Die Fehler des Westens und die Waffe der Liebe

Die Fehler des Westens und die Waffe der Liebe

Peter Scholl-Latour, Nahost-Experte und Urgestein der deutschen Auslandsberichterstattung, sieht in der „Schwäche des Westens und dem Verblassen der christlichen Religion“ einen wesentlichen Grund für das schwierige Verhältnis des Westens zur islamischen Welt. Bei einem Gespräch über Ägypten im Umbruch am Dienstagabend in der Katholischen Akademie in München, mitveranstaltet vom Internationalen Katholischen Missionswerk Missio, richtete er unangenehme Botschaften an die Adresse der Europäer.

Erstellt: 24.10.2013
Aktualisiert: 12.07.2015
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Peter Scholl-Latour, Nahost-Experte und Urgestein der deutschen Auslandsberichterstattung, sieht in der „Schwäche des Westens und dem Verblassen der christlichen Religion“ einen wesentlichen Grund für das schwierige Verhältnis des Westens zur islamischen Welt. Bei einem Gespräch über Ägypten im Umbruch am Dienstagabend in der Katholischen Akademie in München, mitveranstaltet vom Internationalen Katholischen Missionswerk Missio, richtete er unangenehme Botschaften an die Adresse der Europäer.

„Kreuzritter und muslimische Kämpfer standen sich vielleicht psychologisch näher als der Westen und die islamische Welt heute“, erklärte der 89-jährige Politologe und Arabist. Während die einen unter den Rufen „Deus lo vult“ (Gott will es) in den Kampf zogen, antworteten die anderen mit „Allahu akbar“ (Allah ist groß). Im Orient und sogar im einst so gemäßigten islamischen Indonesien vollziehe sich eine Rückbesinnung auf die Religion bis hin zur teilweisen Radikalisierung. „Das steht im krassen Gegensatz zur westlichen Welt, wo es sich gehört, sich über die Religion lustig zu machen“, fuhr er fort.

Wenn Scholl-Latour erzählt, ist es still im Publikum. Er ist älter als die 1928 gegründete Muslimbruderschaft, kann also einen beachtlichen Zeitraum überblicken. Dem ägyptischen Oberst und späteren Präsidenten Gamal Abdel Nasser begegnete er noch persönlich. Das Scheitern von Nassers sozialistischem Projekt und die Rückbesinnung vieler Ägypter auf die eigenen, religiösen Wurzeln erklärt der Orientkenner mit der arabischen Niederlage im Sechstagekrieg 1967. Auch im Land des Gegners Israel, das mit seinem Präventivschlag siegreich daraus hervorging, wähnte man sich danach stärker im Bund mit Gott.

Bild: © Fritz Stark/Missio

USA unterschätzt Faktor Religion

Die USA unterschätzten den Faktor Religion fortlaufend, diagnostizierte der Publizist. In Afghanistan habe er selbst miterlebt, wie von den Vereinigten Staaten unterstützte radikalislamische Kämpfer, die noch gegen die Sowjetunion in den Krieg zogen, den Amerikanern den Tod wünschten. Ausdrücklich warnte Scholl-Latour den Westen vor einer Allianz mit Staaten wie Saudi-Arabien und auch vor einer Kooperation mit anderen Ländern am Persischen Golf, wo billige Arbeitskräfte versklavt würden.

„Ob Christenheit und islamische Welt jemals zusammenfinden, bleibt weiter fraglich“, lautete sein skeptisches Fazit. In diesen pessimistischen Ton wollte Kyrillos William nicht einstimmen. Eindrücklich schilderte der koptisch-katholische Bischof von Assiut in Mittelägypten das interreligiöse Miteinander in seinem Bistum.

„Doch, wir haben hier eine starke Waffe. Es ist die Liebe.“

—  Zitat: Kyrillos William

Nächstenliebe statt Bewaffnung

Nach dem Mord an einem koptisch-orthodoxen Priester vor einigen Monaten dort hatten sich schon 2.000 Muslime bewaffnet in einer Moschee versammelt, als sie fest mit einem Sturm der Rache der Christen rechneten. Jedoch berieten sich die Christen und beraumten daraufhin ein Treffen in einer Kirche mit Vertretern aller muslimischen Gruppierungen an. Einer der radikalen Muslime zeigte sich überrascht, als er dort keine Waffen vorfand. Der Bischof habe ihm daraufhin gesagt: „Doch, wir haben hier eine starke Waffe. Es ist die Liebe“.

Aufgrund regelmäßiger interreligiöser Begegnungen sei Assiut heute einer der friedlichsten Orte in Ägypten. „Ich habe bereits fünf neue Kirchen in meiner Diözese gebaut“, versicherte William. Fanatiker hätten dies einmal zu verhindert gesucht, aber ein Telefonat mit dem richtigen islamischen Vertreter habe jede Gefahr abwenden können. Die kleine bedrängte katholische Kirche am Nil, zu der sich 200.000 Anhänger von zusammen acht Millionen Christen bekennen, sei wegen ihres sozialen Engagements hoch geachtet. Wohl auch deswegen stellte Scholl-Latour abschließend fest: „Es ist ein Skandal, dass sich der Westen nicht schon früher um die Christen dort gekümmert hat.“

Von Michaela Koller

Sonntag der Weltmission

Ägypten steht in diesem Jahr als Beispielland im Mittelpunkt der Missio-Kampagne zum Sonntag der Weltmission. Dieser wird am kommenden Sonntag (27. Oktober) gefeiert. Das Hilfswerk Missio sammelt deshalb in allen katholischen Gottesdiensten Spenden für Hilfsprojekte in aller Welt und ruft zur Solidarität mit den Christen in Ägypten auf. Näheres zur Missio-Aktion erfahren Sie in unserem Dossier: