„Epu“ heißt zwei

„Epu“ heißt zwei

Menschenrechte ‐ Erstmals könnte in Chile eine indigene Sprache regional offizielle Amtssprache neben Spanisch werden. Ein Rechtsgutachten spricht dem Mapudungun gute Chancen zu. Am 1. Februar soll der Regionalrat diskutieren.

Erstellt: 27.01.2016
Aktualisiert: 27.01.2016
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Zum ersten Mal in der chilenischen Geschichte könnte eine indigene Sprache offizielle Amtssprache neben Spanisch werden - zumindest auf regionaler Ebene. Ein hochrangiges Rechtsgutachten stellt der Regierung der Region Araukanien die Möglichkeit frei, das Mapudungun, die Sprache der Mapuche-Ureinwohner, als offizielle Sprache zuzulassen.

Darin heißt es, eine sprachliche Gleichstellung entspreche der verfassungsmäßigen Anerkennung der indigenen Kulturen und Sprachen in Chile. In Regionen mit einem hohen Anteil indigener Bevölkerung könne daher auch die Sprache der Mapuche in Behörden und im Parlament verwandt werden, so das juristische Gutachten.

Bei der Sitzung des Regionalrates am nächsten Montag (1. Februar) soll über ein entsprechendes Gesetz beraten werden. Angestoßen hatte die Initiative zugunsten der Mapuche-Bevölkerung der inzwischen abgelöste christdemokratische Gouverneur von Araukanien, Francisco Huenchumilla (PDC).

Neubesinnung auf die eigene Kultur

Die Mapuche sind die Ureinwohner im Süden von Chile und Argentinien. Sie wurden auch Araukanier genannt und waren das einzige indigene Volk Lateinamerikas, das der spanischen Eroberung standhielt. Nach der chilenischen Unabhängigkeit (1818) begann in den 1860er-Jahren die Entrechtung: Einmarsch der Armee, Enteignung, Niedergang der eigenen Traditionen und Sprache. Erst seit einigen Jahren setzte eine Neubesinnung auf die eigene Kultur und Identität ein. Zudem radikalisiert sich eine kleine Minderheit politisch.

Bild: © Escher/Adveniat

Schätzungen zufolge gibt es noch rund 600.000 Mapuche im Süden Chiles. Hunderttausende weitere leben größtenteils kulturell entwurzelt in der Hauptstadt Santiago. Nur noch 10 bis 15 Prozent der Mapuche sprechen aktiv Mapudungun.

Sozial zählen die Mapuche in Chile zum ärmsten und am wenigsten gebildeten Teil der Bevölkerung. Im Alltag sind die Ureinwohner Diskriminierung und Vorurteilen ausgesetzt, vergleichbar mit Roma und Sinti in Europa. Die UN-Konvention 169 der Weltarbeitsorganisation ILO zum Schutz ethnischer Minderheiten ist in Chile bislang nicht voll umgesetzt. Die Pinochet-Diktatur (1973–1990) leugnete das Vorhandensein einer ethnischen Minderheit gänzlich.

 

Leben im Einklang mit der Natur – Kampf um Lebensraum

Die westlich orientierte hispanische und die Mapuche-Kultur stehen sich fremd gegenüber. Die Mapuche (übersetzt: „Menschen der Erde“) leben traditionell nicht hierarchisch und in Einklang mit der Natur. Dazu im Kontrast stehen industrielle Formen der Landwirtschaft und der Ausbeutung natürlicher Ressourcen, die ihren Lebensraum bedrohen. Zudem sorgen eine wachsende Umweltbelastung sowie Menschenrechtsverstöße und große Infrastrukturprojekte für Konflikte. Zuletzt hat Staatspräsidentin Michelle Bachelet ein Indigenen-Ministerium auf den Weg gebracht, um die bestehenden Nachteile und Konfliktherde zu kanalisieren.

Wiederholt gerieten die Mapuche auch international in die Schlagzeilen: mit Hungerstreiks, Straßenblockaden, einzelnen gewalttätigen Aktionen – ihren Waffen gegen die Entrechtung. Waffen, gegen die die chilenischen Behörden bislang immer noch schärfere bereithielten: die Anwendung von Gesetzen zur Terrorbekämpfung, Verhaftungen ohne Begründung, Zulassung anonymer Zeugenaussagen, Aburteilung durch Militärgerichte.

