Segen oder Fluch?
Bild: © KNA

Segen oder Fluch?

TTIP höhlt in Europa den Rechts- und Sozialstaat aus und öffnet weiteren Privatisierungen Tür und Tor, sagen die einen. Andere dagegen sehen TTIP als Chance auf mehr Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze und Wohlstand für alle. Kaum ein internationaler Vertrag ist derzeit so umstritten wie die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft, kurz TTIP.

Erstellt: 13.11.2014
Aktualisiert: 12.07.2015
Lesedauer: 

TTIP höhlt in Europa den Rechts- und Sozialstaat aus und öffnet weiteren Privatisierungen Tür und Tor, sagen die einen. Andere dagegen sehen TTIP als Chance auf mehr Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze und Wohlstand für alle. Kaum ein internationaler Vertrag ist derzeit so umstritten wie die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft, kurz TTIP.

Die Diskussionen um das geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA, der EU und weiteren Staaten haben in den vergangenen Monaten an Fahrt gewonnen . Nun hat auch die EU-Bischofskommission COMECE das Vertragswerk zum zentralen Thema ihrer diesjährigen Herbstvollversammlung gemacht. Die zweitägigen Beratungen in Brüssel werden vom Münchner Kardinal Reinhard Marx als deren Präsident geleitet.

Kein Allheilmittel

Die Erwartungen der Befürworter, unter ihnen auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), sind groß. Sie sehen eine wirtschaftliche und politische Chance für Deutschland und die EU. „Doch TTIP ist nicht das Allheilmittel“, sagt Stefan Lunte, COMECE-Experte für Handelspolitik. Ohne großen Aufwand könne das prognostizierte zusätzliche Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent nicht erreicht werden. Die Bischöfe wollen sich in den kommenden Wochen mit einer eigenen Erklärung zu TTIP äußern.

Zu ihren vordringlichen Anliegen zählt, dass die EU mit TTIP ein „ausgewogenes Paket erstellt, das einen Beitrag liefert, der auch Jugendlichen eine Zukunftsperspektive bietet“. Damit liegen sie auf einer Linie mit Papst Franziskus, der in der hohen Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa eine der größten wirtschaftspolitischen Herausforderungen sieht.

Bild: © KNA

Nicht nur Wirtschaftswachstum und Handel dürften im Mittelpunkt des Abkommens stehen, so Lunte. Der Vertrag müsse im Blick behalten, allen Menschen angemessene Arbeits- und Lebensbedingungen zu ermöglichen. „Sozialer Schutz darf nicht durch ein Handelsabkommen aufgeweicht werden.“

Eine komplette „Fusion“ der amerikanischen und europäischen Märkte kann sich Lunte nicht vorstellen: „Es gibt viele gleiche und gute Wertvorstellungen; wir stellen aber auch eine Reihe von Unterschieden fest.“ So sei etwa eine klima- und umweltbewusste, soziale Marktwirtschaft, wie sie die EU-Bischöfe vorstellen, nicht unmittelbar vergleichbar mit dem eher staatsfernen US-Modell. TTIP könne aber mehr Kompatibilität schaffen und unnötige doppelte Überprüfungen von Sicherheitsstandards bei Warenexporten vermeiden.

„Sozialer Schutz darf nicht durch ein Handelsabkommen aufgeweicht werden.“

—  Zitat: Stefan Lunte, COMECE-Experte für Handelspolitik

Datenschutz vor Handelspolitik

In den Verträgen müsse aber der Datenschutz besonders beachtet werden. „Die Bischöfe sind sich einig, dass der Schutz von Privatsphäre und das Recht auf Vergessen im Internet zentral sind – und Vorrang vor allen handelspolitischen Entscheidungen haben müssen“, so Lunte.

Die EU-Kommission, die die Verhandlungen im Auftrag der 28 EU-Mitgliedstaaten führt, hat mehrfach versichert, dass es keine Regelungen geben werde, die zum Schaden von Bürgern und Verbrauchern führen. Der neue Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat angekündigt, sich für mehr Transparenz und demokratische Teilhabe bei den Freihandelsgesprächen einzusetzen. Das werten die EU-Bischöfe als ein positives Signal. „Mit der neuen Kommission beginnt auch eine neue Etappe in den Verhandlungen“, sagt COMECE-Experte Lunte. An die Stelle der lange vorherrschenden Intransparenz von „Hinterzimmer-Deals“ sei bereits jetzt mehr Offenheit getreten.

Die Befürworter hoffen, dass von dem Freihandelsabkommen auch kleine und mittlere Unternehmen profitieren. Ein Zugang zum nordamerikanischen Markt würde ihnen mit weniger Barrieren wesentlich erleichtert. Mehr Exportchancen führen zu mehr Umsätzen, und diese wiederum wirken sich auf den Arbeitsmarkt in Europa aus.

Ein Handelsabkommen mit deutlich positiven Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt sei „ein Weg in die richtige Richtung“, meint Lunte. Zugleich sind jedoch die Bischöfe, die auch als Europäer ihre weltkirchliche Perspektive nicht aus den Augen verlieren, besorgt. Manche warnen, dass der mögliche Aufschwung auf beiden Seiten des Nordatlantiks auf Kosten der Wachstumschancen in den Entwicklungsländern im Süden gehen könnte. Auch dies müsse bei den Verhandlungen um TTIP bedacht werden, haben kirchliche Verbände in den vergangenen Monaten immer wieder gefordert .

Von Kerstin Bücker (KNA)

Kirchliche Stimmen zu TTIP

Stellungnahme der Deutschen Kommission Jusitita et Pax Katholische Arbeitnehmerbewegung (KAB) Katholische Landjugendbewegung (KLJB)

Stichwort: TTIP

Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (englisch Transatlantic Trade and Investment Partnership – TTIP) ist ein Abkommen zum Freihandel und Investitionsschutz, das derzeit zwischen der EU und den USA ausgehandelt wird. Ziel ist, das Wirtschaftswachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen voranzutreiben. Dazu gehört zum einen der Abbau von Handelshemmnissen, etwa branchenweiten Zöllen. Damit soll der Kauf und Verkauf von Waren und Dienstleistungen zwischen EU und USA erleichtert werden. Auch Hürden, die über Zollgrenzen hinausgehen, wie zum Beispiel unterschiedliche technische Regelwerke, Normen und Zulassungsverfahren, sollen geringer werden. Weiteres Ziel der Verhandlungen ist es, die Märkte in den USA und der EU für Dienstleistungen, Investitionen und öffentliche Vergabeverfahren zu öffnen. Das geplante Abkommen hat bislang vor allem wegen Intransparenz starke Kritik aus verschiedenen Richtungen erhalten. Neben einer Vielzahl von Bedenken mit Blick auf eine befürchtete Senkung von gesetzlichen Gesundheits-, Umwelt- und Sozialstandards wird auch die Einführung sogenannter Schiedsgerichte kritisiert. Kritiker befürchten, diese könnten ohne die Möglichkeit einer unabhängigen gerichtlichen Überprüfung über Schadenersatzansprüche von Unternehmen gegen die Mitgliedstaaten entscheiden. (KNA)