Brückenbauer zwischen Deutschland und Südafrika
Hochschule ‐ Praxisorientiert, diskussionsfreudig und nah am Menschen - so erlebt Marita Wagner ihr Theologie-Studium in Südafrika. Für zwei Auslandssemester hat es die 23-Jährige von Frankfurt an die University of Pretoria verschlagen. Im Interview spricht sie über das Lernen und Leben in Südafrika.
Aktualisiert: 31.08.2015
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Praxisorientiert, diskussionsfreudig und nah am Menschen - so erlebt Marita Wagner ihr Theologie-Studium in Südafrika. Für zwei Auslandssemester hat es die 23-Jährige von Frankfurt am Main an die University of Pretoria verschlagen. Im Gespräch mit dem Internetportal Weltkirche erklärt die gebürtige Koblenzerin, wie Studenten verschiedenster Konfessionen, Kulturen und Sprachen an ihrer Gastuniversität zusammentreffen und welche Chancen daraus entstehen.
Frage: Frau Wagner, Sie studieren seit Anfang dieses Jahres an der University of Pretoria. Wie kam es dazu?
Wagner: Schon seit meinem ersten Semester arbeite ich an der Frankfurter Hochschule Sankt Georgen am Institut für Weltkirche und Mission. Dadurch habe ich bereits viele Einblicke in die Themen Weltkirche, Missionstheologie und interreligiöser Dialog bekommen – allerdings nur auf theoretischer Basis. Mein Wunsch war es, selbst einmal in ein sogenanntes „Missionsland“ zu reisen und mich mit der heutigen Form der Theologie dort auseinanderzusetzen – und zwar aus Sicht der Missionierten. Da die Universität in Pretoria ein sehr großes Angebot in Missionstheologie hat, fiel die Wahl sehr schnell auf Südafrika.
Frage: In Pretoria studieren Studenten unterschiedlichster Konfessionen, Sprachen und Religionen. Wie funktioniert das?
Wagner: Es klappt erstaunlich gut. An der Uni kommen beispielsweise Studenten der katholischen, anglikanischen, der presbyterianischen, der evangelisch-lutherischen, der reformierten Kirche und der Dutch Reformed Church zusammen. Der Unterricht funktioniert in der Regel so, dass die Themen zunächst einmal aus allgemein christlicher Perspektive besprochen werden. Im zweiten Schritt können die Studenten ihren eigenen religiösen Hintergrund einbringen und erklären, welche Spezifika es in ihren Kirchen und Konfessionen gibt. Diese Vorgehensweise finde ich sehr spannend, da sich direkt die Chance zum Dialog ergibt. So entsteht eine viel größere Bandbreite an Theologie. Gleichzeitig ist man selbst stärker herausgefordert, sich und seinen Glauben zu reflektieren. In Frankfurt teilen alle Studenten dieselbe Konfession und Grundansichten, so dass man sich nicht erklären muss.
Frage: Inwiefern unterscheidet sich Ihr Studium in Sankt Georgen von dem in Pretoria?
Wagner: Die Theologie bei uns im Norden ist viel theoretischer und wissenschaftlicher geprägt. Der Süden ist demgegenüber praxisorientierter und fokussiert sich auf den Dienst am Nächsten. An der University of Pretoria geht es immer darum, das akademische Wissen in der Praxis anzuwenden.
Ein Beispiel: Im Rahmen meiner Einführungsvorlesung „Mission in Practice“ haben wir sozial schwache Familien in Armenvierteln in der Umgebung besucht. Jedem Studenten wurde jeweils eine Familie zugeteilt. Ich besuchte eine Frau aus Burundi, die vor acht Jahren nach Südafrika geflohen ist, weil in ihrem Land Krieg herrschte. Sie musste in ihrer Heimat mit ansehen, wie ihre gesamte Familie ermordet wurde. Diese Begegnung war einerseits herausfordernd für mich. Es war schwer, ihre Geschichten mit anzuhören. Andererseits möchte ich unsere Treffen auf keinen Fall missen. Sie haben mir nochmals vor Augen geführt, wie privilegiert wir sind und dass wir häufig zu sehr um uns selbst kreisen. Wir schauen oft nicht, was in den Gemeinden vor Ort passiert und unter welchen Umständen die Menschen leben. Das hätte ich so eindrucksvoll in Deutschland vielleicht nicht erfahren können.
