„Kein Job, sondern eine Mission“
Humanitäre Hilfe erfordert viel Idealismus und viel Mut. Immer wieder wagen sich motivierte Menschen in die Krisenregionen der Welt, um anderen in Not zu helfen. Nicht selten geraten sie in die Hände bewaffneter Milizen, werden entführt oder getötet. Christoph Klitsch-Ott (54) war für Caritas international als humanitärer Helfer schon in vielen Krisenregionen unterwegs, etwa in Afrika und dem Nahen Osten. Zum Welttag der humanitären Hilfe am heutigen Dienstag sprach er mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) über immer rücksichtslosere Milizen, die Legitimität von Militäreinsätzen in Krisenregionen und neue Herausforderungen für die Helfer.
Aktualisiert: 12.07.2015
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Humanitäre Hilfe erfordert viel Idealismus und viel Mut. Immer wieder wagen sich motivierte Menschen in die Krisenregionen der Welt, um anderen in Not zu helfen. Nicht selten geraten sie in die Hände bewaffneter Milizen, werden entführt oder getötet. Christoph Klitsch-Ott (54) war für Caritas international als humanitärer Helfer schon in vielen Krisenregionen unterwegs, etwa in Afrika und dem Nahen Osten. Zum Welttag der humanitären Hilfe am heutigen Dienstag sprach er mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) über immer rücksichtslosere Milizen, die Legitimität von Militäreinsätzen in Krisenregionen und neue Herausforderungen für die Helfer.
Frage: Herr Klitsch-Ott, die USA werfen zurzeit Lebensmittelpakete im Gebiet um Sindschar im Irak ab. Gleichzeitig gehen sie militärisch gegen die islamistische Terrorgruppe „Islamischer Staat“ vor. Ist das miteinander vereinbar?
Klitsch-Ott: Zur Rettung der Jesiden und um den Vormarsch der IS zu stoppen, war ein Militäreinsatz wahrscheinlich die letzte Möglichkeit, um weitere Massaker und den Tod von Tausenden Flüchtlingen zu verhindern. Aus humanitärer Sicht betrachten wir Militäreinsätze jedoch skeptisch, vor allem, wenn man ihnen das Etikett „humanitär“ aufkleben will. Natürlich werden dadurch Flüchtlinge gerettet. Aber für die Hilfsorganisationen der Vereinten Nationen und der Caritas wird es künftig im Irak sicher schwieriger und gefährlicher, weil sie als Handlanger der Militärmission interpretiert werden. Das ist eine massive Gefahr für die Helfer.
Frage: Wie läuft humanitäre Hilfe angesichts der neuen Gewalt im Irak?
Klitsch-Ott: In Alkosch, Karakosch und in Bartillah wurden Zentren von Caritas Irak von den Dschihadisten angegriffen. Mitarbeiter wie christliche Bewohner dieser Orte mussten fliehen. Mehr als die Hälfte von ihnen suchen Schutz in Erbil, andere sind nach Duhok oder in die Provinz Sulaymaniya geflohen. Die Mitarbeiter der Caritas versuchen insbesondere in den kurdischen Städten Erbil und Dohuk, ihre Arbeit fortzusetzen, etwa indem sie in kirchlichen Einrichtungen Unterkünfte für die Flüchtlinge schaffen und Hilfsgüterverteilungen organisieren. Wir verteilen unter anderem Lebensmittelpakete mit Reis, Bohnen und Tomaten an die Familien. Hinzu kommen Decken, Kochtöpfe und Hygieneartikel. Medizinische Hilfskräfte leisten zudem die Grundversorgung.
Frage: Die Vereinten Nationen geben zum Welttag der humanitären Hilfe zwar an, dass die Zahl der Konflikte in den vergangenen 20 Jahren zurückgegangen ist. Jedoch sind mehr Menschen denn je auf humanitäre Hilfe angewiesen. Wie bekommt Ihre Organisation das zu spüren?
Klitsch-Ott: In Ländern mit militärischen Auseinandersetzungen erleben wir, dass die Kriege zunehmend asymetrisch verlaufen. Es gibt also immer häufiger kleine Gruppierungen und Milizen, die versuchen, gegen die Gewalt der Staatsmacht ein Herrschaftsgebiet für sich zu erobern. Ihnen kann man mit normalen militärischen Mitteln eigentlich nicht beikommen – man denke etwa an die Zentralafrikanische Republik, an den Osten des Kongo oder die Ost-Ukraine. Letztlich finden die Kämpfe auch immer seltener unter den Regeln des internationalen Völkerrechts statt. Es wird praktisch keine Rücksicht mehr auf die Zivilbevölkerung genommen, Unschuldige werden als Geiseln genommen. Für die Hilfsorganisationen bedeutet das, dass ihre Neutralität immer weniger respektiert wird. Man wird mit der einen oder der anderen Konfliktpartei in Verbindung gebracht und somit selbst zum Angriffsziel.
Frage: Muss humanitäre Hilfe angesichts dieser Veränderungen heute anders aussehen?
Klitsch-Ott: Man muss über den Aspekt der Sicherheit stärker nachdenken. Da ist in den vergangenen Jahren auch schon viel passiert. Ich bin in den 90ern nach Burundi ausgereist, damals ein Bürgerkriegsland; da hat man sich über Sicherheit im Prinzip noch überhaupt keine Gedanken gemacht. Heute gibt es keine ernstzunehmende Organisation mehr, die kein Sicherheitskonzept für ihre Mitarbeiter entwickelt hat. Wir müssen der Politik und Vertretern der jeweiligen Konfliktparteien immer wieder klar machen, wie wichtig es ist, dass wir als humanitäre Organisation neutral arbeiten können. Sie müssen verstehen, dass unsere Hilfe für alle Opfer des Konflikts da ist.
Frage: Wie können Nachwuchskräfte auf die humanitäre Hilfe vorbereitet werden?
Klitsch-Ott: In den vergangenen 20 Jahren hat es einen Trend in Richtung Professionalisierung humanitärer Hilfe gegeben. Es gibt Studien- und Ausbildungsgänge, die die jungen Leute gezielt auf diese Arbeit vorbereiten. Wichtig ist, dass der Nachwuchs neben einer guten Portion Idealismus auch den realistischen Blick einübt, um die Situationen vor Ort gut einschätzen zu können. Reiner Idealismus ist heute nicht mehr zielführend – dafür ist die Lage in vielen Krisengebieten in den vergangenen 20 Jahren zu komplex geworden.
Frage: Was motiviert Sie persönlich noch nach jahrzehntelanger Arbeit?
Klitsch-Ott: Die Motivation zieht man sicher aus den Erfolgen, die es immer wieder gibt. Wir arbeiten mit vielen hoch engagierten lokalen Caritas-Mitarbeitern zusammen, deren Motivation immer wieder auch auf uns hier in Deutschland abfärbt. Bei der Caritas Jordanien etwa hängt in den Büros ein kleines Schild mit der Aufschrift „Caritas is not a job, it is a mission“: Die Arbeit der Caritas ist kein bloßer Job, es ist eine Mission.
Das Interview führte Claudia Zeisel.