„Mehr Druck auf die Regierenden ausüben“

„Mehr Druck auf die Regierenden ausüben“

Flüchtlinge ‐ Acht der zehn größten Flüchtlingslager weltweit liegen in Afrika. Wo kommen die Menschen her, wann können sie wieder in ihre Heimat zurück? Oder werden sie alle bis nach Europa weiterziehen? Der Leiter des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes in Ostafrika, Pater Endashaw Debrework, kennt die Lage vor Ort.

Erstellt: 23.02.2016
Aktualisiert: 23.02.2016
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Acht der zehn größten Flüchtlingslager weltweit liegen in Afrika. Wo kommen die Menschen her, wann können sie wieder in ihre Heimat zurück? Oder werden sie alle bis nach Europa weiterziehen? Der Leiter des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes in Ostafrika, Pater Endashaw Debrework, kennt die Lage vor Ort.

Frage: Pater Endashaw, berichten Sie uns über die Flüchtlingssituation in Ostafrika.

P. Endashaw: Es gibt zwei Länder in Ostafrika, die am meisten Flüchtlinge aufnehmen: Äthiopien und Kenia. In Äthiopien leben derzeit mehr als 770.000 Flüchtlinge in 28 Flüchtlingslagern. Allein aus dem Südsudan sind über 300.000 Menschen geflohen, seit dort wieder ein gewaltsamer Konflikt ausgebrochen ist. Die zweitgrößte Gruppe sind die Somalier mit etwa 247.000 Menschen. Sie sind vor allem nach der Hungersnot von 2011 gekommen.

Frage: Nehmen wir das Beispiel Südsudan. Wie hat sich die Lage in der letzten Zeit entwickelt?

P. Endashaw: Als der Südsudan 2011 unabhängig wurde, haben wir geglaubt: Jetzt kehrt endlich Frieden ein. Die Menschen waren optimistisch, sie freuten sich, dass sie endlich wieder nach Hause konnten. In Norduganda, an der sudanesischen Grenze, hatten wir mehrere Schulen für Flüchtlingskinder gegründet. 2011 konnten wir sie der ugandischen Regierung übergeben. Wir haben unsere Projekte beendet, und die Flüchtlingslager wurden geschlossen. Aber dann haben die Menschen erneut fliehen müssen. Und jetzt müssen wir ihnen wieder helfen.

Frage: Was können Sie tun?

P. Endashaw: Ein großer Schwerpunkt unserer Arbeit liegt dieses Mal innerhalb des Landes selbst. An der Grenze zu Äthiopien haben wir ein großes Gebäude übernommen. Es wurde 2007 mit Unterstützung der japanischen Regierung gebaut und sollte eigentlich eine Schule werden. Aber die Sudanesen haben daraus eine Militärkaserne gemacht. Jetzt haben wir mit der Regierung lange verhandelt und im August 2015 durften wir das Gelände übernehmen. Heute geben wir 593 Schülern Unterricht und bilden dort 125 Lehrer aus. Wir wollen unsere Arbeit ausweiten und auch eine Vorschule und handwerkliche Ausbildung anbieten. An vielen Orten tun wir Ähnliches.

Frage: Was nützt das in Zeiten des Krieges?

P. Endashaw: Das ist Teil unserer Mission: Wir müssen alles versuchen, damit die Menschen nicht ihre Hoffnung verlieren und sich zur Flucht entscheiden.

Bild: © KNA

Frage: Und die, die bereits geflohen sind?

P. Endashaw: Es gibt ganz einfache Erfahrungswerte, die wir zum Beispiel im Südsudan gemacht haben. Wenn die Menschen einen dauerhaften Frieden und die Hoffnung auf ein gutes Leben sehen, dann sind sie bereit, zurückzugehen. Nach der Unabhängigkeit 2011 gingen die Flüchtlinge aus Uganda, aus Kenia, aus Äthiopien zurück nach Hause. Sie waren wirklich fest entschlossen, ihre alte Heimat wiederaufzubauen. Sie ließen sich in ihren zerstörten Dörfern nieder, und wollten wieder dort leben, wo ihre Vorfahren begraben liegen.

Frage: Schauen wir auf das nächste große Flüchtlingsland: Kenia.

P. Endashaw: Dort gibt es zwei große Flüchtlingslager: Dadaab und Kakuma. Wegen der vielen Neuankömmlinge aus dem Südsudan ist Kakuma auf 200 000 Menschen angewachsen. Man hat jetzt gerade den Bereich „Kakuma 5“ eröffnet, um sie alle unterzubringen.

