Ein Glaube, den keine Bombe erschüttert
Christen in Pakistan ‐ Anfang Januar hat eine Delegation des Internationalen Katholischen Missionswerks Missio Aachen Vertreter der katholischen Kirche Pakistans in Lahore besucht. Über das Leben der christlichen Minderheit in dem südasiatischen Land berichtete Missio-Pressesprecher Johannes Seibel in einer Reportage:
Aktualisiert: 12.07.2015
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Anfang Januar hat eine Delegation des Internationalen Katholischen Missionswerks Missio Aachen Vertreter der katholischen Kirche Pakistans in Lahore besucht. Über das Leben der christlichen Minderheit in dem südasiatischen Land berichtete Missio-Pressesprecher Johannes Seibel in einer Reportage:
Sechshundertfünfzig Kilo hat die Bombe gewogen. Erzbischof Sebastian Francis Shaw OFM steht auf dem Dach seines Bischofshauses mitten in der ostpakistanischen Millionenstadt Lahore. Er zeigt auf einen freien Platz etwa zweihundert Meter Luftlinie in der Nachbarschaft. Der ist neu. Vor fünf Jahren stand hier noch ein Gebäude der Federal Investigation Agency, einer Art pakistanisches Bundeskriminalamt. Bis es ein Selbstmordattentäter dem Erdboden gleichmachte. „Hier sehen sie noch die Risse, die die Wucht der Detonation bei uns verursacht hat“, streicht Erzbischof Shaw mit der Hand über eine Zementfuge in der Dachbrüstung. Sie ist aus roten Ziegelsteinen gemauert. „Wir müssen das Haus spätestens in fünfzehn Jahre abreißen, das haben uns Ingenieure gesagt“, erklärt der Kirchenmann. Und an der backsteinroten Kathedrale, die etwa fünfzig Meter neben dem Bischofshaus in die Nacht ragt, waren alle Fenster zerborsten.
Erzbischof Shaw erzählt unter sternenklarem Himmel lächelnd weiter über den Anschlag. Den Gästen des Internationalen Katholischen Missionswerkes Missio aus Aachen gefriert das Lächeln. Denn während der Attentäter 2008 sich und das Polizeigebäude in die Luft jagte, saß im Bischofshaus der Vorgänger von Erzbischof Shaw an seinem Schreibtisch. „Kurz vor der Explosion stand er von der Arbeit auf und wollte sich in der Küche etwas Geflügel holen – zum Glück, denn das Fenster hinter dem Schreibtisch wurde aus der Verankerung gerissen und schlug mit voller Wucht auf den Schreibtisch. Hätte den Erzbischof nicht der Hunger gepackt, er wäre vermutlich gestorben“, bittet Shaw die Gäste aus Deutschland zurück ins Haus zum Abendessen.
Pakistan ist verwirrend. Denn wäre der frühere Erzbischof von Lahore durch das Fenster erschlagen worden, ließe er sich dann in eine Statistik getöteter verfolgter Christen eintragen, der wegen seines Glaubens gestorben ist? Wäre er dann wirklich Beleg für eine Christenverfolgung? Oder wäre er „nur“ zufällig Opfer eines Anschlags geworden, der dem pakistanischen Staat galt?
Und dass Erzbischof Shaw ein ausgesprochen lebensfroher Mensch ist angesichts einer um sich greifenden Radikalisierung der islamischen Mehrheit, sklavenhalterähnlichen Verhältnissen auf dem Land, angesichts diskriminierender Blasphemie-Gesetze oder terroristischer Anschläge, denen auch Christen zum Opfer fallen – wie lässt sich das vereinbaren?
