
„Wir leben nicht auf einer Insel“
Das katholische Hilfswerk Misereor fordert die Deutschen zu mehr Solidarität mit den Flüchtlingen im Irak auf. Die Zustände im irakischen Kurdengebiet seien „jenseits des Verkraftbaren und des Erträglichen, für die einheimische Bevölkerung und für die Flüchtlinge“, sagte der Misereor-Geschäftsführer für Internationale Zusammenarbeit, Martin Bröckelmann-Simon, am Wochenende im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Aktualisiert: 12.07.2015
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Das katholische Hilfswerk Misereor fordert die Deutschen zu mehr Solidarität mit den Flüchtlingen im Irak auf. Die Zustände im irakischen Kurdengebiet seien „jenseits des Verkraftbaren und des Erträglichen, für die einheimische Bevölkerung und für die Flüchtlinge“, sagte der Misereor-Geschäftsführer für Internationale Zusammenarbeit, Martin Bröckelmann-Simon, am Wochenende im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Neben den rund 240.000 Flüchtlingen aus Syrien gebe es mittlerweile mehr als eine Million Binnenvertriebene, die aus der Ninive-Ebene vor dem Terror der islamistischen IS-Milizen geflohen seien. Regen habe viele Zeltlager in Schlamm verwandelt; der Winter stehe vor der Tür.
Der Misereor-Geschäftsführer verwies darauf, dass sich der Zustrom von Flüchtlingen in Kurdistan mittlerweile auf einen Bevölkerungszuwachs um 30 Prozent belaufe. Das sei fatal für ein Land, das sich „in Auflösung“ befinde.
Deutschland in der Verantwortung
Den Umgang der Menschen mit der Not und Überfüllung nannte Bröckelmann-Simon erstaunlich und „für uns im Westen beschämend“. Es gebe eine „unvorstellbare Solidarität der Ortsansässigen mit den notleidenden Ankömmlingen“, obwohl die eigenen Verhältnisse alles andere als gut seien.
In Deutschland scheine uns der Konflikt allzu fern, obwohl er doch so nahe sei. Kurdistan grenze direkt an das Nato-Mitglied Türkei. „Ich nehme hier in Deutschland eine große Verunsicherung wahr, dass die Verhältnisse bei uns nicht so bleiben werden, wie sie bis jetzt gewesen sind“, so der Misereor-Vertreter. Das führe womöglich zu Abwehrreaktionen. „Wir leben nicht auf einer Insel“, sagte Bröckelmann-Simon der KNA. Schutz und Hilfe für notleidende Flüchtlinge sei „unsere Pflicht und Schuldigkeit“ in einem reichen, sicheren und stabilen Land.
„Es ist ein Stich mitten ins Herz. Wir müssten alle aufschreien.“
Müller fordert EU-Milliardenhilfe für Irak-Flüchtlinge
Am dringendsten benötigt würden winterfeste Quartiere, Schulen und ausreichende Gesundheitsversorgung. Von den nötigen 26 Lagern seien aber erst 8 fertiggestellt. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU), in dessen Begleitung Bröckelmann-Simon nach Erbil reiste, forderte Anfang der Woche ein Notprogramm der EU für die Flüchtlinge im Nordirak. „Ich bitte den neuen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker inständig, die Hilfe für die Menschen, die vor den IS-Terroristen fliehen, zu seinem ersten Topthema zu machen“, sagte Müller am Montag im Interview der Zeitung „Die Welt“.
Wenn nicht schnell etwas geschehe, würden Tausende Menschen den Winter nicht überleben, sagte Müller. Dies wäre „eine Katastrophe und eine Beschämung der Weltgemeinschaft“. Es dürfe nicht sein, „dass wir bei der militärischen Bekämpfung der Terrormilizen des IS erfolgreich zusammenarbeiten, aber die Bevölkerung hinter der Front erfriert und verhungert“. Im Irak finde ein „Genozid“ statt, so der Minister. „Es ist ein Stich mitten ins Herz. Wir müssten alle aufschreien.“ (lek mit KNA)