Schutzlos im Flüchtlingsheim
Frauen ‐ Nach den Gewalttaten in der Kölner Silvesternacht wird mehr Schutz für Frauen gefordert. Frauenrechtler beklagen auch Übergriffe in den Flüchtlingsunterkünften - und fordern politische Reaktionen.
Aktualisiert: 13.01.2016
Lesedauer:
Frauen fliehen vor Krieg, Hunger, Folter oder politischer Verfolgung. Im Gegensatz zu Männern wollen sie aber auch Genitalverstümmelung, Zwangsverheiratung, ihrer Familie oder ihrem gewalttätigen Mann entkommen. Vergewaltigungen werden in Kriegen oft systematisch als Waffe eingesetzt. Seit dem Jahr 2001 gelten sie als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und werden vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verfolgt.
„All diese Gewaltformen setzen nicht unbedingt staatliche Verfolgung voraus, sondern es sind Sachverhalte, die eher mit der Gesellschaft, der traditionellen Familie und dem vorherrschenden Frauenbild zu tun haben“, heißt es in einer Publikation der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Aber auch das könne ein Asylgrund sein, wenn die Heimatstaaten nichts täten, um betroffene Frauen zu schützen. Rechtlich wird von „nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung“ gesprochen.
Geschlecht spielt bei Asylgrund keine Rolle
Und in der Praxis? Dort wird laut FES die „geschlechtsspezifische Verfolgung“ meist nicht als Asylgrund anerkannt – sondern lediglich als sogenanntes Abschiebehindernis: Die Frauen sind dann geduldet und haben so beispielsweise keinen Zugang zu einem Integrationskurs.
In der Genfer Flüchtlingskonvention ist geschlechtsspezifische Gewalt nicht ausdrücklich benannt: Anerkannte Flüchtlinge sind demnach solche, die „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung“ verfolgt werden – das Geschlecht spielt hier keine Rolle.
Solwodi fordert Umdenken in Asylpolitik
Die Hilfsorganisation Solwodi fordert daher ein Umdenken in der Asylpolitik. Geflüchtete Frauen aus patriarchalischen Gesellschaften müssten als Asylsuchende stärker anerkannt werden, so die Vorsitzende von Solwodi Deutschland, Schwester Lea Ackermann. Der Staat würdige die individuellen Asylgründe der Frauen nicht hinreichend, gerade bei Frauen aus Osteuropa, deren Herkunftsländer als sicher eingestuft seien. „Ein Land, in dem eine Frau keine Rechte hat, ist nicht sicher.“
Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wird etwa ein Drittel der Asylanträge in Deutschland von Frauen gestellt. Frauenverbände kritisieren, dass das Asylsystem in Deutschland auf die speziellen Bedrohungslagen von Frauen nicht ausreichend eingestellt sei.
Mehr Schutz für Frauen in Flüchtlingsunterkünften
Die Sprecherin des Bundesverbandes Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff), Katja Grieger, sieht vor allem in der Unterbringung von geflüchteten Frauen ein Problem: „Je größer die Unterkunft, desto weniger geschützt sind Frauen vor Übergriffen.“ In vielen Heimen oder Hallen sei keine Privatsphäre gegeben und selbst die Geschlechtertrennung oft nicht möglich.
In Flüchtlingsunterkünften begingen Mitbewohner und Partner Übergriffe – „wir wissen aber auch von sexuellen Übergriffen durch ehrenamtliche Helfer und durch Mitarbeiter von Sicherheitsdiensten“, so Grieger. Wie viele Frauen jedoch betroffen sind, wird bisher statistisch nicht erfasst.
Hilfe und Prävention gebe es bisher nur wenig, beklagt Grieger. Vereinzelte Projekte von Frauenberatungsstellen seien zwar gestartet, „aber leider sind diese Initiativen bisher ein Tropfen auf den heißen Stein, sie sind bisher auch nicht finanziell unterlegt und schon gar nicht verpflichtend für Unterkünfte.“
Die Unterbringung ist laut Grieger eine Ursache für die Übergriffe. „Wenn sehr viele Menschen auf sehr engem Raum gemeinsam leben müssen und es keine Rückzugsmöglichkeiten gibt, ist es sehr leicht, übergriffig zu werden.“ Zudem gebe es kaum Beschwerdemöglichkeiten oder Schutzkonzepte.
Und wenn es erst einmal zu einem Übergriff gekommen ist, sind Unterkünfte meist relativ abgeriegelte Orte, wie Grieger sagt. Denn „die dort lebenden Menschen wissen oft nicht, an wen ‚da draußen‘ sie sich wenden können, wenn sie Hilfe brauchen“.
Von Samuel Dekempe (KNA)
© KNA