
Faire Früchte statt Sklavenlöhne
Fairer Handel ‐ Der Aufschrei der Politiker kommt so sicher wie die Ebbe nach der Flut: Endlich die Ursachen der Flucht bekämpfen! So lautet die knackige Forderung vor Kameras und Mikrofonen, wenn wieder einmal Flüchtlinge vor Europas Küsten jämmerlich ertrunken sind. Oder wenn sie es zu Dutzenden gerade noch auf Rettungsboote geschafft haben. Doch mit der Hilfe nach der Nothilfe hapert es.
Aktualisiert: 12.07.2015
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Der Aufschrei der Politiker kommt so sicher wie die Ebbe nach der Flut: Endlich die Ursachen der Flucht bekämpfen! So lautet die knackige Forderung vor Kameras und Mikrofonen, wenn wieder einmal Flüchtlinge vor Europas Küsten jämmerlich ertrunken sind. Oder wenn sie es zu Dutzenden gerade noch auf Rettungsboote geschafft haben. Doch mit der Hilfe nach der Nothilfe hapert es.
Dabei klingt das Rezept so simpel: Sobald die Menschen bessere Chancen in ihrer Heimat sehen, riskieren sie nicht mehr die Flucht und bleiben gerne im fernen Afrika, so eine gängige These. Dazu benötigen sie dort Aussicht auf einen Job, auf gerechte Löhne und faire Preise. Der Ist-Zustand sieht anders aus.
„Viel zu lange hat Europa den afrikanischen Kontinent mit ausgebeutet.“ Diese Kritik stammt nicht von einem linken Globalisierungsgegner, sondern von Entwicklungsminister Gerd Müller. Der CSU-Politiker weiter: „Nun wundern wir uns, wenn die Menschen in Afrika keine Chancen mehr für sich sehen und zu uns kommen wollen.“
Verbraucher offen für kritischen Konsum
Gleichzeitig zeigen sich in Deutschland mehr Konsumenten offen für bewusstes Einkaufen. Und greifen dafür auch mal tiefer in die Tasche, jedenfalls wenn sie es sich leisten können. Ethisch korrekt gehandelte Produkte gelten hier und da plötzlich als „chic“ und boomen.
Allein die letzte Jahresbilanz der Organisation TransFair weist eine Steigerung um 23 Prozent aus, bei einem Umsatz von 654 Millionen Euro. Nächste Woche kommen die neuen Zahlen auf den Tisch. Bananen und Blumen, Kakao und Kaffee mit FairTrade-Siegel gibt es längst nicht mehr nur in Weltläden oder bei Pfarrfesten, sondern auch im Supermarktregal. Jeden Tag ein bisschen fairer.
Studien belegen, dass dieser Wirtschaftszweig das Leben von Kleinbauern und Plantagenarbeitern tatsächlich verbessert. Doch so mal schnell die Welt retten? Für Misereor -Agrarexperten Benjamin Luig müssen weitere Schritte folgen: „Fairer Handel ist ein wichtiger Baustein. Das allein reicht aber nicht, die Politik ist gefragt.“ Sie müsse in den Markt eingreifen und für Mindestpreise zugunsten der Kleinbauern sorgen: „Gegen die Macht der internationalen Ketten haben sie keine Chance“, kritisiert der Referent für Agrarpolitik.
„Fairer Handel ist ein wichtiger Baustein. Das allein reicht aber nicht, die Politik ist gefragt.“
Der Caritasverband pocht ebenfalls auf Initiativen und Investitionen, damit Menschen in ihrer Heimat Perspektiven haben. „Jedoch sollten wir realistisch bleiben“, mahnt Präsident Peter Neher und verweist auf die desaströse Lage in Ländern wie Libyen oder Somalia. „Da wäre es doch unredlich zu meinen, wir wären in der Lage, für Bedingungen zu sorgen, dass niemand mehr über das Mittelmeer kommt.“
An Warnungen mangelt es nicht. Auch Kirchenvertreter beziehen klar Position, allen voran Papst Franziskus: „Wir dürfen nicht zulassen, dass das Mittelmeer ein großer Friedhof wird“, forderte er Ende 2014 vor dem EU-Parlament. Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki verlangt eine bessere Langzeithilfe. Dazu zählten ein Ende der Korruption in Afrika, Bildung und Ausbildung für alle sowie der Aufbau demokratischer Strukturen. All dies gewinnt jedoch schwerer an Fahrt als ein marodes Boot skrupelloser Schlepper.
Selbst verarbeiten statt exportieren
Verbände wie Regierungen haben sogar vielversprechende Konzepte ausgetüftelt. Und nicht immer verschwinden sie nach Konferenzen einfach in der Schublade. Minister Müller schwärmt von gelungenen Projekten in Ghana, Liberia und Nigeria. Er bemängelt freilich auch: „Wir Europäer haben wertvolle Ressourcen zu Niedrigstpreisen bekommen und den Arbeitskräften Sklavenlöhne gezahlt.“ Außerdem werden die günstig eingekauften Rohstoffe dann in den Industriestaaten verarbeitet und als Endprodukt verkauft, deutlich teurer. Erst das Veredeln beschert den Profit.
Luig vom kirchlichen Hilfswerk Misereor setzt deshalb hier den Hebel an: „Die afrikanischen Länder müssen ihre Agrar-Rohstoffe wie Baumwolle selbst verarbeiten können, anstatt sie zu Schleuderpreisen in den Export zu geben.“ In Asien hätten einige Länder das bereits geschafft. Erst wenn es auch in Afrika bergauf geht, werden dort weniger Menschen Leib und Leben buchstäblich aufs Meer setzen.
Von Thomas Winkel (KNA)