Gefährliche Mission

Gefährliche Mission

Südsudan ‐ Dieses Afrika ist so ganz anders als ich es von früher her kenne; viel härter, angespannter und perspektivloser“ – der Comboni-Bruder Hans Eigner wirkt fast resigniert. Seit Anfang 2014 lebt der 58-jährige Missionar im Südsudan, einer jungen Nation, die dabei ist, sich selbst zu zerstören. Ein Gastbeitrag von Bruder Hans Eigner:

Erstellt: 01.11.2014
Aktualisiert: 24.04.2023
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Mission in einer militarisierten Kultur

In missionarischen Überlegungen hat das Wort „Inkulturation“ in den vergangenen Jahrzehnten große Bedeutung erfahren. So habe ich in meinem Leben als Missionar festgestellt, dass es keine nur gute oder nur schlechte Kultur gibt. In der Tat, ich habe in meinem Leben viel durch die Auseinandersetzung mit dem „Anderen/Fremden“ gelernt. Mit dem Studium von Latein habe ich die deutsche Sprache besser verstanden. Nachdem ich mich vor 30 Jahren auf die Kulturen in Kenia eingelassen habe, habe ich meine eigene Kultur neu und bewusster wahrgenommen und auch schätzen gelernt. Ebenso haben Freunde mir geholfen, indem sie mir auch mal den Spiegel vorgehalten haben.

Bild: © Comboni-Press

Nun bin ich im Südsudan gelandet und erlebe mich mitten in einer militarisierten Kultur. Ich frage mich: „Was kann ich dieses Mal lernen?“ Viele Jahre Bürgerkrieg haben großen Schaden an der Bevölkerung angerichtet. Aber auch ohne den Feind im Norden waren sich die verschiedenen Völker des jüngsten Staates Afrikas nicht grün. Seit neun Monaten ist der junge Staat, nach nur zweieinhalb Jahren relativen Friedens, wieder im Ausnahmezustand. Eine junge Nation ist dabei, sich selbst zu zerstören. Es hat sich nach grausamen Massakern im Dezember 2013 eine Opposition gebildet, die das Land wirtschaftlich fast lahm legt. Durch den Griff der opponierenden Rebellen nach den Ölquellen, die einzige Einnahme des Landes, fehlt es hinten und vorne an jeglichen Leistungen, die man von einer Regierung erwarten könnte. Die gesamte Infrastruktur des Landes, die ohnehin kaum entwickelt war, ist dabei total zusammenzubrechen. Selbst Hauptverbindungsstraßen sehen aus wie Schlachtfelder. Liegengebliebene LKWs, die wegen der Untiefen in der Straße umgekippt sind, behindern das Vorwärtskommen, das meist eh nur im Schritttempo möglich ist.

„Eine junge Nation ist dabei, sich selbst zu zerstören.“

Ungesunde Entwicklung

Juba, die Hauptstadt, ist ein Eldorado und in der Hand von Ausländern (aus den Nachbarländern und Asien). Nirgendwo in Afrika ist die Rendite, aber auch das Risiko größer als hier. Dazu kommen unzählige Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Geschäftig gehen sie ihrem „Business“ nach und die Menschen vor Ort schauen zu, was da abgeht, und das nicht ohne Neid. Nur der Volksstamm an der Macht sahnt durch Korruption ab und profitiert von dieser ungesunden Entwicklung. Nur wenig Kilometer außerhalb von Juba ist man schnell im Busch und hat das Empfinden, dass das Leben dort stehen geblieben ist und die Fahrzeuge steckenbleiben. Man hat den Eindruck, dass das nicht so weiter gehen kann, aber wir wissen, dass sich Unrechtsstrukturen nicht nur in Afrika zäh und lange halten.

Dieses Afrika ist so ganz anders als ich es von früher her kenne; viel härter, angespannter und perspektivloser. Das Leben wird hier von Soldaten bestimmt und entsprechend ist der Umgangston. Es herrscht das Recht des Stärkeren und jeder, der ein wenig mehr Macht hat, kommandiert den anderen. Diese militarisierte Kultur färbt auf alle Lebensbereiche ab und ich stelle bei mir selber fest, dass ich mich schon der Kultur hier angepasst habe, indem ich ein Stück weit meine Menschlichkeit eingebüßt habe. Die Lebens-Wahrnehmung ist eine ganz andere hier und ich verstehe langsam, warum sich die arabische Welt und die westliche nicht treffen und verstehen. Wir sind hier zwar nicht in einer klassisch arabischen Umgebung, aber Dialog, objektive Diskussion und ehrliche Auseinandersetzung um die Sache gibt es hier kaum. Entweder stimmt man zu und man ist Freund oder man hinterfragt und man ist schon kein Freund mehr und unter Umständen schon ein Feind. Natürlich finden sich immer und überall Ausnahmen und bei manchen Menschen frage ich mich, wie sie es bislang geschafft haben, eine Würde und Freundlichkeit zu erhalten. Diese zu sehen und zu fördern, sehe ich als unsere Aufgabe. Insbesondere durch Schule und Bildung kann bei der Jugend langsam ein Weg aus der Ausweglosigkeit, des Misstrauens und der Feindschaft gefunden werden.

