Süßes Geschäft mit bitterem Beigeschmack
Welthandel ‐ Konzerne wie Coca Cola verkaufen Millionen Flaschen mit Stevia gesüßter Getränke. Versprochen wird ein gesunder Zuckerersatz, den schon indigene Völker in Paraguay und Brasilien genossen. Doch die profitieren nicht vom Millionengeschäft.
Aktualisiert: 20.11.2015
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Sie sieht aus wie Minze und liefert einen der stärksten Süßstoffe der Welt: Die Stevia-Pflanze ist in vieler Munde, spätestens seit Coca Cola im Mai dieses Jahres eine Stevia-gesüßte Cola auf den deutschen Markt gebracht hat. Doch was Verbrauchern auf gesündere Weise als Zucker das Leben versüßen soll, entpuppt sich nach Angaben des katholischen Hilfswerks Misereor für die indigene Volksgruppe der Guarani in Brasilien und Paraquay zunehmend als bittere Erfahrung.
In einem am Donnerstag veröffentlichten Bericht beklagen Misereor und weitere Organisationen, dass die Guarani von der Vermarktung der Stevia-Pflanze kaum profitierten. Das Recht der Volksgruppe, aus ihrem traditionellen Wissen über den süßen Geschmack Nutzen zu ziehen, werde ignoriert: „Es handelt sich um einen klaren Fall von Biopiraterie“, heißt es in dem Bericht.
Denn die UN-Konvention über biologische Vielfalt und das dazugehörige Nagoya-Protokoll schrieben fest, „dass die Träger traditionellen Wissens ein Recht darauf hätten, aus der Kommerzialisierung des von ihnen entwickelten Wissens einen Nutzen zu ziehen“. Doch das Nagoya-Protokoll haben bislang erst 92 Staaten ratifiziert. Die USA, Sitz des Weltkonzerns Coca Cola, zählen nicht dazu. Und die EU argumentiert, das Protokoll gelte nur für traditionelles Wissen, das erst seit Inkrafttreten der EU-Verordnung genutzt werde.
Da hatte der schweizerische Botaniker Moises Santiago Bertoni Stevia längst „entdeckt“: Angehörige der Guarani berichteten Bertoni bereits 1887 über die süße Kraft der Stevia. 1971 ließ ein japanisches Unternehmen 500.000 Pflanzen in Südamerika ausgraben und nach Japan bringen, wo Stevia seither gezüchtet und verarbeitet wird. 2012 entfiel 80 Prozent des weltweiten Anbaus auf China, nur fünf Prozent auf Brasilien und Paraguay, die Heimatländer der Guarani.
Misereor: Coca-Cola-Werbung ist „zynisch“
Misereor fordert die Regierungen beider Länder nun auf, dafür zu sorgen, „dass der Anbau von Stevia-Pflanzen die Kleinbauern und die Entwicklung des ländlichen Raums unterstützt“. Paraguay und Brasilien müssten zudem „das Nagoya-Protokoll auf nationaler Ebene implementieren“. Doch beide Länder haben das Protokoll bislang noch nicht einmal ratifiziert. Unterdessen lässt Coca Cola auf seiner deutschsprachigen Internetseite eine Stevia-Pflanze sprechen. In dem Text heißt es unter anderem: „Wir Paraguayer mögen es süß. Vielleicht bezeichnen wir uns deshalb in Umfragen als die glücklichsten Menschen der Welt.“
Für Misereor ist diese Werbung „zynisch“. Das Hilfswerk verweist darauf, „dass die Guarani die höchste Selbstmordrate der Welt“ hätten. Viele lebten in erbärmlichen Umständen, nachdem sie ihre Territorien an Sojabauern, Rinderzüchter und Zuckerrohrplantagen verloren hätten. Coca Cola und den Weltfußballverband Fifa hielt dies nicht davon ab, bei der Weltmeisterschaft in Brasilien mit glücklichen Guarani für Coke Life zu werben.
Hilfswerk warnt vor Wettlauf der Patentierung
Wie Misereor beklagt, ist Coca Cola kein Einzelfall: Auch von der Stevia-Cola Pepsi Next profitiere nur der Konzern. Und eine Marktstudie der Universität Hohenheim von 2013 zeigt: 41 Prozent der Unternehmen, die Stevia-Produkte anboten, warben mit der jahrhundertelangen Tradition des Süßstoffs, die eine Tradition der Guarani ist. Nur 11 Prozent nannten die Indigenen beim Namen.
Wenn es nach Unternehmen wie Cargill geht, wäre auch das bald nicht mehr nötig. Der US-Konzern will Stevia-Süßstoff künstlich herstellen, statt ihn aus Blättern der Pflanze zu gewinnen. Misereor befürchtet einen „Wettlauf zur Patentierung“ entsprechender Methoden, der die Guarani endgültig enteignen und die Profite weiter steigern könnte.
Dabei zögen die Guarani jetzt schon gegen Coca Cola und Co. den Kürzeren: Während die Konzerne ihre industriell hergestellten Stevia-Produkte in den USA und der EU frei verkaufen dürften, sei die Einfuhr der naturbelassenen und seit Jahrhunderten verzehrten Stevia-Blätter verboten: Ihnen fehle die Zulassung als „neues Lebensmittel“. Es bestehe, so Misereor, „wenig kommerzielles Interesse“, die „teuren Zulassungsverfahren zu durchlaufen“.
Von Jonas Krumbein (KNA)
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