
Werdet „Agenten des Wandels“
Im Frühjahr 2010 veröffentlichte eine Gruppe engagierter Christen den Aufruf für eine prophetische Kirche „Leben in Fülle für alle!“ . Als Antwort auf die sich zuspitzenden Krisen in der Welt verfolgte er das Ziel, Kirche und Gesellschaft zu einem grundlegenden Umdenken zu bewegen. Im Interview mit dem Internetportal Weltkirche erklärt der Koordinator des Aufrufs, Boniface Mabanza, warum die Kampagne am Ende des Jahres ausläuft und trotzdem aktuell bleibt.
Aktualisiert: 12.07.2015
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Im Frühjahr 2010 veröffentlichte eine Gruppe engagierter Christen den Aufruf für eine prophetische Kirche „Leben in Fülle für alle!“ . Als Antwort auf die sich zuspitzenden Krisen in der Welt verfolgte er das Ziel, Kirche und Gesellschaft zu einem grundlegenden Umdenken zu bewegen. Im Interview mit dem Internetportal Weltkirche erklärt der Koordinator des Aufrufs, Boniface Mabanza, warum die Kampagne am Ende des Jahres ausläuft und trotzdem aktuell bleibt.
Frage: Herr Mabanza, Sie werden die Initiative „Aufruf für eine prophetische Kirche“ in diesem Jahr beenden. Warum?
Mabanza: Diese Entscheidung entspricht dem Geist des Aufrufs selbst. Er war nicht dafür gedacht, sich zu institutionalisieren. Die Initiative wurde 2010 als eine Reaktion auf die Zuspitzung der Krisen in der Welt ins Leben gerufen. Wir wollten binnenkirchlich die Kräfte wachrütteln, um gemeinsam aus dem Glauben heraus eine Antwort auf diese globalen Bedrängnisse zu formulieren. Der Aufruf hat seine Funktion als Weckruf erfüllt. Durch Franziskus weht in der Weltkirche ein neuer Wind. Nun ist es an der Zeit, den Raum für andere Initiativen frei zu machen.

Frage: Die sich zuspitzenden Krisen sind ja geblieben. Ist angesichts der aktuellen Brandherde eine solche Initiative nicht drängender denn je?
Mabanza: Seit dem Aufruf ist die Welt nicht besser geworden – ganz im Gegenteil. Heute haben wir mehr Kriege in den verschiedenen Teilen der Welt, der Klimawandel schreitet voran, die Finanz- und Wirtschaftskrise ist nicht ausgestanden, die Umweltbelastung durch Rohstoffausbeutung geht weiter und die Ernährungskrise verschärft sich. Daher wollen wir nicht den Eindruck vermitteln, die Dinge hätten sich seit dem Beginn der Initiative in die richtige Richtung entwickelt. Aus diesem Grund verabschieden wir uns mit dem Appell, das Anliegen des Aufrufs lebendig zu halten und sich Folgekampagnen anzuschließen, die einzelne Aspekte unserer Initiative aufgreifen.
Frage: Welche Folgekampagnen kommen hier in Frage?
Mabanza: Inspiriert durch den „Aufruf für eine prophetische Kirche“ wurde beispielsweise im Bistum Speyer die Kampagne „Gutes Leben! Für alle!“ ins Leben gerufen. Diese versucht, auf dem gesamten Bistumsgebiet den Wandel hin zu einem nachhaltigen Lebensstil voranzutreiben. Das fängt beim individuellen Konsumverhalten an und geht bis hin zu einem fairen Beschaffungswesen auf Diözesanebene. Daneben lief im Bistum Limburg eine einjährige Kampagne zum Thema „Ernährung“ , die unter dem Motto „Wir haben den Hunger satt“ stand. Parallel zu unserem Aufruf wurde außerdem die ökumenische Initiative „Umkehr zum Leben. Den Wandel gestalten“ angestoßen. Schlussendlich verweisen wir auch auf die Initiativen von Misereor und auf den ökumenischen Pilgerweg , der anlässlich der UN-Klimakonferenz in Paris 2015 stattfinden wird.
„Wir wollen nicht müde werden, das Unrecht an Menschen, an der Gemeinschaft, an der Schöpfung offen und deutlich zu benennen und allen Versuchen widersprechen, die die Strukturen der Sünde rechtfertigen oder alternativlos hinstellen.“
Frage: Sie haben in den vergangenen vier Jahren dreimal zu so genannten Ratschlag-Veranstaltungen eingeladen, auf denen drängende Herausforderungen in der Welt diskutiert wurden. Welche Funktionen hatten diese Veranstaltungen?
Mabanza: Die ersten beiden Ratschlag-Veranstaltungen dienten schwerpunktmäßig der Mobilisierung der Unterstützer. Die dritte und letzte Versammlung im Februar 2014 hob sich dagegen stark von ihren Vorgängern ab. Denn mit der Wahl von Franziskus zum neuen Papst hat sich das binnenkirchliche Klima verändert. Vorher war von der Kirchenleitung in Rom kaum Unterstützung für unsere Initiative zu erwarten. Mit Franziskus bekamen plötzlich all die Themen, die wir in unserem Aufruf angesprochen haben – die soziale Ungerechtigkeit, die Ausbeutung der Natur, die Konflikte – neuen Aufwind. Nun haben wir von ganz oben, vom Papst selbst, ein Bekenntnis für die Agenda des Wandels, die wir mit unserem Aufruf lancieren.
Frage: Inwiefern hat Franziskus erstes Lehrschreiben „Evangelii Gaudium“ der Initiative eine neue Richtung gegeben?
Mabanza: Bevor „Evangelii Gaudium“ veröffentlich wurde, hatten wir das Gefühl, dass wir nicht weiterkommen. Wir wollten mit der Initiative die Kirchen davon überzeugen, dass der Wandel hin zu einem nachhaltigeren Lebensstil der Kern der christlichen Botschaft ist. Wenn wir als Christen nicht dort präsent sind, wo die Kämpfe stattfinden, wo die Menschen an die Ränder gedrängt werden und wo die Natur zerstört wird, würden wir unsere Glaubwürdigkeit als Kirche verlieren. Leider war die Begeisterung in den Kirchen für diese Botschaft nicht so groß wie erhofft. Das hat sich mit „Evangelii Gaudium“ geändert. Es ist ein neuer Geist entstanden – auch bei den Menschen, die sich von der Kirche entfernt haben. Zwar wird dieser Geist längst nicht von allen Kreisen der Kirche getragen, aber durch Franziskus und seine Botschaft finden viele Menschen wieder einen Anschlusspunkt an ihr Christsein. Mit diesem neuen Klima in Rom können wir mit gutem Gewissen das, was wir mit der Initiative angestoßen haben, in den Raum stellen und von anderen weitertragen lassen.
Das Interview führte Lena Kretschmann.