„Wir Christen sind nicht irgendwann nach Pakistan eingewandert, wir gehören von Anfang an dazu.“
In etwa so: Erzbischof Shaw will sich nicht in die Rolle des verfolgten Opfers drängen lassen. Das würde eine gefährliche gesellschaftliche Isolation und Ghettoisierung nur beschleunigen. „Ich bin optimistisch, dass sich die Dinge ändern werden, auch wenn es derzeit noch wenige Lichtblicke gibt“, sagt er am Rande der Einweihung eines neuen Pfarrzentrums in Lahore, das Missio Aachen mitfinanziert hat. Der Franziskaner hält es schlicht für eine Frage seiner Menschenwürde, als ein christlicher Bürger von Pakistan wahrgenommen zu werden, der „für das Bessere“ in seiner Heimat arbeitet – und nicht zuerst als Angehöriger einer gefährdeten Minderheit. „Wir Christen sind nicht irgendwann nach Pakistan eingewandert, wir gehören von Anfang an dazu. Wir haben unseren Mitbürgern in Pakistan etwas anzubieten, davon können alle profitieren“, beharrt er: Muslime wie Christen, Hindus und andere ethnische und religiöse Gruppen gleichermaßen. Er setzt auf das persönliche Gespräch mit Muslimen. „Freundlich und zurückhaltend versuchen, Vorurteile aufzuklären, das ist ein Weg. Individuen lernen“, sagt er.
Erzbischof pflegt guten Kontakt zum Imam
So pflegt Erzbischof Shaw einen guten Kontakt zum Imam der sunnitischen Badshahi-Moschee in Lahore, Abdul Kabir Azad. Die „rote Moschee“ bietet gut 100.000 Gläubigen Platz. Gerade leitet der bärtige Vorsteher in der Moschee eine Verlobung. Im Schneidersitz auf Teppichen betet er an einem kleinen Tischchen neben dem kommenden Bräutigam. Die Gäste, auch die aus Deutschland, erhalten Beutelchen mit Süßigkeiten. Die Gastfreundschaft der Menschen in Pakistan ist sprichwörtlich. Dann unterschreibt der Imam die Formulare. Vor der Moschee steht er einem Fernsehteam Frage und Antwort. Und danach schlendert Abdul Kabir Azad mit dem Dominikaner James Channan OP, dem Direktor des Friedens-Zentrums in Lahore, über den Platz.
Der Imam wirbt für den interreligiösen Dialog. Im vergangenen November empfing er eine Delegation der Gemeinschaft Sant’Egidio und war mit Erzbischof Shaw Gast einer Tagung, an der auch Vertreter der Schiiten, Hindus oder Sikhs beteiligt waren. Wenn es Schwierigkeiten zwischen der muslimischen Mehrheitsgesellschaft und Christen in Lahore gibt, schließen sich Erzbischof Shaw und Imam Abdul Kabir Azad kurz. Sie loten Lösungen aus. Auf offizieller Ebene funktioniert der interreligiöse Dialog . Den Alltag der Mehrheit der einfachen Bevölkerung und Muslime erreicht er aber kaum. Auch das macht Pakistan so widersprüchlich.
Niedergebranntes christliches Viertel wieder aufgebaut
Denn der offizielle interreligiöse Dialog konnte den Angriff eines Mobs auf die Joseph Colony, einem christlichen Viertel in Lahore, vor knapp zehn Monaten nicht verhindern. 175 Häuser und zwei Kirchen brannten nieder. Polizei und Militär konnten die Christen nicht schützen. Die Siedlung liegt in einer Art Gewerbegebiet. Das Land ist begehrt. Wer warum den Mob gegen die Christen aufgewiegelt hat, ist unklar. Drahtzieher könnte eine Art Landmafia gewesen sein, die die Bewohner vertreiben wollte, um mit dem Boden gute Geschäfte zu machen. Dann wären auch die Muslime selbst, die gegen die Christen wüteten, für ökonomische Interessen benutzt worden. Allerdings: Der pakistanische Staat hat das Viertel schnell wieder aufgebaut. Heute sind keine Spuren der Brandschatzungen mehr zu sehen. Mitarbeiter der pakistanischen Kirche helfen den Opfern, das Trauma zu verarbeiten. Pakistan ist kompliziert.
„Der Islam sei in Gefahr – dieses diffuse Gefühl empfinden gegenwärtig die Muslime in Pakistan“, erklärt Erzbischof Shaw in Lahore auf der Internationalen Konferenz „The Situation of the Church in Pakistan“, die Missio Aachen ausrichtet. Christoph Marcinkowski, Menschenrechts-Referent des katholischen Hilfswerks, der die Konferenz organisierte, bestätigt diese Beobachtung. „Die Menschen in Pakistan sind seit mehr als zwei Jahrzehnten entsprechender Propaganda fundamentalistischer Muslime ausgesetzt. Auch die Muslime stehen unter sozialem Druck. Die Anschläge der Taliban haben sie zusätzlich eingeschüchtert. Die breite Masse der einfachen Menschen besitzt wenig Bildung. Sie erfahren schon als Kinder in Schulbüchern nur Vorurteile und Ressentiments gegenüber Christen und anderen Minderheiten. Es herrscht Armut“, sagt der Islamwissenschaftler Marcinkowski.
