiedervereinigte Bundesrepublik. Die Politik reagierte zunächst mit der Verschärfung von Verfahrensvorschriften, schränkte dann aber das Asylrecht ein: Heute jährt sich zum zwanzigsten Mal das Inkrafttreten des neuen Grundrechts auf Asyl.

Dramatische Zeiten

Es waren dramatische Zeiten: Schon 1982 hatte Herbert Wehner, der langjährige Fraktionsvorsitzende der SPD, seine Partei gewarnt: „Wenn wir uns weiterhin einer Steuerung des Asylproblems versagen, dann werden wir eines Tages von den Wählern, auch unseren eigenen, weggefegt.“ Knapp 440.000 Asylbewerber zählten deutsche Behörden 1992, fast doppelt so viele wie im Jahr zuvor und weit mehr als die 5.000 aus den 50er und 60er Jahren. Die Kommunen schafften es kaum noch, die Menschen unterzubringen.

Rechte Parteien nutzten die Ängste: Die „Republikaner“ erreichten bei der Wahl in Baden-Württemberg im April 1992 mehr als zehn Prozent, die DVU in Schleswig-Holstein mehr als sechs Prozent. Schlimmer aber war die Gewalt gegen Ausländer, die sich nicht nur gegen Asylbewerberheime richtete – wie in Rostock, Hoyerswerda und Mölln –, sondern auch gegen türkische Gastarbeiter wie in Mölln und Solingen.

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Neuregelung des Asylrechts

Unter diesem Druck verständigten sich Union, SPD und FDP im Dezember 1992 nach langen Auseinandersetzungen auf eine Neuregelung des Asylrechts. Die Verfahren sollten beschleunigt und ein Missbrauch verhindert werden. Dazu wurde Artikel 16 durch mehrere Zusätze eingeschränkt – und nach Meinung der Kritiker ausgehöhlt und demontiert. Als der Bundestag am 26. Mai 1993 nach 14 Stunden Debatte über den Asylkompromiss abstimmte, legten 10.000 Demonstranten das Bonner Regierungsviertel lahm. Am Ende sorgten 521 Bundestagsabgeordnete für die notwendige Zweidrittelmehrheit.

Konkret gab es folgende Änderungen: Wer über ein EU-Land oder ein anderes sicheres Nachbarland Deutschlands einreist, kann abgewiesen werden. Das besagt die „Drittstaatenregelung“. Auf dem Landweg können Flüchtlinge in Deutschland also kaum noch Asyl erhalten. Auch durch die Festlegung sicherer Herkunftsstaaten werden Flüchtlinge vom Asyl ausgeschlossen.

Mit der Änderung des Asylrechts ging die Zahl der Antragsteller zunächst stark zurück; die Anerkennungsquoten liegen um ein Prozent. 1995 stellten rund 127.000 Menschen Asylerstanträge, 2007 nur noch rund 19.000. Seitdem steigen die Zahlen wieder. 2012 waren es – vor allem wegen Syrien – rund 77.000 Anträge.

Gegen eine Abschottung Europas

Dabei bleibt die Asylpolitik weiter ein Zankapfel. Die EU-Kommission plädiert für ein europäisches Asylsystem, das Länder wie Deutschland mehr in die Pflicht nehmen würde. 2012 stellten knapp 300.000 Menschen einen Antrag auf Asyl in einem EU-Mitgliedstaat. Organisationen wie Pro Asyl protestieren gegen eine Abschottung Europas und gegen den Skandal, dass fast täglich Menschen auf der Flucht im Mittelmeer ertrinken.

Auch die Leistungen für Asylbewerber, ihre Integration und der Zugang zum Arbeitsmarkt blieben strittig: Erst im Februar entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Leistungen für Flüchtlinge, die weit unter dem Hartz-IV-Regelsatz lagen, verfassungswidrig sind und umgehend angehoben werden müssen. Die Kirchen machen sich etwa für die Abschaffung der Residenzpflicht stark, die Asylbewerbern in ihrer Bewegungsfreiheit stark einschränkt.

Von Christoph Arens