
„Knast statt Prävention ist keine Lösung“
Der Hauptgeschäftsführer des katholischen Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat , Prälat Bernd Klaschka, hat sich entschieden gegen die in Brasilien diskutierte Herabsetzung der Strafmündigkeit von 18 auf 16 Jahre ausgesprochen. „Knast statt Prävention ist keine Lösung des Gewaltproblems“, betonte Klaschka am Dienstag in Essen. Der entsprechende Verfassungszusatz hatte am Dienstag (Ortszeit) die erste Hürde im brasilianischen Kongress genommen. Wie Onlinemedien berichteten, stimmte mit 42 zu 17 Stimmen eine Mehrheit in der Verfassungskommission des Abgeordnetenhauses für die umstrittene Initiative.
Aktualisiert: 12.07.2015
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Der Hauptgeschäftsführer des katholischen Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat , Prälat Bernd Klaschka, hat sich entschieden gegen die in Brasilien diskutierte Herabsetzung der Strafmündigkeit von 18 auf 16 Jahre ausgesprochen. „Knast statt Prävention ist keine Lösung des Gewaltproblems“, betonte Klaschka am Dienstag in Essen. Der entsprechende Verfassungszusatz hatte am Dienstag (Ortszeit) die erste Hürde im brasilianischen Kongress genommen. Wie Onlinemedien berichteten, stimmte mit 42 zu 17 Stimmen eine Mehrheit in der Verfassungskommission des Abgeordnetenhauses für die umstrittene Initiative.
Laut des Adveniat-Hauptgeschäftsführers trüge der Verfassungszusatz „171/93“ zur Kriminalisierung Jugendlicher bei und die wirklichen Verantwortlichen, beispielsweise die Drogenbosse, rückten dadurch weiter aus dem Fokus der Behörden. „Dadurch werden die Opfer der Drogenkartelle zu Tätern gemacht“, sagte Klaschka. Erfahrungen aus den USA hätten zudem gezeigt, dass die Erhöhung des Strafmaßes für Minderjährige nicht zu weniger Straftaten führe. Im Gegenteil – in den Gefängnissen würden Jugendliche oftmals erst zum Verbrecher. Eine Resozialisierung nach der Haftstrafe finde laut Klaschka in den meisten Fällen nicht statt. Ein Großteil der Häftlinge werde später wieder rückfällig. „Je mehr Menschen man wegsperrt, desto größer wird also das Gewaltproblem“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Lateinamerika-Hilfswerkes. „Wir müssen benachteiligten Kindern und Jugendlichen durch den Zugang zu Bildung Flügel verleihen, statt sie einzusperren.“
Heftige Proteste kamen auch aus der katholischen Kirche in Brasilien. Die Herabsetzung der Strafmündigkeit sei „ein Mordkomplott gegen arme Kinder und Jugendliche der Peripherien unserer Großstädte“, heißt es in einer Stellungnahme des Generalsekretärs der Brasilianischen Bischofskonferenz, Dom Leonardo Steiner. „Parlamentarier sollten sich lieber für die Verteidigung der Würde von Kindern und Jugendlichen einsetzen, statt diese als Kriminelle abzustempeln und sich ihrer zu entledigen.“

Durch den geplanten Verfassungszusatz würde der Druck von den öffentlichen Institutionen genommen, ihrer verfassungsmäßigen Verpflichtung nachzukommen und den Jugendlichen Zugang zu zivilen, politischen und sozialen Bürgerrechten wie Bildung, Gesundheit, Kultur und öffentlichem Transport zukommen zu lassen. Angesichts der aktuellen Korruptionsvorwürfe gegen Politiker und Regierende dürften sich die Kinder und Jugendlichen Brasiliens sowieso schon fragen, welchen Vorbildern sie eigentlich folgen sollen, kritisierte Steiner.
Anzahl der Inhaftierten dramatisch angestiegen
Brasilien hat nach den USA, China und Indien die viertgrößte Gefängnisbevölkerung der Welt. „Von 1992 bis 2012 stieg die Anzahl der brasilianischen Gefängnisinsassen laut der Nationalen Gefängnisabteilung von 114.000 auf rund 550.000, was einen Anstieg von 380 Prozent bedeutet“, sagte der Leiter der brasilianischen Gefängnispastoral und Adveniat-Projektpartner, Valdir João Silveira. Im gleichen Zeitraum sei die brasilianische Bevölkerung nach Angaben des Nationalen Statistikinstituts nur um 30 Prozent gewachsen. In den Gefängnissen säßen alle zusammen ein: von Tätern mit umfangreichem Strafregister bis hin zu Taschendieben. „Dort auch noch Jugendliche hineinzustecken, ist wie sie zu vergewaltigen“, sagte Silveira. Sie würden dann wie professionelle Kriminelle behandelt und für den Rest ihres Lebens stigmatisiert.
In den Gefängnissen würden die menschlichen Grundrechte missachtet. Insbesondere die Gesundheitsversorgung ist nach Aussage von Silveira unzureichend: „Viele kommen krank oder verwundet im Gefängnis an, viele sterben durch fahrlässiges Verhalten. Folter und Misshandlungen sind weit verbreitet – mit dem stillschweigenden Einverständnis der Behörden, die für die Aufsicht der Gefängnisse zuständig sind.“ Durch die Gefängnispastoral sei die Kirche bei den Inhaftierten. „Wir besuchen sie dort, wo sie sich gerade befinden: in der Strafzelle, auf der Krankenstation oder in der Sicherheitszelle“, sagte Silveira. „Wir sprechen mit ihnen, hören zu und versammeln uns, um die Eucharistie zu feiern. Wir klären sie über ihre Rechte auf und helfen ihnen, dafür zu kämpfen.“ Adveniat unterstützt diese Arbeit sowohl auf nationaler Ebene als auch in vielen Gemeinden.
Die Initiative zur Reduzierung der Strafmündigkeit war in den vergangenen Tagen gegen den Willen von Präsidentin Dilma Rousseff in der Verfassungskommission des Abgeordnetenhauses diskutiert worden. Nach Ansicht von Rousseffs Arbeiterpartei ist die in der Verfassung definierte Strafmündigkeit mit 18 Jahren nicht abänderbar. Befürworter der Initiative halten die Reduzierung hingegen für verfassungskonform. Eine Sonderkommission soll nun Details ausarbeiten. Erst dann kann im Plenum des Abgeordnetenhauses über die Absenkung beraten und abgestimmt werden. Danach muss auch der Senat zustimmen. (KNA/Adveniat)