
„Wir hegen keine Rachegefühle“
Der historische Tag in Havanna begann mit symbolischen Gesten: Mit einer Schweigeminute gedachten die Delegationen der Guerilla-Organisation FARC und der kolumbianischen Regierung am Wochenende den Opfern des bewaffneten Konflikts. Dabei hielten sich die Teilnehmer an ihren Händen. Derart versöhnliche Gesten sind neu und ungewöhnlich in einem Land, das seit Jahrzehnten unter Krieg und Terror leidet. Entsprechend überschlugen sich die kolumbianischen Medien am Sonntag geradezu mit Geschichten und Reportagen über jene Menschen, die dem Leid nun ein Gesicht geben.
Aktualisiert: 12.07.2015
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Der historische Tag in Havanna begann mit symbolischen Gesten: Mit einer Schweigeminute gedachten die Delegationen der Guerilla-Organisation FARC und der kolumbianischen Regierung am Wochenende den Opfern des bewaffneten Konflikts. Dabei hielten sich die Teilnehmer an ihren Händen. Derart versöhnliche Gesten sind neu und ungewöhnlich in einem Land, das seit Jahrzehnten unter Krieg und Terror leidet. Entsprechend überschlugen sich die kolumbianischen Medien am Sonntag geradezu mit Geschichten und Reportagen über jene Menschen, die dem Leid nun ein Gesicht geben.
Constanza Turbay wartete 19 Jahre lang, um die FARC zu fragen, warum sie ihre Familie niedermetzelte. Gloria Mancera berichtete: „Mein Sohn ist tot, aber die verantwortlichen Militärs sind immer noch frei.“ Luz Mery Estrada erzählte von dem Tag, an dem 84 Menschen nach einem Bombenanschlag der ELN-Guerilla in Machuca ihr Leben verloren. Und Menschenrechtsaktivistin Claudia Ospina berichtete von der grausamen Erfahrung, von Paramilitärs erst vergewaltigt und dann im eigenen Land vertrieben worden zu sein.
„Wir haben gegenüber unserem Land eine große Verpflichtung, und diese Verpflichtung ist größer als unsere persönlichen Gefühle. Sie gilt der gesamten kolumbianischen Gesellschaft“, sagte Ana Maria Giraldo, Schwester des 2002 zunächst entführten und 2007 dann hingerichteten Politikers Francisco Javier Giraldo, bei einer Pressekonferenz. Auch sie zählte zum Kreis jener ersten zwölf Opfer, die am Wochenende an den Friedensverhandlungen zwischen kolumbianischer Regierung und der FARC-Guerilla in der kubanischen Hauptstadt teilnahmen.
60 Opfer sollen insgesamt an den Verhandlungen teilnehmen
Ende 2012 hatte die Regierung die Friedensverhandlungen mit den Rebellen aufgenommen. Mit rund 9.200 Kämpfern ist die FARC die größte Rebellenorganisation Lateinamerikas. Ihr werden schwere Menschenrechtsverletzungen während des jahrzehntelangen Bürgerkriegs in Kolumbien vorgeworfen.
„Wir müssen den Mut haben, unsere Ideologien zu überwinden und uns am Aufbau des Friedens zu beteiligen.“
Insgesamt fünf Gruppen von je zwölf Opfern sollen in den nächsten Wochen ihre Perspektive in die Gespräche einbringen. Ausgesucht wurden sie von einer Kommission der Vereinten Nationen und der Nationalen Universität. Die katholische Kirche begleitete die Auswahl, um zu gewährleisten, dass auch wirklich alle Gruppen von Opfern bei den Verhandlungen repräsentiert werden.
„Wir müssen den Mut haben, unsere Ideologien zu überwinden und uns am Aufbau des Friedens zu beteiligen“, sagte Ana Maria Giraldo weiter. Sie selbst wolle ihren Beitrag leisten, dass das Leid der Opfer berücksichtigt werde. Wenn es jetzt nicht gelinge, endlich Frieden zu schaffen, dann werde es auch keine andere Regierung schaffen.
Sorgfältige Auswahl der Opfervertreter
Bei der Auswahl der Repräsentanten der kolumbianischen Zivilgesellschaft gingen die UN-Mitarbeiter und die nationalen Experten mit großer Sensibilität vor. So glich die Runde der ersten zwölf Opfer tatsächlich einem Spiegelbild der Leidtragenden des Bürgerkrieges: Fünf Opfer der FARC, zwei von staatlicher Gewalt, zwei weitere der Paramilitärs und drei Opfer von weiteren kleineren bewaffneten Gruppen berichteten über Leid, Folter und Terror, die sie erleiden mussten.
Dass ausgerechnet sie zum Motor dieser Friedensverhandlungen werden können, hält den beteiligten bewaffneten Gruppen einen Spiegel vor: „Wir hegen keine Rachegefühle. Dies hier ist unsere Unterstützung für die Demokratie. Wir glauben, dass wir die ethische Reserve der Gesellschaft sind“, sagte Yaneth Bautista, Schwester eines Guerillakämpfers der Bewegung M-19, der von korrupten Militärs ermordet wurde. „Wir sind mit der Sehnsucht nach Wahrheit hierhergekommen.“
In der aktuellen Verhandlungsrunde geht es zwischen FARC und Regierung explizit um die Perspektive der Opfer und um deren Entschädigung. Gelingt auch hier eine Einigung wie zuvor bereits in den Punkten Landverteilung, Drogenhandel, politische Integration der FARC, steht als nächstes der offene Punkt „Entwaffnung“ der FARC auf der Agenda. Danach könnte ein Friedensabkommen das Ende des Konflikts besiegeln.
Von Tobias Käufer