
Die Stunde der Opfer
Die Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und der Guerilla-Organisation FARC gehen in die entscheidende und wohl auch sensibelste Phase. In der kubanischen Hauptstadt Havanna begann in dieser Woche die nächste Verhandlungsrunde zwischen den beiden offiziellen Delegationen und endlich finden auch die Opfer des jahrzehntelangen Konfliktes Gehör.
Aktualisiert: 12.07.2015
Lesedauer:
Die Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und der Guerilla-Organisation FARC gehen in die entscheidende und wohl auch sensibelste Phase. In der kubanischen Hauptstadt Havanna begann in dieser Woche die nächste Verhandlungsrunde zwischen den beiden offiziellen Delegationen und endlich finden auch die Opfer des jahrzehntelangen Konfliktes Gehör.
Sie sollen in Havanna über das Leid, den Terror und die Gewalt berichten, die der jahrzehntelange bewaffnete Konflikt mit sich gebracht hat. Opfer gibt es viele in diesem blutigen Krieg: Rechte Paramilitärs foltern ihre Opfer vor der Ermordung brutal, linke FARC-Rebellen richteten Gegner nur auf einen bloßen Verdacht hin und die kolumbianische Armee steckte unschuldige Zivilisten in Guerilla-Uniformen, um für deren Ermordung „im Kampf“ versprochene Prämien abzukassieren.
Nun sollen ausgesuchte Opfer dabei helfen, den Konflikt zu verstehen und ihn aufzuarbeiten. Für die FARC-Kommandanten geht es dabei auch um ihren Teil der Verantwortung – strafrechtlich und ethisch. Viele Kritiker des Friedensprozesses vor allem aus dem konservativen Lager befürchten einen „Deal“ zwischen Staat und Regierung, der die FARC billig davon kommen lassen könnte. Doch wie findet man ein richtiges Strafmaß, wenn beide Seiten Frieden schließen wollen?
5,3 Millionen Binnenflüchtlinge
Deswegen soll es zunächst einmal darum gehen zuzuhören. „Ich wurde von meinem Dorf El Charco vertrieben, wo ich all meinen Besitz wegen einer Auseinandersetzung am 22. März 2007 zurücklassen musste. Damals mussten 8.500 Menschen wegen eines Kampfes zwischen der FARC und der Armee das Dorf verlassen“, erzählt der Campesino Elver Montaño (60) unter Tränen der Tageszeitung „El Espectador“. Seine Geschichte steht stellvertretend für das Leid von insgesamt 5,3 Millionen Binnenflüchtlingen. In seinem Dorf in der Provinz war es damals vor allem die indigene und afrokolumbianische Bevölkerung, die wegen des Krieges alles verlor. Vertrieben und vergessen, weil die verfeindeten Gruppen ihre Ideologie mit roher Gewalt statt mit Argumenten durchsetzen wollten.
„Wir brauchen nicht noch mehr Tote und noch mehr Vertriebene.“
„Die FARC kämpft nicht alleine, sie kämpft mit dem Staat und darunter leidet dann auch die Zivilbevölkerung“, sagt Montaño. Sein Schicksal ist eines von unzähligen kolumbianischen Schicksalen, an denen viele Gruppen und Akteure die Schuld tragen, für die aber niemand die Verantwortung übernehmen will. Montaño hat konkrete Forderungen an beide Seiten: „Wir brauchen nicht noch mehr Tote und noch mehr Vertriebene.“
220.000 Todesopfer seit 1958
Nach Angaben des Nationalen Zentrum für Geschichte hat der bewaffnete Konflikt in Kolumbien seit 1958 rund 220.000 Menschen das Leben gekostet: 81,5 Prozent der Toten stammten aus der Zivilbevölkerung. Das UN-Flüchtlingskommissariat beziffert die Zahl von Binnenflüchtlingen in diesem Zeitraum auf 5,3 Millionen Menschen. Die Hinterbliebenen der Toten und die vielen Vertriebenen werden die kommenden Tage in Havanna sehr genau beobachten. Und sie haben zum Teil konkrete Fragen: „Ich möchte, dass sie uns sagen wo sie unsere Toten beerdigt haben, damit wir dort trauern können“, fordert Liliana Bustos, die seit dem 3. März 2000 auf eine Nachricht von dem von der FARC entführten Vater hofft.
Sigifredo López, einziger Überlebender einer von der FARC zunächst entführten und später hingerichteten Gruppe von Abgeordneten aus der Provinz Valle de Cauca, blickt schon einmal voraus. Der Postkonflikt, sagt López, müsse vor allem ein Prozess der Heilung und nicht der Rache sein. Das Aufeinandertreffen von Opfern und Tätern hätte keinen Sinn, wenn es keine wirkliche Absicht gäbe zu verzeihen.
Den Opfern eine Stimme geben
Die katholische Kirche hat den Prozess der Auswahl der Opfer, die in Havanna aussagen sollen, begleitet. „Ich weiß, dass die FARC und die Regierung das Thema der Opfer mit großer Seriosität angehen“, zollt der in Kolumbien wegen seines Einsatzes für den Frieden hochangesehene katholische Geistliche Dario Echeverry von der Nationalen Versöhnungskommission beiden Delegationen Respekt. Die kolumbianischen Bischöfe wollen sich auf die Zeit danach vorbereiten, wenn des darum geht, tiefe Wunden verheilen zu lassen. In einem dreitägigen Seminar bereiten die Bischöfe erste Programme für den Postkonflikt vor. Davor steht aber erst einmal der schmerzhafte Teil der Vergangenheitsbewältigung und der besteht jetzt erst einmal darin, den Opfern eine Stimme zu geben.
Von Tobias Käufer
Mit freundlichem Dank für die Genehmigung an blickpunkt-lateinamerika.de .