Frage: Inwiefern spiegelt sich dieser Praxisbezug des Studiums auch allgemein in der Kirche Südafrikas wider?
Wagner: In Südafrika ist die Kirche viel stärker eingebunden in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Auch nach der Apartheid gibt es immer noch viele soziale Probleme. Oftmals übernimmt die Kirche Aufgaben, die eigentlich in der Verantwortung des Staates lägen. Achtzig Prozent der Bevölkerung in Südafrika sind Christen und leben ihren Glauben sehr stark im Alltag. Sie setzen ihre Hoffnungen in die Kirche, weil andere Institutionen nicht greifen.
Frage: Wo engagiert sich Kirche besonders stark?
Wagner: Vor allem im Bereich der Armutsbekämpfung. Auch im Studium wird immer wieder der Bezug zur Armut hergestellt. Ich besuche beispielsweise aktuell eine Vorlesung zum Thema Liturgie. Darin diskutieren wir, wie wir angemessen zu den Armen predigen können und welche besondere Bedeutung der gemeinsamen Abendmahlsfeier in diesem Zusammenhang zukommt. Wir stellen die Frage, wie Kirche dabei helfen kann, diese Menschen wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Das geht weit über die rein wissenschaftliche Theologie hinaus.
Frage: Würden Sie sich auch für Ihr Studium in Deutschland mehr Praxisbezug wünschen?
Wagner: Definitiv. Ich kann als Seelsorger nicht zu jemandem sprechen, ohne ihn wirklich zu kennen. Meine Professoren in Pretoria erzählen mir ganz offen, warum sie Theologie studiert haben und was sie dazu bewegt, für die Kirche zu arbeiten. Das persönliche Glaubenszeugnis wird hier sehr deutlich. In Deutschland kommt die persönliche Ebene häufig zu kurz, weil das Studium sehr theoretisch ist. Dabei vergessen wir, für wen wir uns eigentlich ausbilden. Ich studiere Theologie nicht nur für mich selbst. Ich möchte mit dem erworbenen Wissen auch etwas bewirken.
Frage: Gab es während Ihres Studiums in Südafrika auch Momente, die für Sie schwierig waren?
Wagner: Die Kommunikation war anfangs eine Herausforderung. Es gibt elf verschiedene Landessprachen in Südafrika. Man kann nicht automatisch davon ausgehen, dass jeder dieselbe Sprache spricht. Alle Vorlesungen werden sowohl auf Afrikaans als auch auf Englisch angeboten. Daran sieht man, dass es nicht immer einfach ist, die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zusammenzubringen. Mit der Zeit entwickelt man aber ein Gefühl dafür, wie man als Gruppe agieren kann. Ich erinnere mich beispielsweise daran, dass wir in einer Vorlesung eine Gruppendiskussion führen mussten. Die Debatte verlief viel emotionaler und persönlicher und nicht so wissenschaftlich wie ich es aus Deutschland gewohnt bin. In dieser Situation habe ich sehr deutlich gespürt, dass die verschiedenen kulturellen Gruppen sehr unterschiedliche Herangehensweisen im Denken und in der Argumentation haben.
Frage: Im Dezember geht es für Sie zurück nach Deutschland. Wie möchten Sie Ihre Erfahrungen, die Sie in Südafrika gesammelt haben, in Ihrer Heimat einbringen?
Wagner: Ich möchte in jedem Fall den Kontakt zu Südafrika aufrechterhalten. Ich bin derzeit in vielen Gesprächen mit Professoren, die mir spannende Angebote für Forschungsarbeiten und -projekte gemacht haben. Ich versuche, Beziehungen zu knüpfen und vielleicht als Brückenbauer zwischen Deutschland und Südafrika zu wirken. Das Engagement der Professoren an meiner Fakultät beeindruckt mich. Wenn sie sehen, dass die Studenten interessiert und motiviert sind, öffnen sie ihnen alle Türen und geben ihnen viel Raum für Kreativität.
Das Interview führte Lena Kretschmann.
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