Zwischen den Fronten
Bild: © KNA

Zwischen den Fronten

Während sich gerade alle Augen auf Kairo, die Protestlager der Muslimbrüder und deren Räumung durch das Militär richten, werden überall in Ägypten Kirchen angegriffen. Christen werden erneut Opfer der Auseinandersetzungen zwischen der Staatsmacht und den Muslimbrüdern.

Erstellt: 15.08.2013
Aktualisiert: 11.07.2015
Lesedauer: 

Während sich gerade alle Augen auf Kairo, die Protestlager der Muslimbrüder und deren Räumung durch das Militär richten, werden überall in Ägypten Kirchen angegriffen. Christen werden erneut Opfer der Auseinandersetzungen zwischen der Staatsmacht und den Muslimbrüdern.

Bereits wenige Tage nach dem Sturz des damaligen Präsidenten Mohammed Mursi am 3. Juli war es zu Angriffen auf christliche Geschäfte und Wohnhäuser sowie auf Kirchen gekommen. So wurde ein katholisches Sozialzentrum in einem Dorf in der Nähe von Minia im mittleren Niltal in Brand gesteckt. In Marsa Matruh, einem beliebten Ferienort für Ägypter an der Mittelmeerküste, wurden Brandsätze auf eine Kirche geworfen und in einem oberägyptischen Dorf in der Nähe von Luxor bei Ausschreitungen zwischen Christen und Muslimen vier Menschen – drei Christen und ein Muslim – getötet; 25 Häuser von Christen gingen in Flammen auf. Auf der Sinai-Halbinsel wurde ein koptischer Priester offenbar gezielt von radikalen Islamisten auf der Straße gestoppt und kaltblütig ermordet.

Muslimbrüder machen Christen für Machtverlust verantwortlich

Die Gewalt gegen Christen kommt nicht von ungefähr. Bei Protesten von Muslimbrüdern nach dem Sturz von Präsident Mursi wurden der koptisch-orthodoxe Papst Tawadros II. und der Großscheich der islamischen al-Azhar-Universität, Ahmad al-Tayyeb, wütend beschimpft. Beide waren am 3. Juli zusammen mit Armeechef Abdelfattah al-Sissi im Fernsehen aufgetreten und hatten die Ägypter nach dem Sturz des Präsidenten zu Ruhe und Einheit aufgerufen. Islamisten und Muslimbrüder machen sie jetzt für ihren Machtverlust verantwortlich.

Bereits am 5. Juli hatte Mohammed Badie, der spirituelle Führer der Muslimbruderschaft, Papst Tawadros öffentlich dazu aufgefordert, sich aus der Politik herauszuhalten, und deutlich gemacht, dass gesellschaftliches Engagement der Kirche in Ägypten nicht willkommen sei.

Bild: © Jonathan Rashad (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mohamed_Morsi.png), „Mohamed Morsi“, https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/legalcode

Aus Sicherheitsgründen hat Papst Tawadros seine öffentlichen Mittwochskatechesen in der Markus-Kathedrale ausgesetzt. Sein Name findet sich zusammen mit denen von Armeechef al-Sissi und von Übergangspräsident Adly Mansour auf einer anonymen Todesliste. Anfang August bezichtigte dann Ayman al-Zawahiri, der aus Ägypten stammende Führer von al-Qa’ida und Nachfolger Usama bin Ladens, die Christen Ägyptens zusammen mit den US-Amerikanern des Komplotts gegen die Regierung der Muslimbrüder. Christen wollten im Süden Ägyptens einen christlichen Staat gründen. Eine völlig haltlose Behauptung - dennoch kommt es im Anschluss in Oberägypten zur Erstürmung von Kirchen durch Islamisten; in Sohag wird eine Fahne von al-Qa’ida auf dem Kirchengebäude gehisst. In der Nähe von Minia werden christliche Wohnhäuser angegriffen. In Sohag wird ein katholischer Christ getötet, in Kairo ein zehnjähriges Mädchen beim Verlassen einer evangelischen Kirche erschossen.

Gestern über 20 Angriffe auf Kirchen und christliche Einrichtungen

Und auch beim Vorgehen der Armee gegen die Protestlager der Muslimbrüder entlädt sich die Wut der Islamisten wieder an den Christen. Partner des katholischen Missionswerks Missio in Aachen berichten, dass am gestrigen Mittwoch allein 22 Kirchen im ganzen Land angegriffen wurden. Betroffen sind unter anderem Kloster und Schule der Schwestern vom Guten Hirten in Suez, Kirche und Konvent der Jesuiten in Minia, die katholische Basilika in Kairo-Heliopolis und viele andere. Das koptisch-katholische Patriarchat hat alle Gottesdienste zum heutigen Fest Mariä Himmelfahrt aus Sicherheitsgründen abgesagt. Dennoch finden sich viele, vor allem junge Christen an ihren Kirchen ein, um sie vor Angriffen zu schützen. „Ich gehe meine Kirche mit meinem Blut zu schützen“, schreibt ein junger Christ aus Beni Suef, etwa 150 Kilometer südlich von Kairo, „ohne Furcht vor den Terroristen. Ich habe keine Angst, denn der König des Alls ist mit uns. Das ist das Mindeste, was ich für meine Kirche tun kann.“