Muslime fürchten Identitätsverlust – dieses Gefühl sucht sich Ventil
Dieses diffuse Gefühl der Bedrohung und eines Identitätsverlustes der breiten muslimischen Masse sucht sich dann ein Ventil – Christen und andere Minderheiten werden zu Sündenböcken. Diese Massen sind verführbar. „Auf diesem Hintergrund verstehen wir auch besser, warum die sogenannten Blasphemie-Gesetze in Pakistan so oft missbraucht werden“, erläutert Marcinkowski weiter. „Es ist eine Art kulturelle Atmosphäre und Mentalität entstanden, in der Konflikte und Alltagsprobleme mit Christen, anderen Minderheiten und anderen Muslimen dadurch gelöst werden, dass man sie der angeblichen Beleidigung des Propheten Mohammed beschuldigt, was Gefängnisstrafen oder gar die Todesstrafe nach sich ziehen kann“, so der Menschenrechts-Experte.
Deshalb setzt sich Missio Aachen für alle Betroffenen ein, die vom Missbrauch des sogenannten Blasphemie-Gesetzes betroffen sind – ob es nun Christen, Muslime, Hindus oder andere sind. Schließlich wird die Gewalt in Pakistan auch von den innerislamischen konfessionellen Auseinandersetzungen zwischen den Sunniten und den Schiiten befeuert. Sie führen einen Stellvertreterkrieg um regionale geostrategische Macht. Saudi-Arabien finanziert die Sunniten, hinter den Schiiten steht der Iran. „Deshalb verspricht nicht der exklusive Einsatz allein für Christen in der Frage des sogenannten Blasphemie-Gesetzes, sondern der Einsatz für alle Bürger aller Religionen in Pakistan realistische Chancen, dass sich dann auch für Christen die Verhältnisse bessern“, sagt Marcinkowski.
Die schlimmen Folgen der Blasphemiegesetze in Pakistan zwingen zum Handeln
Die Zahlen drängen zum Handeln: So wurden 2011 nach Informationen von Missio Aachen fünfzehn Christen, 58 Muslime und fünf Mitglieder der Ahmadiyya wegen angeblicher Blasphemie vor Gericht gestellt. 2012 waren es zwölf Christen, 22 Muslime und fünf Ahmadiyya. Zwischen 1990 und 2012 sind wegen des Vorwurfs der Blasphemie – ohne oder nach abgeschlossenen Gerichtsverfahren – 51 Menschen ermordet worden, davon zwanzig Christen, 26 Muslime, drei Ahmadiyya, ein Hindu und ein Angehöriger einer anderen Religion.
„Die Menschen in Deutschland beten für uns und denken an uns, diese internationale spirituelle Solidarität brauchen wir, das motiviert.“
Zurück in die Loyola Hall Lahore der Jesuiten: Als Erzbischof Shaw den Film über das neue Gottesdienst-Format Aktion Lebenszeichen – Solidarität mit bedrängten Christen von Missio Aachen am Laptop sieht, winkt er seine Mitarbeiter herbei. „Die Menschen in Deutschland beten für uns und denken an uns, diese internationale spirituelle Solidarität brauchen wir, das motiviert“, nickt er. Was aber braucht die katholische Kirche in Pakistan neben dem weltweit verbindenden Gebet? „Unterstützung für unsere pastoralen Strukturen, Hilfe für unsere Ausbildung, für unsere Schulen“, sagt der Erzbischof. Denn so sehr die Christen auch bedrängt sein mögen in Pakistan, sie sind stolz, Bürger ihres Landes zu sein und wollen es entwickeln – mit ungebrochener Glaubensfreude. Das verschafft ihnen Respekt. So einfach kann das sein in einem widersprüchlichen Land.
Von Johannes Seibel