Bild: © KNA

„Christen zahlen den Preis für westliche Politik“

Christen im Nahen Osten ‐ Die Maroniten sind die größte christliche Gemeinschaft im Libanon. Das religiöse Oberhaupt der mit Rom verbundenen Kirche spielt traditionell eine wichtige Rolle in der Politik des kleinen Landes, das fast zwei Millionen syrische Bürgerkriegsflüchtlinge aufgenommen hat. Patriarch Bechara Rai, der auch Mitglied des Kardinalskollegiums ist, sorgt sich um die Zukunft der Christen in Syrien und im Irak.

Erstellt: 30.11.2015
Aktualisiert: 17.02.2023
Lesedauer: 

Frage: Sie haben einmal gesagt, die arabische Welt brauche die Christen. Was können die Christen zu einer guten Zukunft Syriens beitragen?

Bechara Rai: Für Syrien, Irak, Libanon und Jordanien ist die Präsenz der Christen unverzichtbar. Egal, welches politische System herrscht, die Kirche hat ihre eigene Mission zu erfüllen. Sie bleibt, während die politischen Systeme wechseln. Die Kirche ist vom politischen System abhängig, aber sie muss immer im Interesse des Friedens arbeiten. Die Kirche ist seit mehr als 2.000 Jahren im Nahen Osten präsent. Wir haben mit den Muslimen eine gemeinsame Kultur errichtet, ihnen christliche Werte weitergegeben und Werte von ihnen empfangen.

Frage: Was können westliche Länder wie Deutschland tun, um die Christen im Irak und in Syrien zu halten oder ihnen eine Rückkehr zu ermöglichen?

Rai: Auf kirchlicher Ebene ist die Solidarität der Hilfswerke wie Missio, Misereor und dem Kindermissionswerk „Die Sternsinger“ sehr wichtig, um die Christen im Nahen Osten bei ihren Projekten zu unterstützen. Daher sind wir Deutschland und der Kirche sehr dankbar. Auf politischer Ebene müssen die Christen in Deutschland gegen die Kriege im Nahen Osten die Stimme erheben und die internationale Gemeinschaft und die Regierungen auffordern, zu einer politischen Lösung zu kommen und einen dauerhaften, umfassenden und gerechten Frieden zu erreichen.

Zudem sollten Deutschlands Christen dafür einstehen, dass die Vertriebenen, Geflohenen und Entführten zurückkehren können. Das ist deren Recht. Es ist nicht akzeptabel zu sagen, die Leute könnten woanders ein neues Zuhause finden. Niemand hat das Recht, Menschen von ihrer Heimat, ihrer Geschichte, ihrer Kultur zu entfremden. Das Leben besteht nicht nur aus Essen und Trinken. Wir ziehen es vor, mit den Muslimen im Nahen Osten zusammenzuleben, weil wir eine gemeinsame Kultur haben.

Frage: Was wünschen Sie sich von den muslimischen Religionsführern im Irak, in Syrien und im Libanon?

Rai: Wir haben ein gutes Verhältnis. Wir bitten sie, Position zu beziehen gegen die Fundamentalisten. Wir bitten sie, die Aktionen der Terroristen zu verurteilen, die scheinbar Muslime sind. Es hat Verurteilungen durch einzelne muslimische Instanzen gegeben. Wir würden uns aber wünschen, dass es eine gemeinsame Stellungnahme aller muslimischen Religionsführer gäbe und dass sie die Hassreden gegen Christen verurteilen.

Man muss wissen: Die Muslime in der arabischen Welt betrachten jede Entscheidung einer westlichen Regierung als christliche Entscheidung. Sie glauben, dass die Christen im Nahen Osten die Verbündeten der westlichen Regierungen sind. Wir zahlen den Preis für die Entscheidungen dieser Regierungen. Deshalb müssen die westlichen Regierungen jeden Konflikt mit der arabischen Welt vermeiden, damit die Muslime keinen Grund sehen, Christen anzugreifen.

Frage: Von welchen politischen Kräften in Syrien dürfen sich die Christen die besten Lebensperspektiven erhoffen?

Rai: Wir können mit jeder Art von Regierung leben. Wir kennen unsere Grenzen. Alle arabischen Länder sind religiöse Systeme. Der Islam ist die Staatsreligion und die Quelle der Gesetzgebung ist der Koran. Die politische und militärische Macht liegt bei den Muslimen. Wir Christen mischen uns nicht in die Politik ein. Wir respektieren die politischen Autoritäten und wir werden deshalb auch von ihnen respektiert. Man hat etwa Saddam Hussein als Tyrannen gebrandmarkt – und er war tatsächlich einer, der weg musste. Aber in seiner Regierungszeit haben die Christen ein relativ gutes Zeitalter erlebt. Er hat Kirchen gebaut und Christen haben sein Vertrauen genossen. Für uns Christen ist politische Stabilität das Wichtigste.

Frage: Befürchten Sie, dass auch der Libanon und die dortigen Christen in den Krieg in Syrien hineingezogen werden?

Rai: Noch nie ist die Kirche im Libanon in den Krieg gezogen. Die Hisbollah führt Krieg in Syrien. Die Christen nicht. Die Regierung sagt offiziell, dass sie die Intervention der Hisbollah in Syrien ablehne und bevorzugt eine neutrale Haltung. Wir dürfen uns als Libanesen nicht in syrische innere Angelegenheiten einmischen. Dennoch gibt es Stimmen, die sagen, die Intervention schütze uns vor einem Übergreifen des Konflikts. In jedem Fall muss die Souveränität beider Länder respektiert werden.

Von Jonas Krumbein (KNA)

© KNA