Armee und Übergangsregierung haben Fehler gemacht

Die Entwicklungen der vergangenen Wochen und erst recht den vergangenen Stunden lassen befürchten, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt in Ägypten in größter Gefahr ist. Zwar haben Armee und Übergangsregierung schwere Fehler gemacht, indem sie seit dem Sturz von Präsident Mursi die Muslimbrüder verfolgt haben, wie es zu Zeiten von Hosni Mubarak der Fall gewesen war. Damit haben sie den gleichen Fehler begangen, die die Demonstranten der Protestbewegung gegen Präsident Mursi den Muslimbrüdern vorgeworfen hatten: nicht auf gesellschaftlichen Konsens, sondern auf Spaltung zu setzen. Christen dürfen aber nicht zum Sündenbock für Fehler von Regierung und Militär gemacht werden. Indem sie den Hass auf die Christen des Landes schüren, wollen sich Muslimbrüder und Islamisten Anhänger verschaffen. Blickt man auf die vergangenen Stunden, droht diese Rechnung aufzugehen. Bleibt nur zu hoffen, dass auf beiden Seiten schnell wieder Besonnenheit einkehrt und die Mahnrufe von christlichen und islamischen Vertretern zur Einheit gehört werden.

Von Matthias Vogt

Zollitsch besorgt über Lage in Ägypten

Bonn - 16.08.2013 Die blutigen Ausschreitungen zwischen Anhängern des entmachteten Präsidenten Mohammed Mursi und der Polizei in Ägypten reißen nicht ab. Islamisten und Muslimbrüder haben zu einem „Freitag der Wut“ aufgerufen. Die Bundesregierung reagiert mit einer Reisewarnung für das gesamte Land. Nun meldet sich der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Erzbischof Robert Zollitsch zu Wort.

Wissenschaftler: Militär wird sich in Ägypten durchsetzen

Köln - 16.08.2013 Laut Einschätzung des Hamburger Islamwissenschaftlers Udo Steinbach wird sich das Militär in Ägypten langfristig durchsetzen. „Das heißt, dass die ganz großen Aufmärsche und Demonstrationen unterdrückt werden“, sagte er am Freitag dem Deutschlandfunk in Köln. Zu einem Bürgerkrieg werde es seiner Ansicht nach nicht kommen. Allerdings erwartet der Experte eine lang anhaltende, „diffuse Gewalt“ im Land, bei der Regierungseinrichtungen und Polizisten angegriffen würden. Auch zwischen Extremisten und Kopten könnte es Konflikte geben. (KNA)

Kauder gibt Muslimbrüder Verantwortung für Lage in Ägypten

Düsseldorf - 16.08.2013 Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) sieht die Muslimbrüder für die dramatische Lage in Ägypten verantwortlich. „Nach wie vor gilt, dass die Muslimbrüder ihren Widerstand aufgeben und sich an einem Dialog der nationalen Aussöhnung beteiligen sollten“, sagte Kauder der in Düsseldorf erscheinenden „Rheinischen Post“. Natürlich sei Mursi rechtmäßig gewählt worden. „Die Muslimbrüder und er haben aber dann versucht, Ägypten Schritt für Schritt in einen Gottesstaat zu verwandeln. Sie tragen damit zentrale Verantwortung für die heutige Situation“, fügte Kauder hinzu. „Am meisten mache ich mir um die Christen Sorgen.“ Die Islamisten machten sie nun zur Zielscheibe ihres Hasses – ähnlich wie es einmal im Irak gewesen sei. „Die islamischen Länder sollten die radikalen Muslime aufrufen, die Christen und ihre Kirchen zu schonen“, sagte Kauder. „Wenn, dann haben nur sie Einfluss auf die Muslimbrüder. Auch die Türkei sollte hier aktiv werden.“ (KNA)

