
Rousseff reloaded
Brasilien hat am Sonntag seiner Präsidentin noch einmal das Vertrauen ausgesprochen, wenn auch äußerst knapp. Und Amtsträgerin Dilma Rousseff steht vor einem weiteren Problem: Korruptionsskandale erschüttern ihre Partei und stellen das gesamte politische System Brasiliens in Frage. Nun soll eine Politikreform die größten Missstände beseitigen. Doch im vergangenen Jahr scheiterte Rousseff bereits mit der gleichen Idee.
Aktualisiert: 12.07.2015
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Brasilien hat am Sonntag seiner Präsidentin noch einmal das Vertrauen ausgesprochen, wenn auch äußerst knapp. Und Amtsträgerin Dilma Rousseff steht vor einem weiteren Problem: Korruptionsskandale erschüttern ihre Partei und stellen das gesamte politische System Brasiliens in Frage. Nun soll eine Politikreform die größten Missstände beseitigen. Doch im vergangenen Jahr scheiterte Rousseff bereits mit der gleichen Idee.
„Ich verpflichte mich, die Politikreform auf den Weg zu bringen.“ Mit heiserer Stimme und sichtlich von dem harten Wahlkampf der zurückliegenden Monate gezeichnet, verkündete Wahlsiegerin Rousseff am Sonntagabend vor Anhängern in der Hauptstadt Brasilia die rasche Durchführung einer Volksbefragung. Diese soll die Eckpunkte für eine Reform des Politikbetriebs liefern. Eine verfassungsgebende Versammlung werde anschließend die Anregungen aufnehmen und das Grundgesetz entsprechend ändern, so die Präsidentin.
Änderungen im verfilzten Politbetrieb sind nötiger denn je. Mitten im Wahlkampf kam ein Finanzskandal beim halbstaatlichen Energieriesen Petrobras ans Licht, bei dem die Regierungsparteien sich Millionenbeträge für ihre Wahlkampfkassen beschafften. Auch die oppositionelle PSDB von Rousseffs unterlegenem Herausforderer Aecio Neves soll davon profitiert haben.
Unterschriftenaktion von Kirche und Zivilgesellschaft
Der Unmut in der Gesellschaft ist groß. Anfang September hatten Organisationen der Zivilgesellschaft unter Führung der Brasilianischen Bischofskonferenz zu einer Unterschriftenaktion aufgerufen. Man forderte eine Volksbefragung über notwendige Änderungen bei der Parteienfinanzierung und eine Erstarkung der direkten Demokratie. Über fünf Millionen Brasilianer folgten dem Aufruf, den Rousseff am Montagabend im Interview mit TV-Sender Globo als „Aufschrei der Jugend“ bezeichnete.

Der Politikwissenschaftler Ricardo Ismael von der katholischen Universität von Rio de Janeiro warnt vor Aktionismus. „Natürlich sind alle für eine Reform, ohne aber genau zu wissen, wie sie aussehen soll“, so Ismael. „Manche glauben, dass die Wahlpflicht abgeschafft werden müsse, andere wollen die Medien unter Kontrolle stellen.“ Ismael glaubt, dass entsprechende Vorschläge erst einmal im Kongress erarbeitet werden müssten, bevor das Volk diese in einem Referendum bestätigt oder ablehnt.
Überzeugungsarbeit ist gefragt
Ähnlich äußerte sich auch Senatspräsident Renan Calheiros am Montag. „Der Kongress kann die Reform realisieren und hat danach 30 Tage Zeit, ein Referendum hierüber abhalten zu lassen.“ Das Problem daran: Viele Brasilianer trauen dem Kongress nicht zu, eine grundlegende Reform auszuarbeiten. Dazu gehört auch Befreiungstheologe Leonardo Boff. Niemals würden die Abgeordneten gegen ihre eigenen Interessen stimmen, so Boff. Denn ausgerechnet Senatspräsident Calheiros hatte Ende 2013 bereits eine Initiative Rousseffs zur Politikreform begraben. Es wird schwierig werden für Rousseff, ihre Politikerkollegen dieses Mal von der Notwendigkeit eines Neuanfangs zu überzeugen.
Von Thomas Milz