Kultur des Überlebens

Es ist kein Wunder, dass sich in so einer Situation eine Kultur des „Überlebens“ entwickelt hat. Jeder kämpft sich irgendwie durch. Selbst im Straßenverkehr gibt es keine Regeln. Es wird gefahren wie es einem in den Sinn kommt und das stärkere Auto bzw. die Soldaten auf ihren Land Cruisern mit aufgesetzten Gewehren haben automatisch die Vorfahrt. Einen Sinn für das Gemeinwohl gibt es nicht, somit ist jedem und jeder der eigene Stamm näher als der Staat, der sich in kürzester Zeit zu einer Diktatur entwickelt hat. Ganz im Sinn des Überlebens gilt das Gesetz des Mose: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“.

„Die Botschaft eines Gottes, der selbst die Feindesliebe fordert, klingt wie von einem anderen Stern. Und doch ist nur so die Kette der Feindschaft und des Hasses langsam zu durchbrechen.“

Trotz der grundsätzlich religiösen Haltung der Leute greift der Glaube meines Erachtens wenig in den Lebensvollzug. Die Botschaft eines Gottes, der selbst die Feindesliebe fordert, klingt wie von einem anderen Stern. Und doch ist nur so die Kette der Feindschaft und des Hasses langsam zu durchbrechen. Aber wer fängt an, gibt nach und gibt sich als der Schwächere? Für die Militärs ist das schier unmöglich.

Bild: © Comboni-Press

Die Kirchen sind leider nicht der Ort, wo eine ehrliche Auseinandersetzung mit den Problemen der Menschen geschieht. Es wird gesungen und getanzt, aber ich spüre hier wenig Tiefgang. Kaum jemand scheint erschüttert darüber, was in den letzten Monaten an Blutvergießen zuerst im Dezember 2013 in Juba und dann im Norden des Landes geschehen ist. Hilfsorganisationen, die sich hier in Juba auf die Füße treten, sind beschäftigt mit der durchaus nötigen humanitären Hilfe, aber unter dem Strich bringt diese kaum eine Veränderung. Kurse mit großen Worten wie: „Capacity building, Peace building, Trauma healing” etc. finden in Hotels statt, weil es keine passenden Orte gibt, wo über solche Themen gesprochen werden könnte. Diese auf Profit ausgerichteten Hotels sind nicht nur unpassend für solche Veranstaltungen, sondern auch völlig überteuert.

Ordensleute planen Begegnungszentrum

Die Ordensgemeinschaften hier im Land haben sich deshalb entschieden, ein Zentrum zu entwickeln in dem Friedensarbeit, Aufbau von Gemeinwohl, menschliches Zusammenleben und die Vertiefung des Glaubens gefördert werden. Am 11. Oktober hat der Erzbischof den Startschuss mit der Segnung des Geländes gegeben. Die Orden hoffen durch diesen Beitrag die verschiedenen Stämme und die gespaltene Kirche zusammenzubringen. Mit viel Geduld kann hoffentlich in diesem Land, das wie ein Fass ohne Boden ist, eine Basis entstehen, wo das Gute hängen bleibt und Werte vermittelt werden. Es ist Zeit, von der Notlagenhilfe zu wahrhaftiger Entwicklungsarbeit zu kommen. Nur so werden die Waffen zu Schwertern umgewandelt werden und die hier herrschende, militärische Kultur sich langsam zu einer lebenswerten, friedlichen Kultur verändern.

Ich schreibe diese Zeilen, während es an vielen Orten der Welt von heute brennt. Ebola, IS, Syrien, Ukraine ….. Angesichts dieser Konflikte ist unsere Wirklichkeit hier ja nur eine unter vielen.

Abschließend eine interessante Beobachtung mit der Natur, die ich hier gemacht habe. Waren noch anfangs immer wieder Mosquitos in meinem Zimmer, so haben sie deutlich in dem Maße abgenommen, wie die Netzwerke der Spinnen zugenommen haben. So erweist sich doch wieder, mit der Natur und nicht gegen die Natur zu arbeiten.

Von Bruder Hans Eigner

Quelle: kontinente.org

Mit freundlichem Dank für die Genehmigung.

Zur Person

Bruder Hans Eigner wurde 1956 in Laibstadt (Heideck) im mittelfränkischen Landkreis Roth geboren. Nach Abschluss eines Studiums als Bauingenieur und zweijähriger Arbeit in einem Ingenieurbüro in Stuttgart war er ab 1984 etwa vier Jahre als Missionar auf Zeit in Kariobangi, einem Elendsviertel von Nairobi/Kenia tätig. Nach weiteren zwei Jahren in Deutschland trat er in das Novizialat der Comboni-Missionare in Mellatz ein und legte 1990 seine Profess ab. Von 1990 bis 2004 war er erneut in Kenia, aber auch für bestimmte Projekte im Sudan im Einsatz. In den letzten 18 Jahren arbeitete er in Deutschland auf dem Gebiet der Berufungspastoral und war zuletzt aktiv an der Restrukturierung seines Ordens beteiligt. Quelle: weitblick.bistum-eichstaett.de