Muslimbrüder bekräftigen Protestwille – Zahl der Toten steigt

Kairo - 15.08.2013 Die Muslimbrüder haben einen Tag nach den blutigen Zusammenstößen mit Hunderten Toten in Ägypten weitere Proteste angekündigt. Nicht einmal der Tod der Anhänger könne ihre „glorreiche Revolution“ in Ägypten stoppen, zitierte CNN einen hochrangigen Muslimbruder am Donnerstag in Kairo. „Wir werden unsere Proteste und Demonstrationen im ganzen Land fortsetzen, so lange bis Demokratie und die legitimierte Regierung wiederhergestellt sind“, so der Vertreter der Islamisten weiter. Ein Sprecher des Gesundheitsministeriums korrigierte die Zahl der Todesopfer indes am Donnerstagnachmittag nach oben. Nach den Angaben starben landesweit mehr als 500 Menschen. Mehr als 3.700 Personen seien verletzt worden, zitierten ägyptische Medien aus einer Ministeriumsmitteilung. Zuvor war von 421 Toten die Rede gewesen. Davon waren mehr als 130 bei der gewaltsamen Räumung des Rabaa-al-Adawija-Platzes in Kairo ums Leben gekommen; rund 60 bei der Beendigung eines Protestcamps auf dem Nahda-Platz nahe der Universität und 29 weitere in der Stadt Helwan bei Kairo. Aus den Provinzen seien rund 200 Todesopfer gemeldet worden. (KNA)

Sprecher der ägyptischen Bischofskonferenz wirft dem Westen Naivität vor

Aachen - 15.08.2013 Der Sprecher der katholischen Bischofskonferenz in Ägypten, Rafic Greiche, warf im Gespräch mit Missio der westlichen Politik Naivität und zu viel Wohlwollen gegenüber den Muslimbrüdern vor. „Die Muslimbrüder drohen allen Ägyptern, nicht nur den Christen. Sie drohen den moderaten Muslimen, den Konservativen, den Liberalen und denen vom linken Flügel,“ sagte Greiche nach einer Mitteilung des Hilfswerks. Die westlichen Regierungen, besonders Amerika und Frankreich, fragten nicht nach Dingen wie Religionsfreiheit, sie fokussierten sich zu sehr auf die Muslimbrüder, so Greiche weiter. (KNA)

Reporter ohne Grenzen: Medienfreiheit in Ägypten in Gefahr

Berlin - 15.08.2013 Reporter ohne Grenzen hat gezielte Gewalt gegen Journalisten in Ägypten verurteilt. Während der gewaltsamen Auseinandersetzungen in den vergangenen Tagen sind nach Angaben der Menschenrechtler mindestens zwei Journalisten getötet worden; zahlreiche seien verletzt, so die Organisation am Donnerstag in Berlin. Viele Sicherheitskräfte, aber auch Anhänger des gestürzten Präsidenten Mursi, gingen gezielt gegen Journalisten vor. „Alle politischen Kräfte in Ägypten sollten umgehend die Gewalt und Einschüchterungsversuche gegen Journalisten einstellen“, forderte der Vorstandssprecher von Reporter ohne Grenzen, Michael Rediske. (KNA)

Papst betet für Opfer in Ägypten

Castel Gandolfo - 15.08.2013 Papst Franziskus betet für die Opfer der blutigen Zusammenstöße in Ägypten. Bei seinem Mittagsgebet mit mehreren Tausend Besuchern vor der päpstlichen Sommerresidenz in Castel Gandolfo erinnerte das Kirchenoberhaupt an die Toten und Verletzten des Konflikts sowie deren Familien. "Beten wir gemeinsam für Frieden, Dialog und Versöhnung in diesem geliebten Land und in der ganzen Welt", sagte der Papst. Franziskus war zum Feiertag Mariä Himmelfahrt nach Castel Gandolfo gereist, das rund 30 Kilometer von Rom entfernt liegt. (KNA)

Anba Damian beklagt massive Gewalt gegen Christen

Bonn - 15.08.2013 Der koptische Bischof für Deutschland, Anba Damian, hat massive Gewalt von Islamisten gegen die christliche Minderheit in Ägypten beklagt. Bei den Unruhen am Mittwoch seien mehr als 40 christliche Kirchen und Einrichtungen angegriffen sowie Geschäfte von Christen verwüstet worden, sagte Damian am Donnerstag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Islamisten und Muslimbrüder machten die Christen für ihren Machtverlust und den Sturz von Präsident Mohammed Mursi verantwortlich, so Damian weiter. Armee und Polizei anzugreifen, sei schwieriger. Deshalb entlade sich die Wut auf die Christen. (KNA)

UNO und EU rufen Ägypten zur Mäßigung auf

New York/Brüssel - 14.08.2013 Die Vereinten Nationen und die EU haben Ägypten zur Beendigung der Gewalt aufgerufen. UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon verurteilte „auf schärfte Weise“ die Ausschreitungen bei der gewaltsamen Räumung von Protest-Camps in Kairo durch Sicherheitskräfte. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton äußerte „tiefe Besorgnis“ über die Entwicklungen. Konfrontation und Gewalt seien „nicht der Weg, um politische Kernfragen zu lösen“, erklärte Ashton am Mittwoch in Brüssel. Die Organisation für Islamische Zusammenarbeit, ein Verband von 57 islamischen Staaten mit Sitz im saudischen Dschidda, mahnte alle Parteien zur Zurückhaltung und zum Dialog. (KNA)