Nigeria am Abgrund
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Nigeria am Abgrund

Sie bringen Schwangere um, versklaven kleine Mädchen und Jungen und brennen ganze Dörfer nieder. Die Welle der Gewalt der Terrorgruppe Boko Haram erreicht einen Monat vor den Präsidentschaftswahlen in Nigeria einen neuen Scheitelpunkt. Erfolge des Militärs im Kampf gegen Boko Haram bleiben aus oder lassen sich zumindest nur schlecht überprüfen – wie so vieles im Norden Nigerias.

Erstellt: 16.01.2015
Aktualisiert: 12.07.2015
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Sie bringen Schwangere um, versklaven kleine Mädchen und Jungen und brennen ganze Dörfer nieder. Die Welle der Gewalt der Terrorgruppe Boko Haram erreicht einen Monat vor den Präsidentschaftswahlen in Nigeria einen neuen Scheitelpunkt. Erfolge des Militärs im Kampf gegen Boko Haram bleiben aus oder lassen sich zumindest nur schlecht überprüfen – wie so vieles im Norden Nigerias.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) belegte am Donnerstag mit einer neuen Veröffentlichung das Ausmaß des Schreckens. Bei den Großangriffen auf die Städte Baga und Doron Baga zwischen dem 2. und 7. Januar gingen die Terroristen besonders brutal gegen Zivilisten vor. Satellitenbilder zeigen die Zerstörungen. Daniel Eyre, Nigeria-Experte der Menschenrechtsorganisation, spricht von einem „katastrophalen Ausmaß der Verwüstung“.

Laut Augenzeugen sollen Anhänger von Boko Haram eine Frau erschossen haben, die gerade in den Wehen lag. Rund 300 weitere Frauen wurden demnach entführt. Die älteren unter ihnen sollen mittlerweile freigelassen worden sein. Für die Terrormiliz ist das nicht erst seit der Entführung von knapp 300 Mädchen in Chibok im vergangenen April eine beliebte Kampfstrategie – im Gegenteil. Immer wieder geraten Mädchen, Jungen und Frauen in die Hände der Terroristen.

Opferzahl ungeklärt

Noch immer ist unklar, wie hoch die Zahl der Opfer in Baga und Doron Baga ist. Anfangs war von bis zu 2.000 Menschen die Rede, die Regierung sprach später von „mehr als 100“ Toten. Tatsächlich gezählt hat die Leichen bislang niemand. Viele der Überlebenden sind geflüchtet, etwa nach Maiduguri, die Hauptstadt des Bundesstaates Borno, oder ins Nachbarland Tschad, das unweit von Baga liegt.

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Amnesty International fordert die Regierung Nigerias auf, Zivilisten besser zu schützen und weitere Maßnahmen zur Terrorbekämpfung einzuleiten. Doch führende Politiker im Land halten sich weiter bedeckt. So verurteilte Staatspräsident Goodluck Jonathan zwar den Anschlag auf die französische Satirezeitung „Charlie Hebdo“. Zum Tod seiner eigenen Landsleute äußerte er sich bislang nicht. Das sorgt mittlerweile sogar in anderen Ländern Afrikas für Kritik. So warf Julius Malema, umstrittener Jungpolitiker aus Südafrika, Jonathan laut einem Bericht der Zeitung „Premium Times“ (Onlineausgabe) Verantwortungslosigkeit im Umgang mit dem Massaker von Baga vor.

Militäreinsatz gegen Boko Haram

Einzige Reaktion der Regierung ist nun offenbar ein Militäreinsatz gegen Boko Haram in der Stadt Biu im Süden des Bundesstaates Borno. Die Zeitung „The Punch“ schreibt am Donnerstag unter Berufung auf Militärsprecher Chris Olukolad, es sei dem Militär offenbar gelungen, eine Übernahme durch Boko Haram zu verhindern. 41 Aufständische sollen dabei ums Leben gekommen sein. Sicherheit über die Zahlen gibt es aber ebenso wenig wie im Fall von Baga.

In Nigeria gilt es als wahrscheinlich, dass die Anschläge vor den für 14. Februar geplanten Präsidentschaftswahlen noch zunehmen werden. Ob die Durchführung der Wahlen landesweit möglich sein wird, ist ungewiss. Das räumte mittlerweile auch der Vorsitzende der unabhängigen nationalen Wahlkommission (INEC), Attahiru Jega, ein. In den hochgefährlichen Gebieten in den Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa, etwa dort, wo Boko Haram bereits die Flagge gehisst hat, sollen keine Wahlurnen aufgestellt werden. Vor einer Woche hatte Jega das noch anders gesehen.

Kritik an diesem Vorschlag regt sich nicht nur in der katholischen Kirche. Der Bischof von Sokoto, Matthew Hassan Kukah, sagte vor Journalisten in der Hauptstadt Abuja, eine Verschiebung der Wahlen wäre „sehr schädlich für das Land“. Kukah, der zu den kritischsten Beobachtern der Regierung gehört, verlangte stattdessen vollen Einsatz, damit die Wahlen tatsächlich stattfinden können.

Von Katrin Gänsler (KNA)

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