„Schmutzige Tricks“
Auf Initiative der Entwicklungs- und Schwellenländer haben die Vereinten Nationen im vergangenen Jahr beschlossen , bis September 2015 ein Verfahren zur Lösung von Schuldenkrisen zu schaffen. Doch einige reiche Länder - darunter auch Deutschland - blockieren den Prozess. Mit einer bundesweiten Kampagne wendet sich das Entschuldungsbündnis erlassjahr.de nun an die Finanzminister der G7-Staaten. Jürgen Kaiser, Initiator von erlassjahr.de, erklärt, worum es geht.
Aktualisiert: 13.09.2022
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Frage: Herr Kaiser, die Vereinten Nationen wollen ein schnelleres und effektiveres Verfahren zur Lösung von Staatsschuldenkrisen entwickeln. Wie muss ein solch geordnetes und faires Staateninsolvenzverfahren aussehen?
Kaiser: Es gibt zwei Elemente, die ein faires Insolvenzverfahren ausmachen: An erster Stelle brauchen wir eine Art Schuldenkonferenz, in der alle Gläubiger eines verschuldeten Landes an einem Tisch sitzen und zusammen mit dem Schuldner nach einer Lösung suchen. Zurzeit läuft das anders ab. Zum Teil müssen verschuldete Länder mit einer Gruppe von Gläubigern im Pariser Club, mit einer anderen im Londoner Club und mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington verhandeln. Das ist viel zu umständlich.
Zum zweiten sollten die Entscheidungen darüber, wer Schuldenerlass bekommt und wie viel, nicht länger von den Gläubigern getroffen werden. Das ist höchst ineffizient. Es gibt Länder, die bis zu 15 Mal über dieselben Schulden verhandelt haben, weil sie bisher keinen ausreichenden Erlass bekamen. Wir brauchen hier eine unabhängige Entscheidungsinstanz, die die Situation des Schuldners auf Basis von unabhängigen Gutachten beurteilt. Diese Aufgabe könnte beispielsweise eine Nichtregierungsorganisation, eine Universität oder eine Rating-Agentur übernehmen. Bisher beurteilen jedoch der IWF und die Weltbank die Lage eines verschuldeten Landes. Der IWF ist aber in der Regel selbst einer der wichtigsten Gläubiger des betreffenden Landes. In dieser Konstellation kann kein unabhängiges Gutachten entstehen. Die Gläubiger sind Richter in eigener Sache.
Frage: Wie bewerten die Vereinten Nationen ein solches Modell zur Lösung von Schuldenkrisen?
Kaiser: Die Idee eines geordneten Staateninsolvenzverfahrens wurde von der G77, der Vertretung der Entwicklungs-und Schwellenländer, in die UN-Vollversammlung eingebracht und mit überwältigender Mehrheit angenommen. Zugleich traf sie aber auch auf eine geradezu wütende Opposition der reichen Länder, darunter unter anderem die USA, Großbritannien und unglücklicherweise auch Deutschland. Sie versuchen jetzt, diesen Prozess mit mehr oder weniger schmutzigen Tricks aufzuhalten.
Frage: Erlassjahr.de möchte das Treffen der G7-Finanzminister im Mai dazu nutzen, an das ehrgeizige Vorhaben der Vereinten Nationen zu erinnern. Was haben Sie genau geplant?
Kaiser: Am 27. Mai wird es eine öffentliche Aktion und Kundgebung in der Dresdner Altstadt geben. Anschließend findet ein Gottesdienst in der Hofkirche statt, an dem unter anderem der Dresdner Bischof Heiner Koch und Repräsentanten aus der weltweiten Ökumene teilnehmen. Am 28. Mai veranstalten wir eine Anhörung zum Thema neue Schuldenkrisen und wie mit ihnen umzugehen ist. Zu dieser haben wir Prominente, Wissenschaftler, Vertreter von zivilgesellschaftlichen Organisationen und natürlich auch die deutsche G7-Präsidentschaft eingeladen.
Frage: Wie kann sich jeder Einzelne konkret an dieser Kampagne beteiligen?
Kaiser: Über unsere Webseite haben wir kürzlich eine Postkarten-Aktion gestartet, in der User die deutsche G7-Präsidentschaft dazu auffordern können, sich konstruktiv in den UN-Prozess einzubringen und die Tatsache, dass sich im globalen Süden neue Schuldenkrisen aufbauen, endlich zur Kenntnis zu nehmen. Darüber hinaus freuen wir uns natürlich, wenn Ende Mai viele Menschen nach Dresden kommen, um sich persönlich zu engagieren. Wir hoffen auf eine so große Beteiligung, dass die Politik nicht an uns vorbeigehen kann.
Das Interview führte Lena Kretschmann.