
„Unserer Sorge können wir keine Grenzen setzen“
Nicht nur die EU hat sich auf ihrem heutigen Gipfel in Brüssel mit dem Thema Flüchtlingspolitik befasst. Auch die 26 Jesuiten-Provenziäle aus Europa und dem Nahen Osten, die sich zu ihrer jährlichen Konferenz vom 17. bis 23. Oktober in Rom trafen, richteten ihren Blick auf die Situation von Flüchtlingen. In ihrer gemeinsamen Erklärung drücken die Ordensmänner ihre tiefe Sorge aus:
Aktualisiert: 12.07.2015
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Nicht nur die EU hat sich auf ihrem heutigen Gipfel in Brüssel mit dem Thema Flüchtlingspolitik befasst. Auch die 26 Jesuiten-Provenziäle aus Europa und dem Nahen Osten, die sich zu ihrer jährlichen Konferenz vom 17. bis 23. Oktober in Rom trafen, richteten ihren Blick auf die Situation von Flüchtlingen. In ihrer gemeinsamen Erklärung drücken die Ordensmänner ihre tiefe Sorge aus:
Erklärung
der Jesuiten-Provinziäle aus Europa, dem Nahen Osten und Afrika-Madagaskar zu Migration und Asyl heute:
In den letzten Wochen haben wir gesehen, dass Flüchtlingen und ihren Familien schreckliches Leiden zugefügt wurde, die jüngste Tragödie in Lampedusa bildet den Höhepunkt. Beim Versuch, Europa zu erreichen, sind in den letzten zwanzig Jahren viele Tausende gestorben. Papst Franziskus hat Lampedusa besucht und dabei sein Mitgefühl, seine Empörung und seine Trauer über das verzweifelte Leiden der Flüchtlinge ausgedrückt. Wir Jesuiten-Provinziäle vertreten als Höhere Obere aus Europa, dem Nahen Osten und Afrika-Madagaskar über 6.000 Jesuiten in unseren beiden Kontinenten. Wir schließen uns der Betroffenheit und Sorge des Papstes für die Flüchtlinge an, die enorme Risiken auf sich nehmen, um ein besseres Leben zu finden und vor lebensbedrohlichen Situationen in ihren Heimatländern zu fliehen. Wir veröffentlichen diese Erklärung, weil wir glauben, dass eine Dringlichkeit für unsere Gesellschaften besteht im Hinblick auf diese ernste moralische Frage.
Leben schützen – eine elementare moralische Notwendigkeit
Die Gründe von Flucht- und Migrationsbewegungen sind komplex. Unter den wichtigsten sind: Kriege, Verfolgung, wirtschaftliche Instabilität, Umweltkatastrophen und bankrotte Staaten, die ihre Bevölkerung nicht mehr versorgen können. Unabhängig von den Gründen zeigt uns die Tragödie von Lampedusa, dass wir alle berufen sind, unserer elementaren humanitären Verpflichtung nachzukommen, Leben zu schützen. Wir können dieser moralischen Notwendigkeit nicht entkommen.
Waffenlieferungen nach Afrika stoppen
Europa muss seine Mitverantwortung für die globalen Migrationsströme akzeptieren. Viele europäische Staaten oder deren Unternehmen liefern Waffen nach Afrika, oft heimlich. Diese Waffenlieferungen schüren Konflikte, die wiederum Migrationsströme auslösen. Unsere Welt ist so miteinander verbunden, dass unsere Sorge im Mittelmeer keine Grenze haben kann.
Die Dublin-Verordnung
Viele europäische Länder nehmen Asylbewerber gastfreundlich auf. Die „Dublin-Verordnung“, die besagt, dass Länder für Asylbewerber verantwortlich sind, wo diese ankommen, sieht jedoch keine gerechte Aufteilung der Asylströme vor. Alle Länder Europas sollten einander in diesem Bereich in Solidarität unterstützen und gemeinsam Verantwortung in Asyl-und Migrationsfragen übernehmen.
Inhaftierung von Asylbewerbern stoppen; Bedingungen der Abschiebungshaft verbessern
- Wir lehnen die Inhaftierung von Asylbewerbern ab. Alternativen zur Abschiebungshaft sind möglich; einige Regierungen haben gute Erfahrungen damit gemacht.
- Kindern, sei es von Zuwanderern oder Asylbewerbern, muss mehr Schutz geboten werden. Des Weiteren muss ihr Recht auf eine gute Bildung garantiert werden.
- Die Bedingungen von Abschiebungshaft sind oftmals menschenunwürdig. Wir erkennen, dass menschliche Bedingungen und auch die Sorge um die geistliche Not moralisch geboten sind, wenn nationale Regierungen und deren soziale Sicherungssysteme überansprucht sind.
Keine Beteiligung an extremen politischen Diskursen
Wir sind besorgt über die Art und Weise, in der sich Politiker über alle Lager hinweg von Politikern der extremen Rechten beeinflussen lassen. Je intensiver der Kampf um Stimmen und Wahlerfolge wird, desto mehr läuft der politische Diskurs Gefahr, zur Geisel extremer Formen von Populismus zu werden. Wir rufen die Politiker dazu auf, sicherzustellen, dass solche Extremisten den Ton der politischen Debatte nicht diktieren können. Das Europa des 20. Jahrhunderts hat gezeigt, welche Tragödie sich ereignet, wenn extremistische Gruppen die Tagesordnung bestimmen und die Kontrolle übernehmen können. Wir bitten alle in den Heimatländern der Flüchtlinge, für Frieden und Gerechtigkeit in ihren jeweiligen Ländern zu arbeiten, damit alle Bürger dort ein sicheres und geschütztes Zuhause für ihre Familien finden können.
Diejenigen, die sich für Verbesserung einsetzen, unterstützen
Wir möchten ausdrücklich die mutigen Anstrengungen so vieler Bischofskonferenzen, kirchlicher Gruppen und Nichtregierungsorganisationen in Europa würdigen, die sich im praktischen und anwaltschaftlichen Dienst von Flüchtlingen und Migranten einsetzen. Als Jesuiten danken wir besonders dem Jesuiten-Flüchtlingsdienst (Jesuit Refugee Service – JRS) und seiner spanischen Partnerorganisation „Servicio Jesuita a Migrantes“ (SJM) sowie anderen jesuitischen Einrichtungen für ihre Arbeit mit Engagement und Professionalität. Als Gesellschaft Jesu in Europa, im Nahen Osten, Afrika und Madagaskar erneuern wir unsere Hingabe im Dienst für Benachteiligte und für die Ärmsten der Armen in allen Ländern und empfehlen die Flüchtlinge dem Gebet aller Gläubigen und der Sorge und der Betreuung von allen Menschen guten Willens.
Anmerkung: Die Jesuiten-Provinziäle aus Europa und dem Nahen Osten haben diese Erklärung während ihrer jährlichen Konferenz in Rom vom 17. bis 23. Oktober 2013 verabschiedet. Die Provinziäle Afrikas und Madagaskars haben ihr auf elektronischem Weg zugestimmt.