Entwicklungshilfe darf keine Dauereinrichtung sein
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Entwicklungshilfe darf keine Dauereinrichtung sein

Der Abtprimas der Benediktiner vertritt klare Werte und Ansichten. Er schreibt Bücher, hält Vorträge und ist Oberhaupt des ältesten Ordens der Christenheit. Ein Gespräch mit Notker Wolf über Entwicklungshilfe, Afrika und die Eigeninitiative jedes Einzelnen.

Erstellt: 09.07.2013
Aktualisiert: 11.07.2015
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Der Abtprimas der Benediktiner vertritt klare Werte und Ansichten. Er schreibt Bücher, hält Vorträge und ist Oberhaupt des ältesten Ordens der Christenheit. Ein Gespräch mit Notker Wolf über Entwicklungshilfe, Afrika und die Eigeninitiative jedes Einzelnen.

Frage: Herr Abtprimas, in Deutschland plädieren Sie für mehr Eigenverantwortung des Einzelnen und weniger finanzielle Hilfe vom Staat, zum Beispiel bei Hartz IV-Empfängern. Würden Sie diese Aussage auch auf afrikanische Länder anwenden, die finanzielle Entwicklungshilfe aus Deutschland in Anspruch nehmen?

Wolf: Ja, voll und ganz. Der Fehler von Deutschland besteht darin, dass wir immer meinen zu wissen, was den anderen gut tut, anstatt zu fragen, was die Menschen in Afrika wirklich brauchen und vor allem was sie erst einmal selber dafür tun können.

Frage: Eine dauerhafte Entwicklungshilfe, im Sinne von Finanzhilfe, ist also schädlich für Afrika?

Wolf: Ja, selbstverständlich. Eine permanente finanzielle Unterstützung macht die afrikanischen Staatsmänner abhängig, und wer Geld bekommt, ohne dafür etwas zu leisten, wird schnell bequem. Geld ist ein sehr verlockender Faktor. Die meisten der Minister in Afrika, denen es gelingt aus der deutschen Bundesregierung ein paar Millionen raus zu locken, werden wohl sagen: ‚Jetzt habe ich etwas geleistet, jetzt kann ich mir zehn Prozent davon erst einmal selber in die Tasche schieben‘.

Frage: Was ist dann mit Projekten, wie Missio sie unterstützt, die zeitlich und finanziell begrenzt sind?

Wolf: Das ist etwas anderes. Projekte finanziell zu unterstützen, die sich zukünftig einmal selber tragen können, macht Sinn und sie sind notwendig, um Unabhängigkeit zu schaffen. Einfacher ist diese Art der Entwicklungshilfe allerdings nicht, weil man sich wirklich mit den Leuten vor Ort austauschen muss und den Kopf darüber zerbrechen muss, was nachhaltig bestehen kann und wer auf Dauer dafür zuständig ist. Ich spreche aus eigener Erfahrung.

Frage: Wie sieht die Arbeit der Benediktiner in Afrika denn aus?

Wolf: Wir sind schon seit über hundert Jahren in Tansania. Nach dem Ersten Weltkrieg haben wir uns dann vor allem auf den Süden des Landes konzentriert. Dort haben wir vier große Abteien, von denen zwei mittlerweile völlig in afrikanischer Hand sind. Es gibt dort ein großes Krankenhaus, Landwirtschafts- und Handwerkerbetriebe sowie Schulen.

Frage: Welche Rolle spielt dabei die „Mission“?

Wolf: Das wissen die Afrikaner mittlerweile selbst am besten. Mission heißt zunächst nichts anderes, als die Verkündung der Frohen Botschaft in Wort und Tat. Ich habe mich allerdings schon seit den 1980er Jahren dafür eingesetzt, dass das, was wir mit unseren klösterlichen Gemeinschaften aufbauen, im Land verwurzelt wird und selbstständig weiterlaufen kann. Und das funktioniert bis heute sehr gut. Was uns zum Beispiel noch wichtig ist, ist ein Umweltbewusstsein zu schaffen. Das sieht man sehr schön, denn überall wo Missionare waren, sind auch Wälder auf den afrikanischen Feldern entstanden.

Frage: Können Sie dennoch verstehen, wenn Landwirte in Afrika eher für den schnellen Profit und weniger im Sinne der Umwelt anbauen?

Wolf: Das kann ich natürlich verstehen. Jemand, der nichts zu essen hat, reißt eben den nächsten Baum aus, das ist doch logisch. Zuerst muss der unmittelbare Hunger beseitigt werden, dann kann man ein Bewusstsein für Umwelt und Nachhaltigkeit schaffen.

Frage: In ihren Büchern bringen Sie den Begriff der Nachhaltigkeit vor allem auch mit einer weltweiten sozialen Gerechtigkeit in Verbindung. Kann so etwas erreicht werden, solange der Süden vom Norden finanziell abhängig ist?

Wolf: Dieses Machtgefälle, das sich über finanzielle Mittel definiert, werden wir vorläufig nicht beseitigen können. Was wir aber brauchen, ist ein Verantwortungsbewusstsein. Das Gegenteil davon sind zum Beispiel die Waffenverkäufe, an denen sich Deutschland zu großen Teilen beteiligt und bereichert. Ich halte das geradezu für einen Skandal, wie sich die Bundesregierung da verhält. Oder aber auch in Sambia, wo China jetzt großflächig Land aufgekauft hat. Ein Bischof von dort hat letztens zu mir gesagt: ‚Mir gehört unser Land dort gar nicht mehr.‘ Die chinesische Regierung hat dort nicht nur den Kupfergürtel aufgekauft, sondern auch noch ganze Landstriche, um für ihr eigenes Volk anbauen zu können. Das Ganze aber auf Kosten der Afrikaner.

Frage: Hat unsere soziale Marktwirtschaft also ausgedient?

Wolf: Dieser Welthandel hat doch längst nichts mehr mit sozialer Marktwirtschaft zu tun. Sozial heißt nicht immer gerecht. Nehmen wir als Beispiel den Sozialismus, der in etlichen Ländern Afrikas die Eigeninitiative untergraben hat.

Frage: Inwiefern?

Wolf: Ein Beispiel: Als Julius Nyerere noch Präsident in Tansania war, habe ich einmal mit einem Lehrer gesprochen, der statt seinen üblichen dreißig Wochenstunden auf einmal nur noch zehn Stunden an der Schule unterrichtet hat. Auf meine Nachfrage, wie es dazu gekommen ist, sagte er nur: ‚Für zehn Stunden kriege ich dasselbe Gehalt wie für dreißig, wieso soll ich also mehr tun?‘ Wenn alle verantwortlich für eine Sache gemacht werden, dann fühlt sich niemand mehr verantwortlich dafür.

Frage: Was wäre eine Alternative?

Wolf: Eine ökosoziale Marktwirtschaft könnte ein Anfang sein. Das bedeutet: Wenn ich etwas besitze, sollte ich nicht nur meine Verantwortung für die Ärmeren, sondern auch für die Umwelt wahrnehmen. Es geht darum, das rechte Maß der Dinge zu finden. Das heißt natürlich auch Verzicht.

Frage: Wie sieht es mit Ihrem eigenen Besitz aus? Was passiert mit den Einkünften, die Sie für Bücher oder Vorträge erhalten?

Wolf: Ich habe überhaupt keinen Eigenbesitz. Alle meine Einkünfte gehen in das Kloster Sant’Anselmo hier in Rom. Wir werden von zentraler Stelle nicht finanziell unterstützt und sind deshalb auf Spenden angewiesen. Ich bin froh, wenn ich da meinen Beitrag leisten kann.

Frage: Fällt das nicht manchmal schwer, das selbst verdiente Geld komplett abzugeben?

Wolf: Nein, überhaupt nicht. Ich brauche nichts und bin glücklich, wenn ich Geld bekomme und das hier in unser Haus und unsere Studenten investieren kann. Ähnlich wie der Vater einer Familie – nur dass ich halt eine Großfamilie am Hals habe (lacht).

Das Interview führte Steffi Seyferth.

Zur Person

Seit dem Jahr 2000 ist Notker Wolf neunter Abtprimas des Benediktiner-Ordens mit Sitz in Rom. Kurz nach seinem Abitur im Jahr 1961 trat der gebürtige Bad Grönenbacher (Diözese Augsburg) in das Kloster Sankt Ottilien ein. Er studierte Philosophie, Theologie, Zoologie, Chemie und Astronomiegeschichte in Rom und München und empfing 1968 die Priesterweihe. Wolf spricht sich klar gegen Profitgier aus und plädiert für mehr Eigenverantwortung des Einzelnen. Der Austausch mit anderen Kulturen und Religionen ist ihm wichtig. Bereits Ende der 1970er Jahre reiste der Benediktiner nach Afrika und Asien, um Klöster zu gründen und „interreligiöse Freundschaften“ zu pflegen. Zunächst vorwiegend mit buddhistischen Zen-Mönchen aus Japan, in den letzten Jahren aber auch immer mehr mit islamischen Gruppen, zum Beispiel aus dem Iran. Zu diesem Zweck wurden die internationalen Gremien „L’Alliance Inter Monastères“ und „Dialogue Interreligieux Monastique“ gegründet, deren Vorsitzender Wolf ist.

Mit freundlicher Abdruckgenehmigung des Missio Magazins, die Zeitschrift des katholischen Hilfswerkes Missio in München .