
„Es geht voran in Afrika“
Afrika droht aus dem Blickfeld zu geraten – das fürchtet der in Äthiopien geborene Unternehmensberater und Publizist Asfa-Wossen Asserate. Im Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) berichtet der Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers Haile Selassie (1892-1975) zugleich vom wachsenden Mittelstand des Kontinents.
Aktualisiert: 12.07.2015
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Afrika droht aus dem Blickfeld zu geraten – das fürchtet der in Äthiopien geborene Unternehmensberater und Publizist Asfa-Wossen Asserate. Im Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) berichtet der Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers Haile Selassie (1892-1975) zugleich vom wachsenden Mittelstand des Kontinents.
Frage: Herr Asserate, das Bild der westlichen Welt von ihrem Heimatkontinent scheint weiterhin geprägt von dem Bild des armen Afrikas. Stimmt das?
Asserate: Nein. In einigen Teilen Afrikas erleben wir zurzeit eine Renaissance. Vor allem auf dem Gebiete der Wirtschaft passiert viel, der Mittelstand wächst. Man darf dabei auch nicht vergessen, dass, wenn man Ende der 60er Jahre einen europäischen Investor gefragt hätte, ob die Zukunft in Afrika oder Asien liege, die Antwort klar Afrika gewesen wäre. Wir müssen uns jetzt die Frage stellen, was passiert ist, dass genau das Gegenteil eingetreten ist. Asien ist in aller Munde und keiner kommt nach Afrika.
Frage: Was ist denn schief gelaufen?
Asserate: Die Militärdiktaturen und Autokraten der 70er und 80er Jahre haben die Wirtschaften vollkommen ruiniert. Zudem haben sie aus den Afrikanern ein Volk von Flüchtlingen gemacht. Im Jahr der äthiopischen Revolution 1974 gab es weltweit acht politische äthiopische Flüchtlinge; heute sind es zweieinhalb Millionen, von den anderen afrikanischen Ländern ganz zu schweigen.
Frage: Entwicklungspolitiker würden heute sagen, es mangelt an „Good Governance“. Was ist mit dem Schlagwort der „guten Regierungsführung“ gemeint?
Asserate: In erster Linie steht dieses Schlagwort für das Bedürfnis Afrikas, endlich einmal eine Regierung zu haben, die dem Willen des Volkes entspricht. Ich verstehe darunter ein Ende der Ära der Diktaturen, die Afrika ruiniert haben. Es ist vielleicht das Wichtigste in der Entwicklungspolitik. Die schönsten Projekte nützen nichts ohne gute Regierungsführung.
„Die größte Herausforderung ist die Religion.“
Frage: Aber ist das nicht ein sehr westlicher Begriff?
Asserate: Ich kann diese europäischen Ausreden nicht mehr hören, man müsse Verständnis haben für die armen Afrikaner, die ja leider Gottes noch nicht so weit sind, die Demokratie zu praktizieren. Die wie andere Nationen davor noch viel mehr Zeit brauchen. Die Menschenrechte jedoch haben universale Gültigkeit, die von allen Regierungen dieser Erde akzeptiert werden müssen. Schlechte Regierungsführung und der Tribalismus sind die beiden Todfeinde Afrikas.
Frage: In vielen afrikanischen Ländern scheint es zudem, als ob auch Religion zum Unfrieden beiträgt. Welche Rolle kann denn Religion beim Aufbau von Gesellschaften spielen?
Asserate: In Afrika ist die größte Herausforderung, die wir zurzeit haben, die Religion. Wir müssen zusehen, wie wir dem Islam begegnen. Meines Erachtens muss der Dialog aller abrahamitischen Religionen stärker gefördert werden. Es geht in erster Linie darum, die Vorurteile, die etwa Christen und Muslime gegenüber der jeweils anderen Religion haben, auszumerzen. Es gibt keine Religion, die Unfrieden oder Gewalt bejaht.
Frage: Braucht denn dann Afrika bei seinem Rohstoffreichtum und dem wachsenden Mittelstand überhaupt noch westliche Hilfe?
Asserate: Ja, auf alle Fälle. Die florierenden afrikanischen Wirtschaften sind einige wenige, wie zum Beispiel Mauritius, Botsuana und mittlerweile wieder Ghana, aber es gibt auch andere Beispiele, etwa Sierra Leone oder Somalia. Diese Länder bleiben in der Armutsfalle. Die Renaissance ist beachtlich, aber sie ist noch nicht überall angekommen. Immerhin zählen mittlerweile etwa 300 Millionen Menschen in Afrika zum Mittelstand.
Frage: Wäre eine innerafrikanische Hilfe auch denkbar?
Asserate: Die Afrikanische Union und andere Institutionen wie NETAD und African Peer Review Mechanism müssen sich intensiver mit den Problemen ihres Kontinents beschäftigen und nicht alles der EU und internationalen Nichtregierungsorganisationen überlassen.
Frage: Wie wird denn die Präsenz oder das Auftreten westlicher Politiker in Afrika heutzutage wahrgenommen?
Asserate: Jede Kritik an Afrika wird als Folge des Kolonialismus entschuldigt. Das muss aufhören. Die Afrikaner müssen endlich akzeptieren, dass afrikanische Diktaturen in den letzten 30 Jahren ihren Völkern mehr geschadet haben als die alten Kolonialherren. Europa muss die Menschenrechte konsequenter einfordern und dafür brauchen wir eine gemeinsame europäische Afrikapolitik. Leider aber hat Europa jetzt eine weitere Ausrede, solche Beziehungen aufrechtzuerhalten: die Volksrepublik China. China investiert Milliarden in Afrika, ohne sich um die Menschenrechte zu kümmern. Um die chinesische Konkurrenz zu umgehen, sind europäische Staaten wieder bereit, mit afrikanischen Gewaltherrschern zu kooperieren.
Frage: Woher kommt das?
Asserate: Da müssen sich die Europäer vorwerfen lassen, dass es in letzter Zeit kaum Investitionen in Afrika gab. Ein berechtigter Grund, den viele deutsche mittelständische Unternehmen anbringen, ist die Angst vor einem Verlustgeschäft oder Totalausfall. Hier könnte Europa etwas tun, um für gewisse Projekte zu garantieren. In China etwa bürgt der Staat dafür.
Frage: Gibt es eine Frage zu Afrika, die Sie nicht mehr hören können?
Asserate: Warum ist Afrika so arm? Wir müssen endlich mal gute Nachrichten über Afrika hören. Die wirtschaftlichen Erfolge waren keine Eintagsfliege. Immer noch florieren viele Wirtschaftszweige wie etwa die Kommunikationsbranche. Es geht voran in Afrika.
Frage: Herr Asserate, Sie selbst haben darüber geschrieben, dass ihre Familie auf König David zurückgeführt werden kann. Ist das eine Ehre oder auch Last?
Asserate: Es ist wahrlich nicht immer ein Privileg. Es ist in erster Linie eine große Verantwortung und Herausforderung, ein solch altes Haus zu repräsentieren. Das Wichtigste ist aber, weiterhin ein Symbol zu sein für die Einheit und Souveränität des äthiopischen Volkes.
Das Interview führte Anna Mertens.