Frage: In Kenia leben auch viele Somalier. Zugleich wächst in Kenia die Furcht vor islamistischem Terror. Viele sehen einen Zusammenhang und fordern: Die Somalis sollen gehen. Ist das überhaupt möglich?

P. Endashaw: Wenn man die somalischen Flüchtlinge fragt, werden sie sagen: Nein. Wenn man die kenianische Regierung fragt, wird die Antwort lauten: Ja. Es gab islamistische Anschläge der al-Shabab, zum Beispiel auf die Universität in Garissa, und einige Attentäter sollen im Flüchtlingslager rekrutiert worden sein. Also, einerseits will die kenianische Regierung ihre Bürger schützen. Andererseits hat Kenia die UN-Flüchtlingskonvention unterschrieben. Und die Vereinten Nationen haben klar gemacht: Es darf keine Zwangsrückführung nach Somalia geben. Das Land ist nicht stabil, die Islamisten sind sehr aktiv, und die derzeitige Regierung kann nicht einmal die Hauptstadt Mogadischu kontrollieren. Also bleiben die Flüchtlinge vorläufig dort, wo sie sind.

Frage: Die meisten Afrikaner, die zurzeit nach Europa kommen, sind aus Eritrea. Was  wissen Sie über deren Beweggründe?

P. Endashaw: Wir wissen nicht viel über Eritrea. Das Land schottet sich ab. Was wir aber wissen: Seine Menschen fliehen. Und das muss Gründe haben. Besonders die jungen Leute verlassen das Land, gehen nach Dschibuti, in den Jemen. In den Flüchtlingslagern von Äthiopien leben 100.000 Eritreer. 85 Prozent davon sind unter 30. Sie sind jung, voller Energie, voller Begabungen. Aber jetzt sitzen sie irgendwo in der Wüste. Sie wollen etwas aus ihrem Leben machen. Sie wollen arbeiten, heiraten, Kinder haben. Also kommt es zu dem, was man in der Fachsprache „Secondary Movement“ nennt: Weil sie in den Flüchtlingslagern keine Zukunft sehen, setzen sie sich ein zweites Mal in Bewegung.

Frage: Und viele machen sich auf den weiten Weg nach Europa, durch die Sahara nach Libyen und übers Mittelmeer.

P. Endashaw: Einen jungen Mann aus Eritrea habe ich gefragt: „Warum willst du denn übers Meer nach Europa, das ist doch viel zu gefährlich.“ Er hat mir geantwortet: „Lieber sterbe ich auf der Flucht, als dass ich hier bei uns verrotte.“

„Unsere politische Klasse in Afrika hat einfach nie gelernt, Kompromisse zu akzeptieren.“

—  Zitat: Pater Endashaw Debrework

Frage: Seit bald einem Vierteljahrhundert bestehen nun Lager wie Kakuma und Dadaab. Werden sie jemals geschlossen werden?

P. Endashaw: Ich würde mir wünschen, dass diese Lager eher heute als morgen verschwinden. Ich würde mir wünschen, dass die Flüchtlinge nach Hause gehen und dort ein anständiges Leben führen können. Aber das wird nicht passieren, weder heute noch morgen. Warum? Es sind einfach viel zu viele Interessen im Spiel – politisch, wirtschaftlich, sozial und auch religiös. Unsere politische Klasse in Afrika hat einfach nie gelernt, Kompromisse zu akzeptieren. Immer geht es nur um das, was die Amerikaner so nennen: „It is my way or the highway.“ Entweder wird es so gemacht, wie ich es will, oder eben gar nicht. Sie haben die Idee des Geben und Nehmens nicht verstanden. Ich wünsche es mir nicht, aber die Kriege und Konflikte werden noch eine ganze Weile bleiben.

Frage: Welche Maßnahmen sollten ausländische Staaten ergreifen?

P. Endashaw: Man muss viel mehr Druck auf die Regierenden ausüben. Man muss sie dazu zwingen, endlich hinzuschauen, wie ihre eigenen Völker leiden. Viele, die zum Beispiel heute im Südsudan in der Regierung arbeiten, waren doch früher selbst einmal Kriegsflüchtlinge. Sie sollten wissen, was es heißt, in einem Lager zu leben. Sie müssen doch endlich einmal Mitleid haben, wenn Kinder auf der Straße sterben, wenn junge Menschen in den Lagern leiden.

Das Interview führte Christian Selbherr.

Aus: Missio-Magazin 2/2016. Mit freundlichem Dank für die Genehmigung.

www.missio-fluechtlingshilfe.de

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