Mitten unter uns
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Mitten unter uns

Keine Mauern, kein Kreuzgang, keine Kapelle. Wer die Missionsärztlichen Schwestern in Berlin besuchen will, muss an keinen „verschlossenen Ort“, in kein Kloster vordringen. Denn die Ordensschwestern leben in einer kleinen Doppelhaushälfte mit Gemeinschaftsgarten, mitten im Neubaugebiet im Bezirk Biesdorf, am östlichsten Rand der Hauptstadt. Und dass sie anderen die Türe öffnen, ist eigentlich nichts Besonderes. Nur, dass sie es zum Tag der offenen Klöster am Samstag mit Ankündigung tun.

Erstellt: 09.05.2014
Aktualisiert: 12.07.2015
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Keine Mauern, kein Kreuzgang, keine Kapelle. Wer die Missionsärztlichen Schwestern in Berlin besuchen will, muss an keinen „verschlossenen Ort“, in kein Kloster vordringen. Denn die Ordensschwestern leben in einer kleinen Doppelhaushälfte mit Gemeinschaftsgarten, mitten im Neubaugebiet im Bezirk Biesdorf, am östlichsten Rand der Hauptstadt. Und dass sie anderen die Türe öffnen, ist eigentlich nichts Besonderes. Nur, dass sie es zum Tag der offenen Klöster am Samstag mit Ankündigung tun.

„Schön dat de do bess“ werden Gäste am Eingang begrüßt. Aber nicht nur die kölsche Fußmatte verrät Schwester Michaelas rheinländische Wurzeln. Unverschnörkelt weiß sie in ihre Ordenswelt einzuführen: „Viele spricht das traditionelle Angebot der Kirche nicht mehr an. Ich selbst wollte schon als Kind Ordensschwester werden – aber im Kloster, in Ordenstracht, mit strikten Tagesabläufen? Nee, das war nix für mich.“ Die heute 71-Jährige hatte das Gefühl, so ihre Persönlichkeit nicht wahren zu können. Sie wollte flexibel sein, internationalen Dialog leben – und Missionarin sein.

1966 traf sie bei ihrem Sozialen Jahr in Essen auf die Missionsärztlichen Schwestern, die auch heute noch neben Berlin und Frankfurt im Ruhrgebiet Gemeinschaften haben. Die damals 23-Jährige holte ein Theologie- und BWL-Studium nach, leitete 15 Jahre lang die Verwaltung des Ordens, arbeitete und lebte mit Ordensmitgliedern auf der halben Welt – bis sie mit einer Kollegin, Schwester Monika, 1992 den Standort Berlin öffnete.

Gespräche über Gott? Nein.

Ein Kardinal habe sie einst gewarnt: „In Berlin kommt ihr in eine Stadt ohne Gott.“ Sie wohnten acht Jahre im Plattenbau in Berlin-Mahrzahn, „um ganz nah an den Menschen dran zu sein“, sagt Schwester Monika. In Mahrzahn-Hellersdorf, wo sie bis auf den heutigen Tag ihre Anlaufstelle für Lebensberatung betreiben, so schätzen die Schwestern, sind über 90 Prozent der Menschen „religiös indifferent“, also nicht katholisch. Nur wenn Not am Mann war, wüsste man, wo man klingelt. „Mit der Kirche hatten die nix am Hut, aber dann kamen sie“, erinnert sich Schwester Michaela. In 15 Jahren als Notfallseelsorgerin waren es nur selten Christen, zu denen sie gerufen wurde. Gespräche über Gott? Nein.

Ihre Aufgabe sehen die Schwestern stattdessen in ihrer „heilenden Präsenz“: Zuhören, Rat geben, auf spirituellen Wegen nach Lösungen suchen, Menschen auf der Suche nach Gott begleiten. Aber nicht jeder, der in die Anlaufstelle nach Marzahn kommt, ist auf der Suche nach Gott. Und seit dem Mauerfall sind die Probleme der Menschen nicht weniger geworden: Überforderung bei Alleinerziehenden, Arbeitslosen und Führungskräften. „Psychisch Angeschlagene von A bis Z kommen zu uns“, sagt Schwester Angelika. Die Hilfsangebote reichen von Musiktherapie, Meditation, Qi Gong bis hin zu Bogenschießen.

Man kann aber auch einfach zu den Schwestern nach Hause in Biesdorf kommen, am Gebet und am Leben teilnehmen, sogar ein Probejahr im Orden versuchen. Die Rahmenbedingungen – Verpflichtung zu Gehorsam, Armut und Ehelosigkeit – sind die gleichen wie in jedem Klosterorden. Nur dass die Schwestern bewusst mitten unter uns leben. Eben ohne Mauern.

Von Julia Rathcke

Linktipp: Tag der offenen Klöster

Am 10. Mai 2014 öffnen Klöster und Konvente in Deutschland an einem gemeinsamen Tag ihre Pforten und Türen. Eine Übersicht der Standorte und das Programm finden Sie auf

Hintergrund: Das bringt der Tag der offenen Klöster

Wie aus die Deutsche Ordensobernkonferenz und die Deutsche Bischofskonferenz mitteilten, nehmen rund 350 Klöster teil. In Bayern sind es rund 100, 57 in Nordrhein-Westfalen, 36 in Baden-Württemberg und sogar in und um Berlin nehmen zehn Ordenshäuser teil. Klöster mit einer jahrhundertealten Tradition wie die Abtei Ottobeuern, die in diesem Jahr ihr 1250-jähriges Bestehen feiert, sind ebenso dabei wie Gemeinschaften, die erst wenige Jahrzehnte alt sind. Neben Führungen und Rundgängen in Kloster- und Wirtschaftsgebäuden bereichern kulturelle Angebote das Programm. Konzerte und Vorträge, aber auch Filmvorführungen oder Ausstellungen können besucht werden. In Klosterkirchen und -kapellen kann gemeinsam mit den Schwestern oder Brüdern gebetet werden. Überall geht es darum, die Ordensfrauen oder -männer kennenzulernen und miteinander ins Gespräch zu kommen. Abt Hermann-Josef Kugler O.Praem., Vorsitzender der Deutschen Ordensobernkonferenz (DOK), freut sich auf das Ereignis: „Menschen in nahezu allen Regionen Deutschlands haben die Möglichkeit, Klöster in ihrer Nähe zu besuchen. Wir laden ein, uns Ordensleute kennenzulernen und sich ein Bild zu machen, wie das Leben im Kloster im 21. Jahrhundert aussieht.“. Auch der für die Ordensgemeinschaften innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz zuständige Bischof Dr. Felix Genn (Münster) hält diesen Tag für eine große Bereicherung: „Ich bin dankbar für das Zeugnis der Schwestern und Brüder in den Klöstern und Gemeinschaften in einer Zeit, in der wir manchmal den Eindruck haben, dass Gott sich verbirgt“, sagte er in Bonn. (gho)