Sprechstunde im Petershof
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Sprechstunde im Petershof

Flüchtlinge ‐ Pater Oliver aus Duisburg Marxloh erhält den Katholischen Preis gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus für den Petershof. Dieser hilft Zuwanderern, zum Beispiel mit einer medizinischen Sprechstunde - und die ist dringend notwendig, wie ein Blick nach Duisburg zeigt.

Erstellt: 13.10.2015
Aktualisiert: 13.10.2015
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Ein zwei Monate altes Baby mit unregelmäßigen Herztönen bringt man normalerweise sofort zum Arzt. Weil die junge Mutter aus Bulgarien aber weder Papiere noch Krankenversicherung besitzt, hat sie ein Problem, für das es in ganz Duisburg derzeit scheinbar nur eine Lösung gibt: die medizinische Sprechstunde im Petershof in der Gemeinde Peter und Paul in Duisburg-Marxloh.

Der Stadtteil mit besonders vielen Zuwanderern, den manche Medien „Problemviertel“ oder „No-Go-Area“ nennen und den Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Vize Sigmar Gabriel (SPD) kürzlich besuchten. Der Stadtteil, in dem Pater Oliver 2012 das Sozialpastorale Zentrum Petershof ins Leben rief, um Migranten, Flüchtlingen und sozial benachteiligten Menschen zu helfen – wofür er nun den Katholischen Preis gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus von der Deutschen Bischofskonferenz erhält.

Als die Stadt Duisburg vergangenen Herbst Zeltstädte plante, um die vielen Flüchtlinge irgendwie unterzubringen, reichte es Pater Oliver Potschien. „Das hat nichts mit Willkommenskultur zu tun“, dachte er. Als Leiter des katholischen Zentrums Petershof kümmert er sich schon seit Jahren um Wohnraum, Sprachunterricht und Kinderbetreuung für Asylsuchende, Zuwanderer und sozial Benachteiligte. Und seit November 2014 auch um deren Gesundheit.

50 bis 70 Patienten pro Woche

Mit einer Handvoll Patienten hat Anne Rauhut angefangen, mittlerweile helfen weitere Menschen, meist pensionierte Ärzte und Übersetzer. Sie zählen über 1.000 „Patientenakten“ – handgeschriebene Karteikarten gestapelt in Windelkartons. Jeden Donnerstag ab 13 Uhr werden die Räume im Petershof zu Behandlungszimmern, die Geräte wurden im Internet erstanden, der Schrank voll Medikamente wurde gespendet. Im Schnitt kommen jede Woche 50 bis 70 Patienten, die Hälfte davon stets neu. Sie ziehen eine Nummer, warten, werden aufgerufen, gehen zum Blutdruckmessen, dann zum Doktor herein.

„Uns dürfte es eigentlich nicht geben.“

—  Zitat: Anne Rauhut, ehrenamtliche Helferin

„Das hier ist wie eine Praxis, ein Parallelsystem“, sagt Rauhut, „aber uns dürfte es eigentlich nicht geben.“ Ein Leck im Asylgesetz, finden Rauhut und Pater Oliver, es müsse ein Regelsystem geben, Gesundheit sei doch ein Grundrecht. Und dennoch scheint die kostenlose medizinische Sprechstunde im Petershof die einzige Anlaufstelle für Menschen ohne Papiere in der gesamten Stadt Duisburg. „Die Stadt rührt sich nicht“, sagt Pater Oliver. „Und was ist aus uns geworden, wenn uns sowas egal ist?“

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Egal ist es der Stadt vielleicht nicht, die Gesundheitsversorgung bei Asylsuchenden ist eben Ländersache. Demnach sind Flüchtlinge aus Nicht-EU-Ländern automatisch krankenversichert, Ärzte betreuen laut Stadt die Aufnahmeheime. In Duisburg betreffe das derzeit rund 3.000 Menschen vor allem aus Syrien und Afghanistan, heißt es vom Presseamt der Stadt. Hinzu kämen rund 12.000 Zuwanderer aus Südosteuropa, die wiederum nicht darunter fallen – aber meist auch schon in ihrer Heimat nicht krankenversichert waren. Für sie gibt es nach Angaben der Stadt eine Sprechstunde im Gesundheitsamt, die aber kaum jemand nutzt. Im Vergleich zu der im Petershof.

Frustrierend und erfüllend zugleich

Dahin kommen Menschen mit Husten, Schnupfen, Infektionen, Läusen und Krätzmilben. Anne Rauhut hat auch schon eine schwangere junge Bulgarin halb tot auf der Straße gefunden und einem Säugling mit Atemnot das Leben gerettet. Ein Hubschrauber musste ihn ins Krankenhaus fliegen – Notfälle müssen sie dort behandeln. Notfälle sind oft Folgen fehlender Versorgung. „Die meisten kommen einfach zu spät zu uns“, erklärt Rauhut, die hauptberuflich an einer Berufsschule unterrichtet.

Die 60-Jährige macht das hier ehrenamtlich, so wie vier bis fünf andere Kollegen, die sie jede Woche unterstützen. Sie alle zahlen drauf – für Materialien, Medikamente, Laboruntersuchungen. Eine Kinderärztin will einen Kühlschrank für Medikamente spenden, damit sie hier Impfstoffe aufbewahren können. Manche Kollegen trauen sich nicht zu helfen, sagt Anne Rauhut, andere kritisieren die Arbeit hier, weil sie das deutsche Gesundheitssystem unterwandert.

Das ärgert Rauhut. Wie sie wolle auch die Stadt Duisburg langfristig Zuwanderer ins Regelsystem aufnehmen, heißt es vom Presseamt. So lange wird Anne Rauhut mit ihren Kollegen jeden Donnerstag weitermachen. „Es ist so frustrierend, und zugleich erfüllend.“

Von Julia Rathcke

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