Zwischen Spiritualität und Radikalisierung

„Die Mapuche-Kultur hat zwei Herzen“, sagt der Erzbischof der Hauptstadt Santiago de Chile, Kardinal Ricardo Ezzati, „das der Spiritualität und der Harmonie mit der Natur – und das der Radikalisierung“. Es sei ein großer Irrtum, wenn der Staat immer nur auf die gewaltbereite Seite reagiere.

Die katholische Kirche fördert in diversen Schulen und Bildungseinrichtungen im Süden Chiles eine Neubesinnung auf die eigene Kultur und Identität der Mapuche, die seit einigen Jahren eingesetzt hat. Sie will neben Grund- und Berufsbildung vor allem Selbstwertgefühl und mehr Kenntnis der eigenen Sprache und Traditionen vermitteln.

Landesweit gibt es nur eine einzige Hochschule, die den Mapuche eine Möglichkeit zu höherer Bildung bietet: die „Mapuche-Uni“ in Concepcion und einer Zweigstelle in Caniete. Doch das neu gekeimte Pflänzchen einer Mapuche-Renaissance ist vielfach bedroht: nicht nur durch die hispanische Leitkultur, sondern auch durch die Mainstream-Verheißungen von Handy und Facebook. Da wäre es ein wichtiges Signal, wenn es in Araukanien künftig an Sprachen nicht nur „kine“ (eine) gibt, sondern „epu“ – zwei.

Von Alexander Brüggemann (KNA)

© KNA

Mapuche-Religion und katholische Kirche

Die Religion der Mapuche („Menschen der Erde“) verehrt Gott als eine Vierheit: als Vater und Mutter, Alter (= Weisheit) und Jugend (= Kraft). In ihrer weitestgehend hierarchiefreien, sehr spirituellen Gesellschaft haben die oder der Machi (Schamane) als Geistliche eine zentrale Bedeutung für die Gemeinschaft. Heutzutage sind die meisten Machi weiblich. Sie erfahren ihre Berufung oft im Traum und lernen über Jahre bei erfahrenen Machi den Umgang mit den Geistern. Die katholische Kirche, in früheren Jahrhunderten vor allem Begleiterin der spanischen und chilenischen Staatsmacht, hat sich im Land- und Menschenrechtskonflikt deutlich auf die Seite der bedrängten Mapuche gestellt und fördert unter anderem Bildung und Unterricht in Mapudungun, der indigenen Sprache. Auf religiöser Ebene ist das Verhältnis komplex. Landesweit pflegen etwa 40 Prozent der Mapuche weiter ihre Naturreligion. Unter den 30 Prozent der katholischen Mapuche gibt es auch viele, die den katholischen Glauben mit Mapuche-Traditionen verbinden. Ordenspriester der Jesuiten versuchen etwa, im ursprünglichen Stammesland Araukanien unter den Ureinwohnern zu leben und die christliche Trinität mit der Vierheit des Mapuche-Glaubens theologisch übereinzubringen. Die Mapuche-Kultur legt großen Wert auf Harmonie und auf Gegenseitigkeit. Wenn der katholische Priester eine Familie besucht, erwidert diese den Besuch bei der Messe - denn der Priester hat ja keine Familie. Konfrontativer, aber zahlenmäßig erfolgreich verläuft die Missionsarbeit evangelikaler Pfingstkirchen, die mit ihrer Spontaneität und Charismatik für Mapuche ansprechender sind als ein eher intellektueller Katholizismus. Die Evangelikalen lehnen allerdings die Mapuche-Kultur ab und fordern die Indigenen auf, sich explizit zwischen ihrer Tradition und dem Christentum zu entscheiden. Jugendliche aus evangelikalen Mapuche-Familien stoßen auf Widerstände, wenn sie die Sprache Mapudungun lernen oder an Mapuche-Ritualen teilnehmen wollen. (KNA)